Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren
Berlin: (hib/SCR) Der Rechtsausschuss hat am Mittwochmorgen den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren (20/5165) mit wesentlichen Änderungen beschlossen. Die Vorlage passierte den Ausschuss mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sowie von Die Linke gegen die Stimmen von CDU/CSU und AfD. Die zweite und dritte Lesung ist für Freitag, 10. Februar 2023, geplant. Auch einen Entschließungsantrag der Koalition mit weiteren Vorschlägen wurde angenommen. Ein Entschließungsantrag der Unionsfraktion fand keine Mehrheit.
Ziel des Entwurfes ist es, Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit bedeutsamen Infrastrukturprojekten durch Änderungen in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zeitlich zu straffen. Dazu wird bei diesen Verfahren etwa die Regelung zur innerprozessualen Präklusion verschärft und ausgeweitet.
In ihrem Änderungsantrag hatten die Koalitionsfraktionen Kritik und Vorschläge aus der Sachverständigenanhörung aufgegriffen. So wird nun auf die im Regierungsentwurf vorgesehene Einführung einer zehnwöchigen Klageerwiderungsfrist im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz gänzlich verzichtet. Diese Regelung war insbesondere von den Sachverständigen aus der Richterschaft als kontraproduktiv kritisiert worden. Erweitert wird hingegen der Anwendungsbereich der Klagebegründungsfrist. Sie soll auch auf Fälle erstreckt werden, „in denen ein Verfahren zur Durchführung eines Planergänzungs- oder Planänderungsverfahrens ausgesetzt wird“.
Angepasst wurde zudem die im neuen Paragraf 87c VwGO vorgesehene Maßgabe zur Beschleunigung bestimmter Verfahren. Hatte es im Regierungsentwurf noch geheißen, dass diese Verfahren beschleunigt durchzuführen sind, ist nunmehr vorgesehen, dass diese Verfahren beschleunigt werden sollen. Neu gefasst wurde zudem die Regelung in Absatz 2 desselben Paragrafen zu einem frühen Erörterungstermin in diesen Verfahren. Dieser Regelungsvorschlag war ebenfalls umfassend kritisiert worden. Ansinnen der Bundesregierung ist es, bei diesem frühen Erörterungstermin eine gütliche Einigung zu erzielen oder zumindest das weitere Verfahren zu strukturieren. Der Regierungsentwurf hatte vorgesehen, diesen Termin innerhalb von zwei Monaten nach Eingang der Klageerwiderung stattfinden zu lassen. In der vom Ausschuss verabschiedeten Fassung ist im Gesetzestext keine feste zeitliche Frist mehr angegeben, sondern es soll in „in geeigneten Fällen“ zu einem „frühen ersten Termin zur Erörterung“ geladen werden. Laut Begründung liegt ein „geeigneter Fall“ dann vor, wenn von dem Erörterungstermin eine Beschleunigungswirkung zu erwarten ist. In der Begründung wird zudem auf die Zwei-Monats-Frist verwiesen.
Aufgegriffen wurde zudem ein Vorschlag aus der Anhörung zur Besetzung der Senate an den Oberverwaltungsgerichten beziehungsweise am Bundesverwaltungsgericht bei bestimmten Verfahrenskonstellationen und unter bestimmten Bedingungen. Bei zu beschleunigenden Verfahren soll künftig an Oberverwaltungsgerichten die Entscheidung an einen Einzelrichter übertragen werden können, wenn „die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher aufweist“ und „die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat“. Im Regelfall entscheiden dort aktuell drei Richter. Analog soll am Bundesverwaltungsgericht der Senat in der Besetzung von drei Richtern entscheiden können, im Regelfall sind es aktuell fünf Richter.
Die Koalitionsfraktionen passten zudem die Regelung zum Eilrechtsschutz in den zu beschleunigenden Verfahren an, die in einem neuen Paragrafen 80c VwGO geregelt werden. Vorgesehen ist, dass das Gericht Mängel an einem angegriffenen Verwaltungsakt außer Acht lassen kann, „wenn offensichtlich ist, dass dieser in absehbarer Zeit behoben sein wird“. Zur Behebung des Mangels soll das Gericht nunmehr eine Frist setzen, im Regierungsentwurf war die Vorgabe noch als Kann-Regelung ausgestaltet. Zudem soll die neue Vorschrift für Verfahrensfehler gemäß Paragraf 4 Absatz 1 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz nunmehr „grundsätzlich“ nicht gelten. Ein im Regierungsentwurf vorgesehener „ausnahmsloser und vollständiger Ausschluss“ dieser Verfahrensfehler sei durch das Unionsrecht und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht geboten, schreiben die Koalitionsfraktionen zur Begründung.
Neu aufgenommen in den Entwurf wurde eine Regelungen zu den Kosten in diesen Verfahren. Die Kosten sollen demnach vom obsiegenden Teil getragen werden, wenn der Kläger nur deswegen unterliegt, weil das Gericht den Mangel am angegriffenen Verwaltungsakt gemäß der neuen Vorschrift außer Acht lässt.
Die Regelungen zur Verfahrensbeschleunigung sollen auf Verfahren, für die nach Paragraf 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 15 VwGO die erstinstanzliche Zuständigkeit bei den Oberverwaltungsgerichten beziehungsweise nach Paragraf 50 Absatz 1 Nummer 6 VwGO die Zuständigkeit beim Bundesverwaltungsgericht liegt. Ausgenommen davon sind durch eine Änderung der Koalition nunmehr Verfahren, die das Anlegen von Verkehrsflughäfen und -plätzen betreffen sowie Planfeststellungsverfahren für Braunkohletagebaue.
Durch eine Anpassung in Paragraf 99 Absatz 1 VwGO sind die Behörden zudem künftig aufgefordert, Akten, wenn sie elektronisch geführt werden, als „digital durchsuchbare Dokumente vorzulegen, soweit dies technisch möglich ist“. Diese Regelung - sowie eine Regelung zur Einrichtung von Planungssenaten an den Gerichten - soll am 1. Januar 2024 in Kraft treten.
Die Anhörung im Video sowie die Stellungsnahmen der Sachverständigen: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw04-pa-recht-infrastruktur-927664
Die hib-Meldung zum Regierungsentwurf: https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-929332