Etablierung von Commercial Courts begrüßt
Berlin: (hib/SCR) Die Etablierung sogenannter Commercial Courts ist bei einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss am Mittwoch auf einhellige Zustimmung der acht geladenen Sachverständigen aus Richterschaft, Anwaltschaft und Wissenschaft gestoßen. Diese speziellen Senate an den Oberlandesgerichten sollen für große internationale Streitigkeiten in Handelssachen erstinstanzlich zuständig sein. Die Verhandlungen sollen gänzlich in englischer Sprache geführt werden können. Vorgeschlagen wird zudem, auch an den Landgerichten spezielle Spruchkörper für internationale Handelssachen einzurichten.
Der Anhörung lagen ein Gesetzentwurf des Bundesrates (20/1549), ein Antrag der Unionsfraktion (20/4334) sowie ein Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums (BMJ) zugrunde. Die inhaltlich gleichgerichteten Vorlagen unterscheiden sich im Grad der Ausgestaltung und in Detailregelungen.
Alle drei Initianten argumentieren, dass die Einführung der speziellen Spruchkörper dazu dienen soll, den „Justiz- und Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig [zu] stärken“, wie es im BMJ-Eckpunktepapier heißt. In der Anhörung unterstrich der Vorsitzende Richter am Landgericht Stuttgart, Patrick Melin, dass eine staatliche Justiz, die umfangreiche Streitigkeiten zwischen internationalen Parteien effektiv und sachgerecht erledigt, ein ganz wesentlicher Standortfaktor sei. Melin betonte in seiner Stellungnahme zudem, dass die staatliche Gerichtsbarkeit eine „notwendige Ergänzung zur Schiedsgerichtsbarkeit“ sei, um zur Rechtsfortbildung beizutragen. In machen Rechtsgebieten, wie etwa dem Unternehmenskaufrecht, gebe es keine obergerichtlichen Entscheidungen mehr, weil die Parteien in der Regel eine Schiedsklausel vereinbarten, so Melin.
Rechtswissenschaftlerin Gisela Rühl, Lehrstuhlinhaberin an der Humboldt-Universität zu Berlin, begrüßte die vorgeschlagenen Regelungen, mahnte aber, die Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben. Im Vergleich mit der Schiedsgerichtsbarkeit werde die deutsche Justiz auch nach den angestrebten Änderungen „erhebliche Nachteile“ haben. Auch internationale Erfahrungen mit Commercial Courts zeigten, dass es alles andere als leicht sei, internationale Parteien vor staatliche Gerichte zu ziehen, sagte Rühl.
Die Möglichkeit, Verfahren gänzlich auf Englisch zu führen, wurde von den Expertinnen und Experten einhellig begrüßt. Die Vorsitzende Richterin am Landgericht Hamburg, Heike Hummelmeier, nannte es einen „Anachronismus, dass in Deutschland nicht auf Englisch verhandelt werden kann“. Sie verwies auf die Praxis an Schiedsgerichten und attestierte Deutschland auch im Vergleich mit anderen Ländern erheblichen Nachholbedarf.
Bei grundsätzlicher Zustimmung mahnten die Sachverständigen diverse kleinere und größere Änderungen an und bezogen sich dabei vor allem auf den Gesetzentwurf des Bundesrates. Dieser sieht unter anderem vor, dass die Commercial Courts an den Oberlandesgerichten ab einem Streitwert von zwei Millionen Euro zuständig sein sollen. Diese Vorgabe sahen mehrere Expertinnen und Experten kritisch. So argumentierte Rechtswissenschaftlerin Rühl, dass durch den zu hohen Streitwert die Gefahr bestünde, dass zu wenige Verfahren bei den neuen Spruchkörpern landeten und so der gewünschte Spezialisierungseffekt nicht eintrete. Weitere Vorschläge der Sachverständigen bezogen sich etwa auf die Ausweitung der Möglichkeit englischsprachiger Verfahrensführung auf weitere Zivilsachen sowie zur Ausstattung der Gerichte.
Mehrere Sachverständige forderten zudem Änderungen im materiellen Recht und insbesondere im AGB-Recht, um Deutschland als Rechts- und Wirtschaftsstandort zu stärken. Die Anwendung der entsprechenden Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch sowie die strenge Auslegung des Bundesgerichtshofes (BGH) zur Inhaltskontrolle führten dazu, dass internationale Unternehmen gegebenenfalls andere Rechtsordnungen für ihre Verträge wählten, so der Tenor der Expertinnen und Experten. „Der Commercial Court wäre zum Misserfolg verdammt, wenn die starre AGB-Kontrolle, wie sie vom BGH für den unternehmerischen Geschäftsverkehr gehandhabt wird, nicht geändert wird“, betonte etwa Rechtsanwalt Werner Müller vom Deutschen Anwaltverein vor den Abgeordneten.
Die Anhörung im Video (wird zeitversetzt eingestellt), die schriftlichen Stellungnahmen der acht Sachverständigen sowie die Sachverständigenliste auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw09-pa-recht-commercial-courts-934778
Die hib-Meldung zum Gesetzentwurf des Bundesrates: https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-892034
Die hib-Meldung zum Antrag der Unionsfraktion: https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-921576
Das Eckpunktepapier des BMJ: https://www.bundestag.de/resource/blob/931080/577cc40c2bbd29de7a568be4d5356e2f/Eckpunktepapier-data.pdf