14.10.2024 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 693/2024

Weitere Zeugen sagen zum Visa-Verfahren aus

Berlin: (hib/CRS) Der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan hat bei seiner 87. Sitzung am vergangenen Donnerstag den Ex-Staatssekretär des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Martin Jäger, sowie zwei Staatssekretäre des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI), befragt. Beide Zeugen des BMI unterstrichen, dass sie in ihrer Arbeit in Bezug auf Afghanistan immer zwischen humanitärer Hilfe und Sicherheit abwägen mussten. Der Ausschuss untersucht die Geschehnisse zwischen dem Doha-Abkommen im Februar 2020, mit dem die USA und die Taliban den Abzug fremder Truppen aus Afghanistan regelten, und der chaotischen Evakuierungsoperation in Kabul Mitte August 2021.

Hans-Georg Engelke, Amtschef beim BMI, ist seit 2015 unter anderem für die Sicherheit der deutschen Auslandsvertretungen verantwortlich und zudem ehemaliger Leiter der Terrorismusabteilung. Er erklärte während seiner Befragung, dass es im Untersuchungszeitraum immer darum ging, wann im Ortskräfteverfahren (OKV) vom klassischen individuellen zum vereinfachten Aufnahmeverfahren übergegangen werden sollte. Das sei eine komplexe Frage gewesen, und die Diskussionen zwischen den Ressorts seien manchmal zäh gewesen. Am Ende seien die Entscheidungen jedoch immer im Einvernehmen getroffen worden.

Die meisten Ortskräfte seien hochqualifizierte Personen, unterstrich der Berufsbeamte. Wenn sie wegen ihrer Arbeit bei deutschen Institutionen in Gefahr gerieten, hätten sie ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik. Doch die damalige afghanische Regierung habe darum gebeten, diese Menschen nicht abzuziehen, um keinen Braindrain zu verursachen. Außerdem hätten das Auswärtige Amt (AA) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) immer wieder darauf hingewiesen, dass sie ihre Arbeit im Land fortsetzen wollten und dafür auf die Ortskräfte angewiesen seien.

Bei denjenigen Ortskräften, die dennoch eine Gefährdungsanzeige stellten, habe das BMI darauf bestanden, am normalen Visumsverfahren festzuhalten, da dies auch eine Sicherheitsprüfung beinhalte. Hintergrund dafür sei kein Zweifel an den Ortskräften oder daran, dass diese Menschen aus einer bestimmten Weltgegend stammten, sondern das Erfordernis, ihre biometrischen Daten festzuhalten, um die Identität der Personen zu prüfen.

In dieser Hinsicht sei das vom AA geforderte Visa-on-Arrival-Verfahren (VoA-Verfahren) ein Sicherheitsverzicht gewesen. Denn dann würden die Personen ohne vorherige Sicherheitsprüfung nach Deutschland kommen, und die Prüfung würde erst auf deutschem Staatsgebiet stattfinden. Wenn sie jedoch einmal in Deutschland seien und einen Asylantrag stellten, könne man sie nicht mehr zurückführen. Aus diesem Grund habe das BMI sehr lange und entschieden das VoA-Verfahren abgelehnt. Dabei habe das BMI jedoch immer betont, dass es sich in einer Notsituation auch das VoA-Verfahren vorstellen könne. Diese Situation sei, laut Engelke, eingetreten als die Amerikaner ihre Botschaft am 14. August 2021 verließen

Wir sahen uns stets in der „“Verantwortung für die Menschen, die hier leben„, sagte Engelke und wies darauf hin, dass im BMI immer “die Geschehnisse nach 2015„, also die Flüchtlingskrise, im Hinterkopf gewesen seien.

Ein pauschales Aufnahmeverfahren hätte zudem ein falsches Signal gesendet und eine Fluchtbewegung auslösen können, erläuterte der Zeuge. Daran habe man kein Interesse gehabt.

Im Nachhinein bedauere er jedoch, dass das Visumsverfahren zu umständlich organisiert gewesen sei. “Die Aufnahmezusage ist wie ein Gutschein„, sagte Engelke. “Den kannst du einlösen oder nicht, aber danach folgt trotzdem das Visumsverfahren.„ Das hätte das AA anders organisieren müssen, fügte er hinzu.

Sein Kollege im gleichen Zeitraum, Ex-Staatssekretär Helmut Teichmann, betonte hingegen die Sorge um ein ordentliches Verfahren. “Als Horst Seehofer Minister wurde, haben wir einen Masterplan Migration vorgelegt, der unter der Prämisse von Humanität und Ordnung stand„, sagte er. Es habe eine klare Führungsansage gegeben, nach diesem Prinzip zu arbeiten. Sie hätten sich in allen migrationspolitischen Fragen an Humanität und Ordnung orientiert. Demnach hätten Ordnung, Ordnungsverfahren und die Sicherheit der deutschen Bevölkerung im Vordergrund gestanden. Zwar hätten sie sich für eine erleichterte Aufnahme ausgesprochen, in jedem Fall sieht das Aufenthaltsgesetz aber ein Visumverfahren vor. .

Teichmann kritisierte das AA dafür, das es nicht geschafft habe, das Visumsverfahren zu beschleunigen. Auch Nichtregierungsorganisationen, die private Evakuierungsmissionen organisieren wollten, kritisierte Teichmann mit den Worten: “Das war ein Unding, das war nicht erwünscht.„

Der Staatssekretär a.D. zeigte auch kein Verständnis dafür, dass Journalisten, Künstler oder Familienangehörige der damaligen afghanischen Minister zu besonders schutzbedürftigen Personen erklärt wurden, während 40 Millionen Afghanen keine Möglichkeit gehabt hätten, das Land zu verlassen.

Teichmann geriet jedoch in Erklärungsnot, als ein Abgeordneter ihn fragte, warum das BMI in einem gemeinsamen Brief mit der österreichischen Regierung die EU-Kommission gebeten hatte, Druck auf die damalige afghanische Regierung auszuüben, weitere Abschiebungen zu ermöglichen, ohne das AA darüber zu informieren. Daraufhin gab er an, nicht gewusst zu haben, dass das AA bewusst umgangen wurde. Hätte er das gewusst, hätte er die dafür verantwortlichen Mitarbeiter gerügt, meinte er.