Expertenstreit um neue Transparenzregeln für Abgeordnete
Berlin: (hib/HAU) Das Vorhaben der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, durch Änderung des Abgeordnetengesetzes, die Transparenzregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages zu verbessern (19/28784), wird von Sachverständigen grundsätzlich unterstützt. Gleichwohl stoßen Teile der Neuregelung bei einigen Expertinnen und Experten auf verfassungsrechtliche Bedenken, wie aus den vorgelegten schriftlichen Stellungnahmen zu einer Anhörung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung am Mittwochnachmittag hervorgeht.
Künftig sollen anzeigepflichtige Einkünfte der Abgeordneten aus Nebentätigkeiten und Unternehmensbeteiligungen dem Gesetzentwurf zufolge betragsgenau auf Euro und Cent veröffentlicht werden. Dabei sollen Einkünfte anzeigepflichtig sein, wenn sie im Monat 1.000 Euro oder bei ganzjährigen Tätigkeiten im Kalenderjahr in der Summe den Betrag von 3.000 Euro übersteigen.
Ferner sollen laut Vorlage Beteiligungen der Parlamentarier sowohl an Kapitalgesellschaften als auch an Personengesellschaften bereits ab fünf Prozent statt wie bislang ab 25 Prozent der Gesellschaftsanteile angezeigt und veröffentlicht werden, dabei erstmals auch indirekte Beteiligungen. Auch Einkünfte aus anzeigepflichtigen Unternehmensbeteiligungen wie etwa Dividenden oder Gewinnausschüttungen sollen anzeige- und veröffentlichungspflichtig werden - ebenso die Einräumung von Optionen auf Gesellschaftsanteile, die als Gegenleistung für eine Tätigkeit gewährt werden.
Zudem sieht der Gesetzentwurf vor, von Dritten bezahlte Lobbytätigkeit von Bundestagsabgeordneten gegenüber der Bundesregierung oder dem Bundestag zu verbieten und Honorare für Vorträge im Zusammenhang mit der parlamentarischen Tätigkeit zu untersagen.
Heinrich Wolff von der Universität Bayreuth teilt mit, auch wenn die Regelungen grundsätzlich zu begrüßen seien, könne nicht ausgeschlossen werden, „dass das Gesamtwerk an der ein oder anderen Stelle an die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen geht“. Nicht völlig zu überblicken sei beispielsweise die Frage, ob die Ausgestaltung der Offenlegungspflichten nicht dazu führen kann, dass Dritte betroffen sind. Wolff fordert zudem, die Zulässigkeit der Honorierung von Vorträgen außerhalb parlamentarischer Tätigkeit ausdrücklich in das Gesetz aufzunehmen oder die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung zu regeln.
Philipp Austermann von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung legt dar, das aus seiner Sicht die Veröffentlichung von Nebeneinkünften „auf Euro und Cent“ verfassungswidrig ist. Sie verstoße gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, da sie unverhältnismäßig sei, urteilt Austermann. Es gebe ein gleich wirksames, im Vergleich aber milderes Mittel: das bestehende Zehn-Stufen-Modell. Dieses informiere in hinreichender Weise über mögliche Abhängigkeiten der Abgeordneten.
Clara Helming, zuständig für Kampagnenarbeit bei der Internetplattform abgeordnetenwatch.de, schreibt, der vorliegende Gesetzentwurf enthalte zahlreiche überfällige Verbesserungen der Transparenzpflichten für Abgeordnete. Es fehle aber eine unabhängige, überparteiliche Transparenzkommission, die die Richtigkeit der Transparenzangaben sicherstellt und bei Verfahren über Verstöße angehört wird. Damit liege die Zuständigkeit zur Überprüfung und Sanktionierung weiterhin beim Bundestagspräsidenten. „Diese Form der Selbstkontrolle widerspricht dem Prinzip der Gewaltenteilung und führt bereits jetzt dazu, dass Abgeordnete bei Regelverstößen kaum Konsequenzen fürchten müssen“, heißt es in ihrer Stellungnahme.
Ähnlich lautet die Einschätzung von Transparency Deutschland. Es brauche eine unabhängige, vom Bundestag gewählte, Kontrollinstanz nach dem Vorbild von Frankreich und Kanada und dem von der Präsidentin der EU- Kommission, Ursula von der Leyen, vorgeschlagenen Ethikrat. Auf diese Weise könne der Eindruck einer nicht funktionierenden Eigenkontrolle der Parlamentarier vermieden und das Amt des Bundestagspräsidenten vor ungerechtfertigten Vorwürfen bewahrt werden, argumentiert der Vorsitzende von Transparency Deutschland, Hartmut Bäumer, mit.
Ann-Katrin Kaufhold von der Ludwig-Maximilians-Universität München hält das Verbot einer bezahlten Vortragstätigkeit für verfassungskonform. Es schütze die Unabhängigkeit der Mandatsausübung, indem es verhindert, dass sich Abgeordnete für Partialinteressen einsetzen, weil sie sich davon lukrative Vortragshonorare versprechen oder weil ihnen solche Honorare gezahlt wurden. Auch werde nicht die Vortragstätigkeit als solche untersagt, „sondern lediglich das Vortragen gegen Bezahlung“, schreibt Kaufhold.
Rechtsanwalt Dieter Wiefelspütz schätzt die detaillierte Offenlegung der Einkünfte auf Euro und Cent als „verfassungsrechtlich unbedenklich“ ein. Transparenzregeln fänden ihre grundsätzliche Rechtfertigung im Vorrang der Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Bundestages gegenüber dem Privatinteresse des Abgeordneten an informationeller Abschirmung seiner Tätigkeiten neben dem Mandat. Das gesetzliche Verbot, und die Abschöpfung verbotswidriger Einkünfte, von bezahlter Lobbytätigkeit von Abgeordneten gegenüber der Bundesregierung oder dem Bundestag ist nach Ansicht des langjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten dringend geboten und ebenfalls verfassungsrechtlich unbedenklich, „weil bezahlte Lobbytätigkeit eines Abgeordneten den Status der Unabhängigkeit des Abgeordneten verletzt“.
Der Entwurf leiste einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung des Vertrauens in die Unabhängigkeit von Abgeordneten und die Integrität des Deutschen Bundestages, schreibt Michael Kubiciel von der Universität Augsburg. Die Änderungen knüpften an Forderungen der beim Europarat angesiedelten GRECO-Staatengruppe gegen Korruption an und beachten aus seiner Sicht die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen. Der Gesetzgeber könne sowohl begrenzte Verbote von Nebentätigkeiten schaffen als auch das System von Anzeigepflichten und darauf bezogene Publizitätsmöglichkeiten gegenstands- und anlassbezogen weiterentwickeln, um neuen Konfliktlagen Rechnung zu tragen, schreibt Kubiciel.