Verteidigung

Experten: Müssen im Weltraum verteidigen und abschrecken können

Ein Ingenieur sitzt im neuen Zentrum für Weltraumsicherheit der europäischen Raumfahrtagentur ESA, das sich im Europäischen Satellitenkontrollzentrum (ESOC) befindet, vor einem Monitor, der eine Animation zeigt.

Die Weltraumsicherheitsstrategie war Gegenstand der Anhörung des Verteidigungsausschusses. (© picture alliance/dpa | Arne Dedert)

Zeit: Montag, 23. September 2024, 14.30 bis 17.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.900

Über sicherheitspolitische Herausforderungen im Weltraum haben sich die zu einer öffentlichen Anhörung des Verteidigungsausschusses am Montag, 23. September 2024, geladenen Sachverständigen ausgetauscht. 

Zunehmende Vernetzung der Welt

Michael Kniepen als Vertreter des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) verwies auf die zunehmende Vernetzung der Welt, wobei der Weltraum eine entscheidende Rolle spiele. Viele weltraumgestützte Dienste seien unverzichtbar für die moderne Gesellschaft, die wirtschaftliche Entwicklung und die militärische Handlungsfähigkeit. “Wir befinden uns im Weltraum in einem strategischen Wettbewerb, in dem Staaten, aber auch einzelne Unternehmen miteinander konkurrieren„, machte der Ministeriumsvertreter deutlich. 

China etwa investiere massiv in den Ausbau seiner Weltraum-Infrastruktur, darunter auch in kinetische Fähigkeiten zur Zerstörung von Satelliten durch luftgestützte und bodengebundene Waffensysteme sowie im Orbit befindliche Satelliten. China verfüge aber auch über elektromagnetische Störungsfähigkeiten, die die Nutzung von Satelliten-Navigationssystemen einschränken oder manipulieren können. 

Um den zunehmenden Herausforderungen und Bedrohungen Rechnung tragen zu können, erstelle die Bundesregierung eine Weltraumsicherheitsstrategie, sagte Kniepen weiter. Diese definiere drei strategische Handlungsfelder: Gefahren, Bedrohungen und Handlungsoptionen erkennen; internationale Kooperationen sowie Wehrhaftigkeit und Abschreckung aufbauen. 

Resilienz und glaubwürdige Abschreckung

Um unsere eigenen Systeme zu schützen, so sagte Juliana Suess vom Royal United Services Institute, brauche es ein umfassendes Lagebewusstsein, wodurch man Gefahren und Risiken jeweils im Auge behalten könne. “Wir brauchen aber auch eine Strategie, die Resilienz und glaubwürdige Abschreckung schafft„, fügte sie hinzu. 

Der Weltraum sei eine Domäne, “mit der wir militärisch rechnen müssen„. Weltraum sei kein Luxus, den man sich leisten könne, wenn die konventionellen Streitkräfte breit aufgestellt sind, so die Expertin. Der Weltraum bilde vielmehr die Basis dafür. 

Weltraum “ein militärischer Operationsraum„

Der Weltraum sei schon jetzt ein militärischer Operationsraum, werde aber auch eine eigene Domäne der Kriegsführung werden, sagte Dr. Antje Nötzold von der Technischen Universität Chemnitz. Ein Beleg dafür sei, dass der Krieg in der Ukraine mit der Störung von Satellitensystemen begonnen habe. Geopolitik, Geoökonomie und Sicherheitspolitik fänden bereits im Weltraum statt. “Wir müssen die Zeitenwende über unseren Köpfen auch entsprechend wahrnehmen„, forderte sie. 

Die Ankündigung der Weltraumsicherheitsstrategie zeige, dass die Bedeutung des Weltraums richtig erkannt worden sei. Jetzt sei die Umsetzung “dringend geboten„. Es müsse unter anderem geklärt werden, was für eine Wehrhaftigkeit und glaubwürdige Abschreckung benötigt werde. 

Deutsche und europäische Eigenständigkeit 

Das Rückgrat aller Vernetzung seien Weltraumsysteme, sagte Matthias Wachter vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI): “Dadurch entstehen neue Verwundbarkeiten, die noch nicht richtig erfasst sind.„ Insofern sei die geplante Weltraumsicherheitsstrategie zu begrüßen. Diese sollte aus Sicht des BDI stärker auf deutsche und europäische Eigenständigkeit setzen, Innovationen fördern und die Fähigkeiten des kommerziellen NewSpace-Ökosystems in Deutschland stärker für die Bundeswehr nutzen. 

Zudem, so Wachter, sollten die Zuständigkeiten für die Dimension Weltraum innerhalb der Bundeswehr gebündelt werden. Die aktuelle Aufteilung auf das Weltraumkommando bei der Luftwaffe und der neuen Teilstreitkraft Cyber- und Informationsraum (CIR) führe zu Reibungsverlusten und Ineffizienzen.

EU-Weltraumstrategie

Dr. Regina Peldszus vom Europäischen Auswärtigen Dienst ging auf die 2023 vorgestellte EU-Weltraumstrategie ein. Die durch die Strategie entstandenen oder gestärkten Werkzeuge seien praktische Beispiele der gemeinschaftlichen, zwischenstaatlichen Kooperation im EU-Rahmen, “ohne dass dabei hoheitliche Interessen auf die Seite gelegt werden„, sagte Peldszus. 

In der Strategie werden konkrete Maßnahmen dargelegt, mit denen die relevanten Instrumente der EU zur Reaktion auf Bedrohungen im Weltraum mobilisiert werden, um den bestehenden Mechanismus zur Reaktion auf Bedrohungen im Weltraum, der derzeit für den Schutz von Galileo eingesetzt wird, auf alle Weltraumsysteme und -dienste in der EU auszuweiten. 

Außerdem geht es darum, Objekte im Weltraum besser zu erkennen und zu identifizieren, indem im Wege der sogenannten “Space Domain Awareness“ (SDA) gewonnene Informationen durch nationale Weltraumleitstellen zugänglich gemacht werden, um unangemessene Verhaltensweisen im Weltraum zu charakterisieren und EU-Ressourcen zu schützen.

Keine militärischen oder zivilen Regeln

Vizeadmiral Dr. Thomas Daum vom Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr machte ebenfalls deutlich, dass es ohne den Weltraum keine Digitalisierung gebe. Derzeit, so Daum, existierten im Grunde keine militärischen oder zivilen Regeln für die Weltraumnutzung außer Selbstverpflichtungen. Daher sehe die Bundeswehr aus militärischer Sicht die Risiken, „dass der Weltraum angegriffen wird, dass er zum Gefechtsfeld wird und das der Einsatz von Weltraumsystemen unterbunden wird“. Man wolle den Weltraum zur Gewinnung und Übermittlung von Informationen nutzen, sagte der Vizeadmiral.

Die Bundeswehr sei aktuell im Wesentlichen noch auf internationales Krisenmanagement ausgerichtet. Der Umbau auf Landes- und Bündnisverteidigung sei in Arbeit. Bislang, so Daum, seien bei Bedarf Satellitenkapazitäten angemietet worden – etwa für eine Fregatte, die in den Indopazifik fährt. „Das wird man unter Landes- und Bündnisverteidigung entsprechend neu andenken müssen“, sagte er.

Weltraumsicherheitsrat unter Vorsitz des Kanzleramtes 

Es sei im staatlichen Interesse, die Weltrauminfrastruktur durch den konsequenten Auf- und Ausbau von Weltraumlagefähigkeiten adäquat zu schützen, befand der Friedens- und Konfliktforscher Sonay Sarac. Erste Vorgaben existierten bereits in der Nationalen Sicherheitsstrategie und der deutschen Raumfahrtstrategie. Diese sollten jetzt in der Weltraumsicherheitsstrategie mit konkreten Umsetzungsschritten weiter ausgeführt werden. 

Sarac hält die Gründung einer im Bundeskanzleramt verankerten Position mit hierarchischer Weisungsbefugnis gegenüber anderen relevanten Ressorts für sinnvoll. Zudem sei die Schaffung eines spezialisierten Weltraumsicherheitsrats unter dem Vorsitz des Bundeskanzleramtes denkbar, um die ressortübergreifende Koordinierung und Zusammenarbeit bei strategischen Weltraumsicherheitsthemen zu verbessern.

International offene Kooperationen

Prof. Dr. Lutz Kleinwächter vom Verein WeltTrends forderte Multipolarität statt Systemkampf. Keine der Großmächte und Koalitionen könne auf der Erde oder im Weltraum die anderen überwinden oder besiegen. Die Realitäten erforderten eine militärisch gewaltfreie, zivile strategische Streitkultur. 

„Wir brauchen international offene Kooperationen“, sagte Kleinwächter – langfristig gesehen auch mit China und Russland. Auch Kleinwächter sprach sich ebenfalls für eine Ansiedlung im Bundeskanzleramt aus. Bei der Bundeswehr sprach er sich für eine Zusammenlegung der Kommandos aus. (hau/26.09.2024)

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