Viel Zuspruch für Gewalthilfegesetz von SPD und Grünen
Berlin: (hib/HAU) Bei einer Anhörung des Familienausschusses am Montag ist der Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen „für ein verlässliches Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt“ (20/14025), der wortgleich mit einem Gesetzentwurf der Bundesregierung ist (20/14342), überwiegend auf Zustimmung gestoßen. Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände hält jedoch die Einführung eines in dem Gesetz geplanten individuellen Rechtsanspruchs auf Schutz und Beratung bei Gewaltbetroffenheit für derzeit nicht umsetzbar.
Der Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung bei Gewaltbetroffenheit soll ab 2030 gelten. Die Länder sollen verpflichtet werden, ein Netz an zahlenmäßig ausreichenden und den Bedarf verschiedener Personengruppen berücksichtigenden Schutz- und Beratungsangeboten sicherzustellen. Der Bund will sich durch Verzicht auf ihm zustehende Steuereinnahmen zu Gunsten der Länder an der Finanzierung beteiligen.
Der Bundesrat begrüßt ausweislich seiner Stellungnahme (20/14437) die mit dem Gesetzentwurf beabsichtigte Sicherstellung eines niederschwelligen Zugangs zu Schutz- und Beratungseinrichtungen bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt zur weiteren Umsetzung der Istanbul-Konvention. Der Finanzierungsanteil des Bundes sollte aus Sicht der Länderkammer aber deutlich höher sein, als er im Gesetzentwurf vorgesehen.
Dilken Çelebi vom Deutschen Juristinnenbund (DJB) begrüßte die Einführung eines Gewalthilfegesetzes und sprach von einem sehr notwendigen Paradigmenwechsel. Das Gesetz „endlich“ zu verabschieden, sei dem DJB ein „prioritäres Anliegen“. Es brauche einen rechtlich verbindlichen Anspruch auf Hilfe. Die Stärke des Gesetzes, so Çelebi, liege in der umfassenden Betrachtung eines Hilfesystems. Damit aber auch „migrierte und geflüchtete Frauen und TIN-Personen“ das Hilfesystem beanspruchen können, müssten die Wohnsitzauflage und die Meldepflicht laut Aufenthaltsgesetz aufgehoben werden, forderte sie.
Die finanzielle Beteiligung des Bundes sei ein wichtiger Baustein „für die bundeseinheitliche Regelung eines Rechtsanspruchs auf Schutz und Beratung für gewaltbetroffene Menschen und für die entsprechend notwendige Ausgestaltung des Hilfesystems“, sagte Stefanie Fraaß vom AWO-Landesverband Bayern. Eine unbefristete finanzielle Beteiligung des Bundes wäre aus Sicht der Arbeiterwohlfahrt wünschenswert, um eine langfristige finanzielle Absicherung gewährleisten zu können.
Katja Grieger, Geschäftsführerin beim Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, sprach von einer „eklatanter Unterfinanzierung“ der ambulanten Fachberatungsstellen, weshalb die Versorgung von Betroffenen nicht bedarfsgerecht erfolgen könne. Eine Veränderung wäre erstmalig durch das Gewalthilfegesetz in Aussicht gestellt. „Wir plädieren deshalb mit Nachdruck dafür, das Gesetz zeitnah zu verabschieden“, sagte sie und forderte zugleich, dass trans, inter und nicht-binäre Personen Beratung und Schutz erhalten müssten, „egal wo sie wohnen, welche Herkunft sie haben, egal welchen Aufenthaltstitel oder ob sie eine Behinderung haben oder nicht“.
Trotz wichtiger Kritik an Teilen des Gesetzentwurfes, so Sylvia Haller von der Zentrale Informationsstelle Autonome Frauenhäuser (ZIF), bräuchten die von Gewalt betroffenen Frauen und Kinder das Gesetz jetzt. „Jeder Moment, der vergeht, ist mehr Zeit in einer lebensgefährlichen Situation, weil Frauen mit ihren Kindern keinen Platz im Frauenhaus finden oder aus anderen Gründen nicht aufgenommen werden können“, sagte sie.
Barbara Kavemann, Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, nannte es überfällig, dass Angebote zu Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer Gewalt und häuslicher Gewalt „aus dem Bereich der freiwilligen Leistungen genommen und in einen Rechtsanspruch überführt werden“. Damit werde anerkannt, „dass die Gewalt im privaten Raum keine private Angelegenheit ist“. Das Gesetz müsse jetzt beschossen werden, um so einen maßgeblichen Beitrag zu mehr Geschlechtergerechtigkeit, gewaltfreiem Aufwachsen, sozialer Gerechtigkeit und damit sozialem Zusammenhalt auf den Weg zu bringen, forderte Kavemann.
Die gleiche Forderung erhob Erika Krause-Schöne vom Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei. Derzeit fehlten mehr als 14.000 Frauenhausplätze in Deutschland. Dies stelle die Polizei vor große Herausforderungen, Schutzbedürftige adäquat unterzubringen. Gewaltbetroffene und Kinder bräuchten niedrigschwellige Beratung und Hilfe, „unabhängig von der gesundheitlichen Verfassung, vom Wohnort, vom aufenthaltsrechtlichen Status oder den Sprachkenntnissen“, sagte Krause-Schöne.
Das jetzige Hilfesystem sie völlig unzureichend, sagte Sibylle Schreiber, Geschäftsführerin des Vereins Frauenhauskoordinierung. Das Gesetz sei also dringend erforderlich und könne dafür sorgen, „dass spätestens 2030 alle Betroffenen von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt verlässlich und garantiert ein bedarfsgerechtes Angebot für Beratung und Schutz erhalten“. Die Bundesbeteiligung sei richtig und wichtig. Es gelte, eine Balance zu finden, „den Ländern die Regie über gewachsene Strukturen zu lassen, sie aber durch aktive Finanzunterstützung zu einem Mehr zu animieren“, befand Schreiber.
Monne Kühn vom Verein Frauen- und Kinderhaus Uelzen lehnt den Gesetzentwurf indes ab. Er schaffe nicht mehr Schutz von gewaltbetroffenen Frauen, urteilte sie. In seiner vorgeschlagenen Form würde das Gewalthilfegesetz „das Ende der Frauenhäuser als solche bedeuten“. Kühn kritisierte die „Gleichsetzung von Geschlecht und Geschlechtsidentität“ in dem Entwurf. Damit öffne er den Personenkreis der Betroffenen für Personen männlichen Geschlechts. Die Anwesenheit von Personen männlichen Geschlechts als „Mitbewohnerinnen“ in Frauenhäusern könne bei den Frauen zu großer Verunsicherung und zu Ängsten bis hin zu einer Retraumatisierung oder Reviktimisierung führen, warnte sie.
Dennis Triebsch, Leiter des Amtes für Soziale Leistungen, Senioren und Menschen mit Behinderung der Stadt Augsburg, begrüßte das finanzielle Engagement des Bundes zur Förderung von Frauenhäusern. Aus kommunaler Sicht sollte der Fokus nicht zuletzt aus Kostengründen aber auf die Stärkung der Schutzrechte von Frauen und deren Kinder gelegt werden, sagte er. Sie seien am meisten von Gewalt betroffen. Eine solche Fokussierung würde aus seiner Sicht auch der Intention der Istanbul-Konvention vollständig Rechnung tragen. Ein Rechtsanspruch „für alle möglichen Personengruppen“ sei hingegen nicht in angemessener Zeit und nur mit erheblichem Mitteleinsatz umzusetzen, sagte Triebsch.
Angélique Yumusak, Bundesfrauenbeauftragte der Deutschen Polizeigewerkschaft, begrüßte den Gesetzentwurf. Unter Einhaltung des Konnexitätsprinzips müsse aber sichergestellt werden, dass die Kommunen „eine vollständige finanzielle Ausstattung erhalten“. Sowohl investive als auch konsumtive Planungen seien unerlässlich, um eine langfristige und verlässliche Umsetzung der Maßnahmen im Gewaltschutz zu gewährleisten.
Die Einführung eines neuen individuellen Rechtsanspruchs ist aus Sicht der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände „derzeit nicht umsetzbar“. Vertreterinnen und Vertreter vom Deutschen Städtetag, dem Deutschen Landkreistag sowie dem Deutschen Städte- und Gemeindebund sprach sich daher für eine bundesgesetzliche Verankerung dahingehend aus, „dass dem Schutzinteresse von Betroffenen durch eine einzelfallunabhängige, institutionelle Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen Rechnung getragen wird“.
Sie verwiesen zudem darauf, dass die finanzielle Beteiligung des Bundes am Ausbau des Hilfesystems Anfang 2027 beginnen solle, während der Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung bereits zum 1. Januar 2030 in Kraft treten solle. Mit Blick auf den Fachkräftemangel sowie die Dauer von Bauvorhaben sei ein Zeitraum von drei Jahren zu kurz, „um die erforderlichen Kapazitäten zu schaffen, damit dann bestehende Rechtsansprüche erfüllt werden können“, befand die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände.