25.03.2025 | Parlament

Antrittsrede von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner bei der konstituierenden Sitzung

[Stenografischer Dienst]

Präsidentin Julia Klöckner: 

Guten Tag! Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Exzellenzen! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Wahl ist weniger eine Auszeichnung, sie ist vielmehr Verpflichtung. In diesem Bewusstsein danke ich Ihnen und euch sehr für dieses große Zeichen und auch den Vorschuss an Vertrauen für dieses Amt. Ich habe den festen Willen, die mir übertragene Aufgabe stets unparteiisch, unaufgeregt und auch unverzagt zu erfüllen - klar in der Sache, aber zugleich verbindend im Miteinander.

Die Konstituierung eines neuen Bundestages ist immer auch ein feierlicher Moment. Es ist ein Ereignis, das Kontinuität mit Neuem verbindet, mit Erneuerung. Es markiert die Stärke der parlamentarischen Demokratie, unserer Demokratie, dass es einen friedlichen Übergang zu neuen Machtverhältnissen durch freie Wahlen gibt. Aber so selbstverständlich, wie wir gerne glauben, ist das nicht. Mit Sorge schaue ich auf die Entwicklungen in der Türkei. Ich möchte die Menschen in der Türkei ermutigen: Demokratie lässt sich nicht aufhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken sowie bei Abgeordneten der AfD)

Unsere freiheitliche Demokratie ist eben keine Selbstverständlichkeit. Über 70 Prozent der Weltbevölkerung leben in Staaten mit autokratischen oder teilautokratischen Staatsformen. Gerade deshalb müssen wir unsere Staatsform mit ganzer Kraft verteidigen, gegen alle, die sie in ihren Grundfesten erschüttern wollen, ganz gleich, aus welcher Richtung diese Angriffe kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der AfD, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Wir können uns freuen über die hohe Wahlbeteiligung bei der vergangenen Bundestagswahl: 82,5 Prozent, die höchste seit der Wiedervereinigung. Nicht freuen und ruhen lassen kann uns das schwindende Vertrauen in Politiker und staatliche Institutionen unseres Landes. Wir brauchen eine neue Vertrauensbeziehung zwischen Bürgerinnen und Bürgern und ihren Volksvertreterinnen und Volksvertretern. 

Die Wählerinnen und Wähler haben am 23. Februar die Mehrheiten im Deutschen Bundestag neu bestimmt. Es wird eine neue Koalition geben, deren Mehrheitswille dieses Land gestalten soll. Ich will an dieser Stelle auch sagen: Mehrheiten, die demokratisch gefunden worden sind, das sind keine Kartelle. 

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Eine Regierung hat jeder Staat. Es ist aber das Vorhandensein einer Opposition im Parlament, das eine Demokratie auszeichnet. Als langjähriges Mitglied in diesem Hohen Haus habe ich beides erlebt: Teil der Regierung und der Mehrheitsfraktionen zu sein sowie in der Opposition zu sitzen. Ich weiß um die Lage in den unterschiedlichen Rollen, in denen sich die Abgeordneten des Bundestages befinden. 

Ihnen, sehr geehrter Herr Alterspräsident, herzlichen Dank für Ihre Rede. Die einen finden Redezeitbeschränkungen gut, andere weniger. 

(Heiterkeit des Abg. Dr. Bernd Baumann (AfD))

Ich bedanke mich sehr für Ihren Aufgalopp heute. Das Wachen über die Redezeit ist vom Stuhl der Präsidentin aus ein Leichtes; dafür gibt es eine Uhr. Aber ich werde nicht nur auf die Uhr schauen, ich werde auch hinhören - zum Rednerpult und in den Saal hinein. Hierbei gibt es einen ganz klaren Gradmesser für mich: den Anstand. Einen kontroversen Diskurs müssen wir führen, aushalten, ertragen - ja, das gehört dazu -, nach klaren Regeln, nach klaren Verfahren und Mehrheiten. Ich werde darauf achten, dass wir ein zivilisiertes Miteinander pflegen und, wenn wir dies nicht tun, es erlernen. Ja, es kommt beim Streiten auf den Stil an und auch auf den Respekt im Umgang miteinander. Die Art, wie wir hier miteinander umgehen und Argumente austauschen, hat - da bin ich mir sehr sicher - Einfluss auf gesellschaftliche Debatten. Wir ringen hier im Plenum um Lösungen der Probleme, die unser Land aufwühlen. Die vergangene Bundesregierung ist am intensiven Streit auseinandergegangen. Angesichts der Anforderungen, vor denen unser Land steht, sollten wir miteinander den Stil des Diskurses gemeinsam überdenken. Im Parlament führen wir Auseinandersetzungen stellvertretend für die Gesellschaft. Demokratie bedeutet - von „Demos“, Volk - also Herrschaft des Volkes. Nicht wir herrschen, sondern das Volk hat uns beauftragt. Und wie wir das tun, das ist prägend. Seien wir grundsätzlich bereit, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dem anderen zuzuhören und seine Beweggründe verstehen zu wollen, auch wenn man sie vielleicht nicht teilt. Aber der Ansatz, verstehen zu wollen, stellt keine Überforderung dar, sondern bedeutet einen ordentlichen Umgang miteinander. 

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Dabei hat die Mehrheit nicht automatisch recht, die Minderheit aber auch nicht. Kritisieren wir einander; das gehört dazu. Aber reden wir uns nicht gegenseitig persönlich schlecht. Wir kommen nicht ins Stolpern, nur weil wir einen Schritt aufeinander zugehen. „Verfallen wir nicht in den Fehler, bei jedem Andersmeinenden entweder an seinem Verstand oder an seinem guten Willen zu zweifeln.“ Das stammt nicht von mir, sondern von Otto von Bismarck.

Die Verengung der zulässigen Diskursräume in Richtung der eigenen Ansichten ist im Übrigen keine gute Entwicklung in jüngster Zeit. Wer Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt ernst nimmt, der muss auch andere Sichtweisen ertragen, sie aushalten. 

(Zuruf von der AfD: Hört! Hört!)

Nicht jede Meinung, die ich selbst nicht teile, kommt dem Extremismus gleich. Demokratie ist im besten Sinne Zumutung. Haben wir den Mut zum gegenseitigen Zuhören, zum Aushalten des Meinungsspektrums im Rahmen unserer Verfassung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Vielen Dank, liebe Bärbel Bas, für Ihren Einsatz in den vergangenen dreieinhalb Jahren; Sie haben unermüdlich für faire Debatten in diesem Haus gekämpft. Und wenn man schaut, was alles an Ereignissen in dreieinhalb Jahre passt: Es gab in dieser Zeit bewegende und zum Teil auch sehr kontroverse Sitzungen hier im Deutschen Bundestag. Wir haben etwa über die Folgen der russischen Aggression oder des Terrorangriffs der Hamas, wir haben über die Energieversorgung oder die Rolle der Bundeswehr hier diskutiert. Eine Bundestagsfraktion hat sich aufgelöst. Der Bundeskanzler hat die Vertrauensfrage gestellt. Ich danke Ihnen, liebe Kollegin Bas, im Namen des ganzen Hauses für Ihren Einsatz und für Ihre Verdienste in dieser Zeit. Alles Gute für Sie! 

(Beifall im ganzen Hause)

Ich freue mich auch sehr, auf der Ehrentribüne Sabine Bergmann-Pohl und Norbert Lammert begrüßen zu können, unsere Amtsvorgänger. Sehr geehrter Herr Bundespräsident Christian Wulff, ich freue mich sehr, dass auch Sie heute da sind. 

Ich danke den scheidenden Mitgliedern des Bundestagspräsidiums Yvonne Magwas, Aydan Özoğuz, Katrin Göring-Eckardt, Petra Pau und Wolfgang Kubicki sowie den Schriftführerinnen und Schriftführern. 

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Und ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die dieses Haus verlassen, für ihre Verdienste um unsere Demokratie. 333 Personen gehören dem neuen Deutschen Bundestag nicht mehr an. Manche haben einfach nicht mehr kandidiert, andere haben eine Wahl verloren, und wieder andere haben eine Wahl gewonnen und trotzdem ihr Mandat verloren. Letzteres ist das Ergebnis des neuen Wahlrechts - leider. Das Ziel der Wahlrechtsreform war eine Verkleinerung des Deutschen Bundestages, und dieses Ziel wurde erreicht. Ich habe aber Zweifel, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ob wir den Wählerinnen und Wählern wirklich überzeugend erklären können, warum 23 Kandidatinnen und Kandidaten, die in ihrem Wahlkreis die Stimmenmehrheit gewonnen haben, nun kein Mandat zugeteilt wird. 

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD und der Linken)

Zugegeben, das Wahlrecht war in Deutschland schon immer etwas kompliziert. Doch eines konnte man bislang sehr einfach erklären: dass die Wähler mit ihrer Erststimme einen Abgeordneten in den Deutschen Bundestag wählen. 

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Stefan Keuter (AfD))

Aus diesem Grund: Sollten nicht künftig wieder diejenigen, die in ihrem jeweiligen Wahlkreis das größte Vertrauen genießen, ihre Heimat auch im Deutschen Bundestag vertreten dürfen? Es muss doch möglich sein, das Ziel der Wahlrechtsreform - eine deutliche Verkleinerung des Bundestages - mit einem verständlichen und gerechten Wahlrecht zu verbinden. Da sind wir alle gefordert; ich sage das auch an meine eigenen Reihen gerichtet. Als je verständlicher und gerechter ein Wahlsystem empfunden wird, desto größer ist dessen Akzeptanz in der Bevölkerung. Deshalb: Lassen Sie uns ruhig in dieser neuen Legislaturperiode noch einmal gründlich darüber nachdenken. 

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Schließlich ein herzliches Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - sei es in der Bundestagsverwaltung, in den Abgeordnetenbüros oder in den Fraktionen -: Danke für Ihre umsichtige Organisation nicht nur des heutigen Tages. „Demokratie möglich machen“ ist der selbstgewählte Leitspruch der Bundestagsverwaltung - ein treffender Satz, der vor allem die Motivation der rund 3 200 Menschen zeigt, die uns Abgeordnete aus der Verwaltung heraus unterstützen. Nach der Verkleinerung des Deutschen Bundestages auf 630 Sitze werden wir zu Recht mit der Frage konfrontiert, ob ein kleineres Parlament nicht auch mit weniger eigenen Ressourcen auskommen kann. Die Frage ist berechtigt. Ich verspreche, dieser Frage nicht auszuweichen. Lassen Sie uns parlamentarisch auch in den Kommissionen des Ältestenrates darüber beraten, wie wir konsolidieren und sparen und mit gutem Beispiel vorangehen können, einem Beispiel, dem sich die Bundesregierung dann gerne anschließen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Rainer Kraft (AfD))

Wie wird, verehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere künftige Arbeit nun aussehen? Sie sollte von Kompromissen geleitet sein. Der politische Kompromiss ist systemimmanent. Demokratie ohne Kompromiss ist keine Demokratie; der Kompromiss ist ihr Wesenskern und der Normalfall. Und der Kompromiss ist eben nicht nur die zweitbeste Lösung. Wer Kompromisse schließt, zeigt Stärke und Handlungsfähigkeit. Dabei muss ein Kompromiss keineswegs nur das Verständigen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner sein. Der Kompromiss dient nicht selten dem Ausgleich sich gegenseitig widerstrebender Interessen. Er kann auch befrieden. Wichtig ist, dass er sachlich gut begründet werden kann, sinnvoll und auch zielführend ist. Am Ende stehen mehrheitlich beschlossene Entscheidungen, die von allen respektiert werden müssen, auch von jenen, die anderer Meinung sind.

Es war Helmut Schmidt, der sagte: In der Demokratie gibt es keine dauerhaften Siege, aber auch keine endgültigen Niederlagen. - Je breiter das politische Spektrum, desto wichtiger werden diese gemeinsamen Grundregeln, die von allen akzeptiert werden.

Eine offene Fehlerkultur kann uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, helfen, verlorengegangenes Vertrauen in die Politik wiederzugewinnen. Wir als Volksvertreter dürfen uns nicht zu fein sein, Fehler einzugestehen. Ja, wir alle machen Fehler. Wo Menschen handeln, passieren Fehler. Diese zuzugeben, ist die einzigartige Stärke der Demokratie; in einer Diktatur hören Sie nichts von Fehlern.

Dieses Parlament wird der neuen Bundesregierung mindestens ebenso deutlich auf die Finger schauen, wie es der 20. Deutsche Bundestag bei der alten Bundesregierung getan hat. Sollte eine neue Regierung die Auffassung entwickeln, dieses Parlament sei nur zum Abnicken ihrer Vorstellungen gewählt, möchte ich schon heute möglichen späteren Enttäuschungen vorbeugen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Wir Abgeordneten kontrollieren die Regierung. Sie schuldet uns Rechenschaft, und nicht umgekehrt; denn das Parlament ist keine nachgeordnete Behörde der Bundesregierung. 

(Christian Görke (Die Linke): Ganz meine Meinung!)

Zentrales Instrument für diese Rechenschaft ist im Übrigen das parlamentarische Fragerecht. Dieses müssen wir weiter stärken, nicht zuletzt mit Blick auf die Regierungsbefragung. 

Durch die vorgezogene Neuwahl konnte der 20. Bundestag ein großes Projekt, das ich mit Blick auf die Stärkung des Parlamentes für sehr essenziell betrachte, nicht zu Ende bringen: die Reform der Geschäftsordnung. Ich werde dafür arbeiten, dass wir eine Reform in dieser Legislaturperiode gemeinsam hinbekommen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, vor etwas mehr als einem Jahr haben wir an dieser Stelle unseres ehemaligen Bundestagspräsidenten Dr. Wolfgang Schäuble gedacht. Bei einer Konferenz der EU-Parlamentspräsidenten hatte er vor der - ich zitiere - „algorithmengesteuerten Aufmerksamkeitsökonomie“ im Netz gewarnt, die Teilöffentlichkeiten zementiere, Hass und Desinformation befördere und die Gesellschaft polarisiere. Wir können die Algorithmen nicht ändern. Wir können diese Teilöffentlichkeiten aber auch nicht einfach sich selbst überlassen. Beschreiten wir den Weg in die sogenannten sozialen Medien noch stärker! Ich nenne diese Plattformen die „digitalen Theken“. Wir müssen dort ebenso streitbar Position beziehen wie an den Stammtischen im Land oder hier im Deutschen Bundestag. Wir müssen aber auch dem Irrtum entgegentreten, dass die in der eigenen Blase entwickelten Auffassungen mit denen der Mehrheit gleichzusetzen sind. Lautstärke ist nicht automatisch Mehrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Politische braucht die konkrete Begegnung, das Miteinander und auch den zivilisierten Streit. Das gilt auch für die virtuelle Öffentlichkeit. Demokratie nur digital, das wird niemals gelingen. Dennoch: Wir müssen an den „digitalen Theken“ präsent sein und mitreden, wir Abgeordneten persönlich, aber auch das Parlament als Ganzes. Dazu gehört eine noch besser funktionierende, benutzerorientierte Digitalisierung unserer parlamentarischen Arbeit. Der Deutsche Bundestag ist schon eines der meistbesuchten Parlamente dieser Welt. Das ist etwas Wunderbares. Wir sind aber noch lange nicht das modernste Parlament dieser Welt; das sollte unser Anspruch werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der 21. Bundestag ist natürlich anders als seine Vorgänger. Was bleibt, ist die Vielfalt, zum Beispiel an beruflichen Hintergründen, Lebenswegen und Lebenserfahrungen. Ein Blick auf die Berufsbilder zeigt: An Juristen und Lehrern mangelt es uns weniger. Gut ist, dass auch Krankenschwestern, Erzieherinnen und Handwerker unter unseren Volksvertretern sind.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD und der Linken)

Das Durchschnittsalter der Abgeordneten beträgt 47 Jahre. Sehr geehrte Herren, Sie erhöhen das Durchschnittsalter; 

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

die Frauen hier im Parlament sind im Durchschnitt jünger.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Jüngste in diesem Parlament ist 23 Jahre alt

(Beifall bei Abgeordneten der Linken)

und der Älteste 84. 

230 von uns sind neu in diesem Parlament. Ich verspreche Ihnen: Auf Sie wartet eine außergewöhnliche, eine erfüllende und gleichzeitig auch sehr fordernde Arbeit. Doch vergessen Sie bitte bei all Ihren fordernden und zehrenden Einsätzen nie Ihre Familien und Freunde, diejenigen, die eben vorher schon da waren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Auch wir Abgeordnete, die wir häufig in der Öffentlichkeit stehen und angegriffen werden, brauchen Rückzugsorte, Erdung und manchmal guten Zuspruch. 

Frauen machen im Übrigen weniger als ein Drittel der Abgeordneten aus. Dabei besteht unsere Gesellschaft zu mehr als der Hälfte aus Frauen. Ein Parlament, das für alle spricht, sollte die gesellschaftlichen Gruppen angemessen repräsentieren; das ist mit Blick auf die Geschlechter ganz offensichtlich noch nicht überall gelungen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Denn das Wahlrecht hindert seit 1918 keine Frau mehr an der Kandidatur, die Rahmenbedingungen tun es offenbar sehr wohl. Für mich heißt das: Wir müssen uns mehr anstrengen, um mehr Frauen in die Politik und in die Parlamente zu holen. Dazu gehören - nicht nur, aber auch - Lebensnähe und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 

Konkret möchte ich Ihnen kurz von vergangener Woche berichten. Nachdem wir hier im Saal debattiert hatten, wurde abgestimmt. Zwei junge Mütter kamen auf mich zu. Beide trugen einen drei bzw. vier Wochen alten Säugling bei sich. Warum? Weil diese kleinen Menschen nicht einfach abgelegt werden können, wenn die Mutter abstimmen muss und ihre Präsenz erforderlich ist. Damit dies möglich war, musste eine Sondergenehmigung recht umständlich erteilt werden. Wenn wir mehr Menschen aus allen Lebensbereichen und vor allem mehr Frauen in diesem Parlament haben wollen, dann müssen wir mehr auf Lebenspraktikabilität achten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken sowie bei Abgeordneten der AfD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Abgeordnete sind viel unterwegs in unseren Wahlkreisen - bei den Menschen, die uns gewählt haben, aber auch bei denen, die uns nicht gewählt haben. Als Abgeordnete vertreten wir nicht nur diejenigen, die uns gewählt haben; das sollte uns sehr bewusst sein. Wir vertreten ein ganzes Volk; aber niemand vertritt ein ganzes Volk allein. Wir nehmen mit, was die Bürgerinnen und Bürger beschäftigt und was sie sich wünschen. Vielleicht wissen und fühlen wir Abgeordnete manchmal besser als Forschungsinstitute, was die Menschen wirklich bewegt. Dafür brauchen wir das „hörende Herz“, von dem Papst Benedikt in seiner Rede hier im Deutschen Bundestag gesprochen hat. Dieses „hörende Herz“ brauchen auch wir Abgeordnete untereinander als Grundlage und zugleich als Voraussetzung für ein gedeihliches Miteinander. Erst zusammen sind wir Deutschland. Niemand allein ist Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir nehmen unsere Arbeit in einer sehr aufgewühlten Zeit auf - gesellschaftspolitisch, wirtschaftlich, geostrategisch. Europa muss jetzt mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit übernehmen. 

Ich danke allen Soldatinnen und Soldaten, auch unserer Polizei, allen Sicherheits- und Rettungskräften in unserem Land für ihren Dienst und ihren Einsatz zu unser aller Wohl und unser aller Schutz. Wer Sie angreift, greift uns alle an.

(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Linken)

Aber Deutschland kämpft gerade auch um seine internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit um Wachstum, Wohlstand, Arbeitsplätze und Nachhaltigkeit. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns, dass wir ihre Probleme und Sorgen angehen. Sie wollen konsequente Reformen, auch in der Politik selbst.

(Beifall der Abg. Gitta Connemann (CDU/CSU))

Es ist ein schöner Zufall, dass sich der 21. Bundestag an einem 25. März konstituiert, dem Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Ohne die großen Staatsmänner Konrad Adenauer und Charles de Gaulle wäre die europäische Einigung nicht möglich gewesen. In meiner Heimatstadt Bad Kreuznach haben sie sich zum ersten Mal auf deutschem Boden getroffen. Später knüpften Helmut Kohl und François Mitterrand daran an. Ich freue mich, wenn wir international die Kontakte halten, intensivieren und aufbauen.

Ich freue mich besonders, dass heute der Botschafter des Staates Israel, Ron Prosor, unser Gast ist.

(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Linken)

Wir erleben immer wieder Angriffe auf jüdisches Leben in unserem Land. Nicht nur an den Rändern der Gesellschaft erstarken Kräfte, die den Nationalsozialismus verharmlosen. Auf der Straße, auf den Schulhöfen, in Universitäten und im Internet sind rassistische und antisemitische Parolen zu hören. Keine Form des Antisemitismus darf salonfähig werden, keine ist tolerabel, und keine ist zu entschuldigen!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der Linken)

Sehr geehrter Herr Botschafter, am 12. Mai jährt sich zum sechzigsten Mal die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Der Einsatz für jüdisches Leben in Deutschland und die Beziehung zwischen Deutschland und Israel werden mir in meinem Amt ein wichtiges Anliegen sein.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns an die Arbeit gehen. Wir müssen in unserem Land die Stimmung wieder verbessern, nicht uns permanent selbst schlechtreden. Wir brauchen Optimismus und Zuversicht. Dieser Ruck, dieser Optimismusruck, muss wieder durch unser Land gehen.

Ich wünsche Ihnen allen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern alles Gute für diese neue Legislaturperiode. Ich wünsche uns eine gute und glückliche Hand, ein hörendes Herz und denen, denen es wichtig ist, wie mir auch, Gottes reichen Segen. Mögen wir behütet sein und wissen: Wir geben immer nur die vorletzten Antworten auf die großen Fragen unserer Gesellschaft.

Alles Gute und herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken - Die Abgeordneten der CDU/CSU erheben sich - Dr. Alice Weidel (AfD): Eine schöne Rede! - Dr. Bernd Baumann (AfD): Eine tolle Rede!)