Sachverständige kritisieren geplante Strompreisbremse
Berlin: (hib/HAU) Von der Energiebranche kommt deutliche Kritik an der geplanten Strompreisbremse. Während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie am Dienstagnachmittag traf vor allem die geplante Regelung zur Abschöpfung von „Zufallsgewinnen“ in der Stromerzeugung auf Widerspruch. Laut dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen (20/4685) sollen kriegs- und krisenbedingte Überschusserlöse „in angemessenem Umfang abgeschöpft und über einen Wälzungsmechanismus zur Finanzierung der Entlastungsmaßnahmen verwendet werden“. Oberhalb einer technologiespezifischen Obergrenze sollen 90 Prozent der Erlöse abgeschöpft werden. Ziel der Regelung ist es, Stromverbraucher bis zum 30. April 2024 bei den Strompreisen zu entlasten.
Auch wenn die Branche bereit sei, ihren solidarischen Beitrag zu leisten, sei die Tiefe der Markteingriffe besorgniserregend, befand Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. „Gerade auf der Abschöpfungsseite brauchen wir ganz dringend ein Enddatum“, sagte sie. Erhebliche Sorge mache ihr auch die kurzfristige Streichung der „vermiedenen Netzentgelte“, die derzeit dezentralen Erzeugern gezahlt würden. Sie seien ein wichtiger Erlösbestandteil, „der bei der Investitionsentscheidung fest einkalkuliert worden ist“, machte Andreae deutlich.
Wolfram Axthelm, Geschäftsführer beim Bundesverband WindEnergie, forderte ebenfalls eine klare Befristung. „Jeder Automatismus zur Verlängerung per Verordnung ist zu vermeiden“, machte er deutlich. Jedes neue Gesetz im Energiesektor müsse sich daran messen lassen, ob es einen Beitrag zur Energiewende leistet, sagte Axthelm. Diesem Entwurf fehlen aber beispielsweise eine Duldungspflicht privater und öffentlicher Grundstückseigentümer für Anschlussleitungen.
Der „komplexe und unverhältnismäßig komplizierte Abschöpfungsmechanismus“ habe zu einer enormen Verunsicherung in der Branche geführt, sagte die Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energien, Simone Peter. „Das ging bis zur Stornierung von Projekten“, so Peter. Durch den Bezug auf einen fiktiven Erlös, statt auf tatsächliche Gewinne, würden notwendige Investitionsspielräume und Risikopuffer abgeschöpft. Die Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energien verlangte ebenfalls eine klare Befristung der Abschöpfung bis Juni 2023. Die Möglichkeit der Verlängerung bis Ende 2024 oder sogar darüber hinaus drohe zum Damoklesschwert für Neuinvestitionen zu werden, warnte Peter.
Aus Sicht von Sandra Rostek vom Hauptstadtbüro Bioenergie besteht die Gefahr einer massiven Leistungsdrosselung bei der Bioenergie. Rostek verwies auf die zuletzt deutlich gestiegenen Produktionskosten. „Die Erlösabschöpfung würde bei Bioenergieanlagen zu realen Verlusten führen“, warnte sie. Notwendig sei die vollständige Ausnahme der Bioenergie aus dem Abschöpfungssystem. Andernfalls stünden sowohl die Versorgungssicherheit sowie langfristig die gesamte Energiewende in Gefahr, sagte Rostek.
Auch Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer beim Verband Kommunaler Unternehmen, hält den Gesetzentwurf für verbesserungsbedürftig. Bei der Gewinnabschöpfung werde über das Ziel hinausgeschossen, befand er. „Es droht eine Abschöpfung von gar nicht vorhandenen Gewinnen.“ Besonders betroffen davon seien Projekte der erneuerbaren Energien. Gravierend für viele Stadtwerke sei die plötzliche Streichung der Entgelte für dezentrale Erzeugung, die vermiedenen Nutzungsentgelte. Das sei ein gewaltiger Vertrauensbruch, der nicht nur den Stadtwerken schade, sondern das Vertrauen in verlässliche Investitionsbedingungen ruiniere.
Der auf Energie- und Regulierungsrecht spezialisierte Rechtsanwalt Olaf Däuper sagte: „Wer Preisbremsen einführt, muss von Anfang an den Ausstieg mitbedenken.“ Wenn 2024 wieder normaler Wettbewerb herrsche, dürften die Energieversorger, die in den jetzigen schweren Zeiten die Versorgung aufrechterhalten, nicht schutzlose des Discountern oder Schnäppchenjägern auf dem Spotmarkt ausgeliefert sein, sagte Däuper.
Benjamin Held vom Institut für Interdisziplinäre Forschung sprach sich dafür aus, besonders belastete Haushalte noch besser zu unterstützen und vor dem Hintergrund knapper Haushaltsmittel eine übermäßige Förderung einkommensstarker Haushalte zu vermeiden. Von den Entlastungen würden einkommensstarke Haushalte aktuell deutlich mehr profitieren, sagte Held. Sie seien auch leichter in der Lage 20 Prozent Energie einzusparen als Haushalte, die ohnehin notgedrungen auf einen sparsamen Verbrauch achten. Held plädierte für einen befristeten „Energiesoli“.
Auf die mit dem Gesetz geplante Stabilisierung der Übertragungsnetzentgelte ging Stefan Kapferer, Vorsitzender der Geschäftsführung des Netzbetreibers 50Hertz Transmission, ein. Die Regelung, einen Bundeszuschuss zu den Übertragungsnetzentgelten zu zahlen, sei unbürokratisch ausgestaltet, lobte er. Das gelte für andere Elemente des Gesetzes aber nicht, so Kapferer. Es sollte seiner Ansicht nach geregelt werden, dass für die Netzbetreiber kein Liquiditätsrisiko bleibt.
Eine 100-prozentige Abschöpfung von Zufallsgewinnen forderte Thomas Engelke von der Verbraucherzentrale Bundesverband. Zugleich verlangte er, für Wärmestromtarife eine separate Preisobergrenze von 30 Cent pro Kilowattstunde einzuführen. Bis spätestens Mitte 2023 müssten zudem die Voraussetzungen für sozial-differenziere Direktzahlungen des Bundes geschaffen werden. Engelke sprach sich außerdem dafür aus, ein Mindestkontingent von 1.500 Kilowattstunden festzulegen, auf die der staatlich garantierte Brutto-Arbeitspreis von 40 Cent pro Kilowattstunde „zu 100 Prozent angewandt wird“. Hierdurch könnten Verbraucher, die bereits in der Vergangenheit alle Einsparpotentiale realisiert haben, stärker entlastet werden.
Constantin Terton vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) kritisierte, dass als Bezugsjahr für die Festlegung des Entlastungskontingentes das Jahr 2021 gewählt worden sei. Damit würden ausgerechnet jene Betriebe benachteiligt, „die im Jahr 2021 Pandemie-bedingt in den Lockdown geschickt wurden“ und einen deutlichen Umsatzverlust zu verzeichnen hatten. Insbesondere benachteiligt wären damit Betriebe der Hotellerie, Gastronomie und Cafés, Caterer sowie der in der Wertschöpfungskette nachgelagerten Handwerksbetriebe.
Professor Fritz Söllner von der Universität Ilmenau hält die Strompreisbremse für „sehr teuer, sehr kompliziert und verfassungsrechtlich zumindest in Teilen sehr fragwürdig“. Effizienter als auch effektiver sei eine Strompreissenkung durch eine direkte Subventionierung der Gasverstromung, sagte er. Der Staat, so Söllner, würde in diesem Fall Gas zum Marktpreis ankaufen und es zu einem niedrigeren Preis an die Betreiber von Gaskraftwerken weiterverkaufen. Dadurch würden deren Kosten und in der Folge auch der Strompreis sinken, „da die Gaskraftwerke als Grenzanbieter den Strompreis durch die Höhe ihrer Kosten de facto bestimmen“.