15.10.2024 Ernährung und Landwirtschaft — Anhörung — hib 696/2024

Experten sehen Nachbesserungsbedarf beim Tierschutzgesetz

Berlin: (hib/NKI) Experten sehen Nachbesserungsbedarf bei den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwürfen zur Änderung des Tierschutzgesetzes und des Tiererzeugnisse-Handels-Verbotsgesetzes (20/12719). Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft am Montagabend deutlich. Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, „den Tierschutz bei der Haltung und Nutzung von Tieren umfassend zu verbessern“, schreibt die Regierung. Dazu sollen Rechts- und Vollzugslücken im Bereich des Tierschutzes geschlossen und die bestehenden tierschutzrechtlichen Regelungen an aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst werden, heißt es in dem Gesetzentwurf.

Die hib-Meldung zum Regierungsentwurf: https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1017014

Der Deutsche Bauernverband (DBV) spricht sich gegen den Gesetzesentwurf aus. „Weitreichende gesetzliche Veränderungen, wie sie im Gesetzesentwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes vorgesehen sind, für die praxistaugliche Lösungen fehlen und die einen angemessenen zeitlichen Rahmen sowie eine Berücksichtigung der Wettbewerbsfähigkeit im EU-Binnenmarkt vermissen lassen, lehnen wir ab“, sagte Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes. Es stehe außer Frage, einen ausgewogenen Ansatz zu finden, der sowohl die berechtigten Anliegen des Tierschutzes als auch die Realitäten und Herausforderungen in der landwirtschaftlichen Praxis berücksichtige. Davon sei der vorliegende Gesetzesentwurf der Ampelregierung leider weit entfernt. Die Pläne führten vielmehr zu einer Verlagerung der Tierhaltung ins Ausland. „Mit Verboten und Verschärfungen des Strafmaßes im nationalen Alleingang kann man Tierschutz nicht voranbringen.“.

Sollte das Gesetz kommen, müssten perspektivisch alle derzeitigen Anbindehaltungsbetriebe einen Boxenlaufstall bauen. Pro Platz für einen Boxenlaufstall sei mit Investitionskosten von mindestens 10.000 Euro zu rechnen. Daraus resultierten rund drei Milliarden Euro Investitionskosten für die betroffenen Milchviehhalter, was zu jährlichen Kosten von mehr als 200 Millionen Euro nur für diesen Bereich führe. Nach § 18 TierSchG-E drohe für einen Verstoß gegen die Regelungen zur Anbindehaltung eine Geldbuße in Höhe von bis zu 50.000 Euro. „Diese Höhe kann Existenzen vernichten und ist daher vollkommen unverhältnismäßig“, sagte Krüsken.

Dem schloss sich Isabella Timm-Guri, Direktorin Fachbereich Erzeugung und Vermarktung beim Bayerischen Bauernverband, an. Sie sprach von einer „Sackgasse“, in die das überarbeitete Tierschutzgesetz führe. Die Versorgung der Menschen mit heimischen Produkten wäre bei seiner Einführung gefährdet. Vor allem Betriebe im süddeutschen Raum seien auf die Anbindehaltung angewiesen. Timm-Guri erwähnte dabei die meist kleinen Alm-Betriebe, die nicht nur für die Milchproduktion sorgten, sondern auch für den Erhalt der Kulturlandschaften in stark touristisch geprägten Regionen. In den Höfen finde jene regionale Wertschöpfung statt, die von der Politik so oft herausgehoben werde. Die Expertin warnte vor einer „falschen Weichenstellung bei dem Gesetz“, jeder zweite Milchviehbetrieb in Bayern auf stünde dem Spiel, sollte der Entwurf in der angedachten Form kommen.

Ariane Kari, Beauftragte der Bundesregierung für den Tierschutz, kritisierte die bereits gemachten Zugeständnisse, die es gegenüber ersten Entwürfen gegeben habe und bedauerte die „Verschlechterungen“, die das Vorhaben, das Tierschutzgesetz zu reformieren, im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erfahren habe. Ursprünglich sei die komplette Neupositionierung des Tierschutzes vorgesehen gewesen. Darin sollten Tierhaltungsformen wie die Anbindehaltung von Rindern nur noch in medizinisch begründeten Ausnahmefällen erlaubt sein. Zwischen dem ersten Entwurf und dem aktuellen Gesetz sei es zu Verschlechterungen gekommen. Ursprünglich sollte die ganzjährige Anbindehaltung nach fünf Jahren auslaufen, die saisonale war an den Betriebsinhaber geknüpft. Nun sei die Übergangsfrist für die ganzjährige Anbindehaltung zehn Jahre und auch die Anknüpfung an den Betriebsinhaber sei nicht mehr im Gesetzentwurf. Sie erkenne zwar, dass vor allem auch kleine Almbetriebe von den Veränderungen bei der Anbindehaltung betroffen seien, jedoch bestehe das Problem seit Jahrzehnten und es müsse nun gehandelt werden.

Barbara Felde, Richterin am Verwaltungsgericht Gießen und Stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht e. V., nennt den Gesetzentwurf der Bundesregierung „an vielen Stellen unzureichend und ungenau“. Zudem verstoße er zum Teil gegen das Staatsziel Tierschutz in Art. 20a Grundgesetz, und „wichtige und dringend erforderliche Regelungen fehlen gänzlich“.

Felde forderte, den Gesetzentwurf „an vielen Stellen anzupassen“, dabei seien aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Bedürfnissen der Tiere zugrunde zu legen, „nicht aber allein Wirtschaftsinteressen“. Felde sprach sich gegen die im Gesetzentwurf eingeräumte Verlängerung der Anbindehaltung bei Rindern um zehn Jahre aus. Außerdem kritisierte sie, dass Züchter weiter Tiere erzeugen könnten, die Qualzuchtmerkmale aufweisen. Ihrer Ansicht nach brauche es ein Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzvereinigungen auf Bundesebene. Verbandsklagerechte gebe es unter anderem bereits im Naturschutzrecht, im Wettbewerbsrecht und im Recht des Verbraucherschutzes. Die Einführung und Weiterentwicklung von Verbandsklagerechten entspräche der allgemeinen Tendenz, privates Engagement und privaten Sachverstand, wie sie sich in Vereinen finden, zur Durchsetzung von Gemeinwohlinteressen zu nutzen.

Auch nach Ansicht von Esther Müller, Geschäftsführerin Wissenschaft beim Deutschen Tierschutzbund bleibt der Gesetzentwurf hinter den Erwartungen zurück. So fehle beispielsweise das im Koalitionsvertrag angekündigte vollumfängliche Verbot der Anbindehaltung von Rindern. Obwohl auch der Bundesrat sich bereits 2016 für ein Ende der Anbindehaltung ausgesprochen habe, „fehlt im Entwurf der Mut zu einer konsequenten, aus Tierschutzsicht dringend gebotenen politischen Entscheidung“, sagte Müller. Der Tierschutzverbund fordert das vollständige Verbot „tierschutzwidriger Haltungssysteme“ wie Käfig-, Kastenstand- und Anbindehaltung sowie das Verbot schmerzhafter Eingriffe und Amputationen ohne medizinische Indikation. Außerdem sprach sich Müller für „konkrete Maßnahmen zur Erreichung des Ziels“ aus, alle Tierversuche zu beenden, so wie es der Koalitionsvertrag der Ampelregierung vorsieht.

Noch weiter gehen die Forderungen von Rüdiger Jürgensen, Direktor Politik und Interessenvertretung bei der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“. Das Tierschutzgesetz müsse „konkretisiert“ werden. Die Gründe der Arbeits-, Zeit- oder Kostenersparnis, die es derzeit erlaubten, einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen, „müssen als vernünftiger Grund klar ausgeschlossen werden“, sagte Jürgensen. Das Verbot der Anbindehaltung von Rindern sei „schnellstmöglich“ umzusetzen, die geplanten Übergangsfristen werden von „Vier Pfoten“ abgelehnt. Zudem sollten alle im Bundesgebiet gehaltenen Hunde und Katzen mittels eines zifferncodierten, elektronisch ablesbaren Transponders auf Kosten des Halters von einem Tierarzt gekennzeichnet und in einem Heimtierregister registriert werden.

Jürgensen kritisierte, dass das BMEL es „leider versäumt, ein umfassendes Verbot für Wildtiere in Zirkussen festzulegen“. Da eine art- und verhaltensgemäße Haltung von Wildtieren in Zirkussen grundsätzlich nicht möglich sei, sollte Zirkussen und ähnlichen Einrichtungen die Haltung und das Mitführen dieser Tiere untersagt werden.

Die Tiermedizinerin Alexandra Dörnath, Expertin für Wildtiere und exotische Haustiere, widersprach ihrem Vorredner. Das bestehende Tierschutzgesetz sei praktikabel, umsetzbar und herausragend im internationalen Vergleich. Die nun angedachte Novelle verliere sich in einem unnötigen, symbolischen Klein-Klein. „Gesetze sollen Rahmen schaffen und kein Lehrbuch sein“, sagte Dörnath. Das geplante Wildtierverbot habe keine wissenschaftliche Grundlage. Positivlisten erhöhten weder Tierschutzstandards noch verbesserten sie den Artenschutz. Zudem fehle im Gesetz die Definition zum Begriff Anbinden. Dörnath forderte für mehr Tierschutz Amtstierärzte und Aktualisierungen von Ordnungen und Leitlinien. „Mit dieser Novelle wird der Tierschutz nicht verbessert, ich empfehle, den Kreis der Sachverständigen um einen erfahrenen Amtstierarzt, der aktuell im Tierschutzvollzug tätig ist, zu erweitern“, so Dörnath.

Andreas Palzer, Bundesverband Praktizierender Tierärzte, bezeichnete die geplanten Änderungen am Tierschutzgesetz als „Symbolpolitik“. Bis auf wenige Ausnahmen würden sie in der Praxis „nicht zu einer signifikanten Verbesserung des Tierschutzes in Deutschland führen“. Die Vorschläge zum Online-Handel mit Tieren gingen nicht weit genug, die Maßnahmen zum Schwänzekupieren - vor allem bei Lämmern - könnten Tierleid sogar noch vergrößern. „Völlig unverständlich bleibt, dass an manchen Stellen unnötige Bürokratie aufgebaut wird, ohne dass damit ein erkennbarer Nutzen für die Problemlösung oder die Kontrollbehörde verbunden ist“, sagte Palzer. Die Symptom- und Diagnose-Liste von möglichen Anzeichen des Vorliegens einer Defektzucht (Qualzucht) lese sich „zusammengewürfelt“, die Auswahl der Begriffe sei willkürlich und effektheischend.

Der Bericht von „Das Parlament“ zur ersten Lesung: https://www.das-parlament.de/wirtschaft/landwirtschaft/der-dackel-darf-bleiben

Mehr Informationen zur Anhörung und die Stellungnahmen der Sachverständigen auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw42-pa-ernaehrung-tierschutz-1022530