Nachrichtendienste sehen wachsende Bedrohung durch Russland
Berlin: (hib/HAU) Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages hat am Montag, 14. Oktober 2024, zum achten Mal in seiner Geschichte die Spitzen der Nachrichtendienste des Bundes in einer öffentlichen Anhörung befragt. Bei der jährlichen Veranstaltung stellten sich die Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, und des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, sowie die Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (MAD), Martina Rosenberg, den Fragen der Abgeordneten.
Gemeinsam verwiesen sie auf die stetig wachsende Bedrohung durch Russland. Der Kreml sehe Deutschland, auch wegen seiner Unterstützung für die Ukraine, als Gegner, sagte Kahl. Die strategische Ausrichtung Russlands sei gen Westen gerichtet und ziele auf eine neue Weltordnung ab. MAD-Präsidentin Rosenberg sprach von besorgniserregenden Ausspähversuchen gegen die Bundeswehr. Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang machte auf „Einflussoperationen“ russischer Geheimdienste aufmerksam, mit denen russische Desinformation und Propaganda in Deutschland verbreitet werde.
Mit Blick auf die Haushaltsberatungen und die geplanten Neuregelungen zur Kontrolle der Nachrichtendienste forderten insbesondere Kahl und Rosenberg, die Möglichkeiten der Dienste nicht stärker einzuschränken. Die deutschen Nachrichtendienste bräuchten deutlich mehr operative Beinfreiheit, sagte BND-Präsident Kahl. Die geplante Sicherheitsgesetzgebung dürfe am Ende die Wahrheitsfindung nicht erschweren. MAD-Präsidentin Rosenberg sagte, sie erhoffe sich von der Novellierung „eine Realitätsanpassung, die uns die Möglichkeiten und Fähigkeiten einräumt, unseren gesetzlichen Auftrag bestmöglich erledigen zu können“.
Kahl sprach vor den Abgeordneten von sicherheitspolitisch schwierigen und sehr fordernden Zeiten. Neben dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine seien es die Aggressionen gegen Israel „aus fast jeder Himmelsrichtung mit der zunehmenden Beteiligung Irans“, die geopolitischen Herausforderungen durch China, mehrere Unruheherde im nördlichen Afrika und in der Sahel-Zone sowie die wiedererstarkten islamistischen Terrorismusaktivitäten. Dazu komme all das, was sich an sicherheitspolitischen Herausforderungen aus den Themen Klimawandel, Migration und Energiesicherheit ergebe. „Das Stressigste dabei liegt in der Gleichzeitigkeit dieser Herausforderungen“, so Kahl.
Ins Zentrum seiner Bemerkungen stellte der BND-Präsident das Handeln Russlands gegenüber Deutschland und dem Westen grundsätzlich. Dem russischen Präsidenten Putin gehe es um die Schaffung einer neuen Weltordnung, sagte er. Russland habe schon damit begonnen, „direkte kinetische Maßnahmen gegen den Westen einzuleiten“. Russische Geheimdienste agierten dabei als Speerspitze im hybriden Kampf gegen den Westen mit einem staatlichen Auftrag, mit allen Mittel und ohne rechtliche Beschränkungen oder Skrupel.
Russland rüste massiv auf und ordne seine Streitkräfte neu, sagte Kahl. „Die russischen Streitkräfte sind wahrscheinlich spätestens ab Ende dieses Jahrzehnts personell und materiell in der Lage, einen Angriff gegen die Nato durchzuführen“, prognostizierte er. Zuvor werde Putin „rote Linien des Westens austesten und die Konfrontation weiter eskalieren“. Es gehe ihm darum, die Beistandsbereitschaft vor einer offenen Auseinandersetzung zu testen und die Nato noch vor einem möglichen Kriegsbeginn zu spalten.
Russland versuche die Unterstützung des Westens für die Ukraine zu untergraben, sagte auch BfV-Präsident Haldenwang. Dies erfolge langfristig mit dem Ziel, eine andere Weltordnung zu gestalten, stimmte Haldenwang Kahl zu. Dazu nutze Russland unter anderem „Einflussoperationen“. Ein Stichwort dabei sei die Doppelgängerkampagne, bei der auch deutsche Medien massiv manipuliert würden. Es kursierten manipulierte Zeitungs- und Magazinseiten durch das Internet, was den Eindruck erwecke, dass es sich um Informationen aus „seriösen Quellen“ handle, die aber tatsächlich russische Desinformation und Propaganda darstellten, erläuterte der Verfassungsschutzchef. Er verwies zugleich auf die in Tschechien aufgedeckte Mediengesellschaft „Voice of Europe“, deren eigentliches Ziel es neben der Verbreitung von Desinformation und Propaganda sei, europäische Politiker dafür zu gewinnen, gegen Geld in ihren Parlamenten „russischen Politik zu betreiben“.
Zunehmend, so Haldenwang, nutze Russland auch Personen aus dem kriminellen Milieu, die gegen Geld spionieren. Zu nennen seien dabei vor allen Drohneneinsätze zur Aufklärung militärischer Einrichtungen und kritischer Infrastrukturen. Aus Spionage könne auch schnell Sabotage werden, sagte der BfV-Präsident. Eine mit Sprengstoff bestückte Drohne stelle eine große Gefahr dar.
Haldenwang ging auch auf die Gefahr durch den Islamismus ein. „Der islamistische Terrorismus ist zurück in Europa“, sagte er. Über die sozialen Medien versuchten die Propagandisten des Islamismus Einfluss zu nehmen und erreichten dabei auch die Köpfe von Jugendlichen. „Insofern sehen wir eine große Gefahr ausgehend von selbstradikalisierten sehr jungen Einzeltätern, die mit einfachsten Tatmitteln schwerste Anschläge auch in Deutschland begehen können“, sagte der Verfassungsschutzpräsident. Die Krise in Nahost wirke dabei wie ein Brandbeschleuniger. Die teils verstörenden Bilder aus dem Libanon und aus dem Gaza-Streifen beförderten die weitere Radikalisierung islamistischer Kräfte.
Seit dem 7. Oktober sehe man in Deutschland eine Welle von Israelhass und Antisemitismus durch das Land gehen, „wobei kaum noch differenziert wird zwischen dem Handeln der israelischen Regierung vor Ort und den jüdischen Menschen hier in Deutschland“. Die Anzahl antisemitischer Straf- und Gewalttaten sei 2024 in neue Dimensionen gestoßen, sagte Haldenwang. „Es ist für mich eine Schande, wenn in Deutschland Menschen mit ihren jüdischen Symbolen sich nicht mehr in die Öffentlichkeit und jüdische Studenten sich nicht mehr in die Universitäten trauen“, machte er deutlich.
Die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland, so der BfV-Präsident, gehe weiterhin vom Rechtsextremismus aus. In Thüringen hätten Vertreter einer dort „erwiesenermaßen rechtsextremistischen Landespartei“ bei der konstituierenden Sitzung des Landesparlaments „die demokratischen Prozesse ad absurdum geführt“. Hier habe es des Eingreifens des Landesverfassungsgerichts bedurft, um diese Dinge wieder einzubremsen. „Das ist vielleicht ein Vorgeschmack auf das, was uns vielleicht noch bevorsteht“, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
„Die nachrichtendienstliche Bedrohungslage hat sich verstetigt“, bestätigte auch MAD-Präsidentin Rosenberg. Die Landes- und Bündnisverteidigung stehe insbesondere mit Blick auf das Handeln Russlands im Mittelpunkt aller Ertüchtigungsbemühungen der Bundeswehr. Der Schutz vor Sabotage und Spionage habe an immenser Bedeutung gewonnen und stelle auch den MAD vor besondere Herausforderungen.
Ausspähversuche kritischer Infrastrukturen seien besorgniserregend und würden zu erhöhter Wachsamkeit zwingen, sagte sie. Die Bundeswehr stehe dabei im Fokus. „Sei es, um deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine, Ausbildungsvorhaben oder Rüstungsprojekte aufzuklären, oder um durch Sabotagehandlungen das Gefühl der Unsicherheit zu vermitteln.“
Durch Sensibilisierung und Ausbau der Schutzmaßnahmen gelte es eine Verbesserung des Schutzniveaus zu erreichen, betonte die MAD-Präsidentin. Um den Gefahren dabei effektiv entgegentreten zu können, bedarf es aus ihrer Sicht neben der ausreichenden personellen und materiellen Ausstattung auch der Anpassung der gesetzlichen Grundlagen. „Eine effektive Spionageabwehr ist daher wichtiger denn je“, sagte sie.
Trotz aller neuen Herausforderungen dürften die sonstigen Aufgaben, wie etwa die Extremismusabwehr, nicht in den Hintergrund treten, machte Rosenberg deutlich und verwies auf die Zahlen der Verdachtsfallbearbeitung beim MAD, die im Vergleich zum Vorjahr gestiegen seien. Umso entscheidender sei die Verfolgung von tatsächlichen Anhaltspunkten. Nach wie vor gelte: „In der Bundeswehr ist kein Platz für Extremisten.“ Es gelte die Null-Toleranz-Linie, sagte die MAD-Präsidentin.