Parlament

Fraktionslosigkeit und Fraktionswechsel von Abgeordneten seit 1990

Sitzplatz eines fraktionslosen MdB.

Fraktionslose Abgeordnete suchen ihren Sitzplatz im hinteren Bereich des Plenarsaals. Die vorderen Plätze werden von Fraktionsmitgliedern eingenommen. (© DBT / Werner Schüring)

Von den 733 Abgeordneten des Deutschen Bundestages gehören sieben keiner Fraktion und auch keiner Gruppe an. Da ist zunächst der 2021 ins Parlament gewählte Abgeordnete Stefan Seidler aus Schleswig-Holstein zu nennen. Er ist Mitglied des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW), der Partei der dänischen und friesischen Minderheit, für die die Fünf-Prozent-Hürde nicht gilt (Paragraf 4 Absatz 2 Satz 3 des Bundeswahlgesetzes). 

Der Abgeordnete Matthias Helferich aus Nordrhein-Westfalen war 2021 über die AfD-Landesliste in den Bundestag eingezogen, jedoch nicht Mitglied der AfD-Fraktion geworden. Die übrigen Fünf der sieben Fraktionslosen sind im Verlauf dieser Wahlperiode aus der AfD-Fraktion ausgetreten: Uwe Witt aus Schleswig-Holstein und Johannes Huber aus Bayern am 31. Dezember 2021, Robert Farle aus Sachsen-Anhalt am 9. September 2022, Joana Cotar aus Hessen am 21. November 2022 und Thomas Seitz aus Baden-Württemberg am 31. März 2024.

Sekmen, Lutze

Neben diesen Fraktionsaustritten gab es auch zwei Fraktionswechsel: Die Mannheimer Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen Melis Sekmen, 2021 in den Bundestag gewählt und Berichterstatterin ihrer Fraktion für Gründungen und Start-ups, Mittelstand und Gesundheitswirtschaft, trat am 2. Juli 2024 aus der Grünen-Fraktion aus und eine Woche später, am 9. Juli 2024, als CDU-Parteimitglied in die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein.

Den ersten Fraktionswechsel hatte am 10. Oktober 2023 der Abgeordnete der damaligen Fraktion Die Linke, Thomas Lutze, vollzogen. Der Verkehrspolitiker aus dem Saarland, Abgeordneter seit 2009, wurde ohne zwischenzeitliche Fraktionslosigkeit in die SPD-Fraktion aufgenommen. 

Die Auflösung der Fraktion Die Linke am 6. Dezember 2023 aufgrund des Parteiaustritts von zehn Abgeordneten am 23. Oktober 2023 ließ die Zahl fraktionsloser Abgeordneter zwischenzeitlich auf 44 ansteigen. Am 2. Februar 2024 erkannte der Bundestag 28 Abgeordnete als Gruppe Die Linke und zehn Abgeordnete als Gruppe Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) an, sodass die Zahl der Fraktionslosen im Parlament wieder auf sechs sank. 

34 Austritte und fünf Wiedereintritte

Seit der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 haben 34 Abgeordnete ihre Fraktion verlassen, zwei davon wurden ausgeschlossen. Fünf von ihnen sind während einer laufenden Wahlperiode in ihre ehemalige oder in eine andere Fraktion wieder eingetreten, zwei haben mit Wahlperiodenbeginn ihre Abgeordnetentätigkeit in einer anderen Fraktion fortgesetzt. 

Berücksichtigt sind dabei nur Austritte, die in die Fraktionslosigkeit oder zur Mitgliedschaft in einer anderen Fraktion führten.

Bülow, Nüßlein, Löbel

Von den neun Fraktionsaustritten der Wahlperiode von 2017 bis 2021 betreffen sechs die AfD-Fraktion, zwei die Unionsfraktion und einer die SPD-Fraktion. Aus letzterer trat am 28. November 2018 der Dortmunder Abgeordnete Marco Bülow aus, nachdem er seit 2002 fünfmal hintereinander den Wahlkreis Dortmund I direkt gewonnen hatte. Bülow war 2020 in die Partei „Die Partei“ eingetreten und hatte bei der Bundestagswahl 2021 in seinem alten Wahlkreis für sie kandidiert, ohne den Wiedereinzug zu schaffen.

Aus der Unionsfraktion sind am 7. März 2021 der CSU-Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein und am 8. März 2021 der CDU-Abgeordnete Nikolaus Löbel ausgetreten. Nüßlein aus dem bayerischen Wahlkreis Neu-Ulm gehörte dem Bundestag von 2002 bis 2021 an, Löbel (Wahlkreis Mannheim) von 2017 bis 2021. Beide Fraktions- und auch Parteiaustritte standen im Zusammenhang mit Ermittlungen im Zuge der sogenannten „Maskenaffäre“ (Beschaffung von Covid-19-Schutzmasken). Während Nüßlein bis zum Ende der Wahlperiode fraktionsloser Abgeordneter blieb, schied Löbel nach zweitägiger Fraktionslosigkeit am 10. März 2021 aus dem Bundestag aus.  

Sechs Austritte und ein Wiedereintritt bei der AfD

Der AfD-Fraktion kehrten am 2. Januar 2019 der Abgeordnete Uwe Kamann (Nordrhein-Westfalen), am 28. Dezember 2019 Lars Herrmann (Sachsen), am 27. Januar 2020 Verena Hartmann (Sachsen) und am 15. November 2020 Frank Pasemann (Sachsen-Anhalt) den Rücken.

Am 25. Juni 2021 folgten Bruno Hollnagel (Schleswig-Holstein) und am 30. Juni 2021 Heiko Heßenkemper (Sachsen) ihrem Beispiel. Heßenkemper trat allerdings am 24. August 2021 der AfD-Fraktion erneut bei.

Bereits vor der konstituierenden Sitzung des Bundestages am 24. Oktober 2017 waren die direkt gewählte sächsische Abgeordnete Dr. Frauke Petry und der über Landesliste gewählte nordrhein-westfälische Abgeordnete Mario Mieruch aus der AfD, für die sie kandidiert hatten, ausgetreten. Beide blieben bis zum Ende der Wahlperiode 2021 fraktionslose Abgeordnete.

Steinbach, Nešković

Die 18. Wahlperiode des Bundestages (2013 bis 2017) verzeichnet nur einen Fraktionsaustritt: Die Frankfurter CDU-Abgeordnete und langjährige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen Erika Steinbach, Bundestagsabgeordnete seit 1990, verließ am 15. Januar 2017 die Unionsfraktion und blieb bis zum Ende der Wahlperiode fraktionslos. 

Nur einen Fraktionsaustritt gab es auch in der Wahlperiode davor: Am 13. Dezember 2012 gab der brandenburgische Abgeordnete Wolfgang Nešković seine Mitgliedschaft in der Fraktion Die Linke zugunsten der Fraktionslosigkeit auf.

Winkelmeier, Nitzsche, Tauss

Drei Austritte wurden hingegen von 2005 bis 2009 registriert. Am 13. Februar 2006 trat der rheinland-pfälzische Abgeordnete der Linken Gert Winkelmeier, Abgeordneter seit 2005, aus der Fraktion aus. Der sächsische CDU-Abgeordnete Henry Nitzsche, seit 2002 im Bundestag, folgte am 15. Dezember 2006. 

Am 20. Juni 2009 verließ schließlich der baden-württembergische SPD-Abgeordnete Jörg Tauss aufgrund von Differenzen mit seiner Partei im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten in Kommunikationsnetzen seine Fraktion und Partei, um vorübergehend Mitglied der Piratenpartei zu werden und bis zum Ende der Wahlperiode fraktionsloser Abgeordneter zu bleiben.

Möllemann, Hohmann

In der nur dreijährigen Wahlperiode von 2002 bis 2005 schloss die FDP-Fraktion ihren nordrhein-westfälischen Abgeordneten Jürgen W. Möllemann am 11. Februar 2003 wegen umstrittener Wahlkampf-Finanzierung aus. Möllemann blieb fraktionsloser Abgeordneter bis zu seinem tödlichen Fallschirmsprung am 5. Juni 2003. Er gehörte dem Bundestag von 1972 bis 2000 und wieder ab 2002 an. 

Von seiner Fraktion ausgeschlossen wurde am 14. November 2003 auch der hessische CDU-Abgeordnete Martin Hohmann, seit 1998 im Bundestag. Er blieb bis zum Ende der Wahlperiode 2005 fraktionsloser Abgeordneter und kehrte 2017 als AfD-Abgeordneter erneut für eine Wahlperiode ins Parlament zurück. Anlass für den Fraktionsausschluss war eine Rede Hohmanns zum Tag der Deutschen Einheit 2003 gewesen.

Hiksch, Lörcher

Den Wechsel in die Fraktionslosigkeit unternahmen in der Wahlperiode von 1998 bis 2002 zwei SPD-Abgeordnete. Uwe Hiksch aus dem bayerischen Coburg, Abgeordneter seit 1994, verließ die Fraktion am 28. September 1999 und schloss sich am 5. Oktober 1999 der PDS-Fraktion an, für die er bis zum Ende der Wahlperiode wirkte.

Die baden-württembergische Abgeordnete Christa Lörcher schied aus der SPD-Fraktion aus, um vom 15. November 2001 bis zum Ende der Wahlperiode fraktionslose Abgeordnete zu bleiben. Bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 16. November 2001 stimmte Lörcher mit „Nein“. Die Vertrauensfrage war verknüpft mit der Zustimmung zur Bundeswehr-Beteiligung am Nato-Einsatz in Afghanistan, die Lörcher ablehnte.

Neumann, Lengsfeld

Auch in der 13. Wahlperiode von 1994 bis 1998 gab es einen Fraktionsaustritt und einen Fraktionswechsel. Der 1994 in den Bundestag gewählte und 2021 verstorbene Berliner SPD-Abgeordnete Kurt Neumann verließ seine Fraktion am 8. Oktober 1996 und blieb fraktionsloser Abgeordneter bis 1998. 

Vera Lengsfeld, Thüringer Bundestagsabgeordnete von 1990 bis 2005, trat am 16. Dezember 1996 aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus und einen Tag später in die CDU/CSU-Fraktion ein.

Lowack, Krause, Hackel, Schenk

Sechs Fraktionsaustritte und ein Wiedereintritt wurden in der Wahlperiode nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 registriert. Den Auftakt machte der Bayreuther CSU-Abgeordnete Ortwin Lowack, Mitglied des Bundestages von 1980 bis 1994, der am 22. April 1991 wegen Differenzen mit seiner Partei aus der Unionsfraktion ausschied und bis zum Ende der Wahlperiode fraktionslos blieb.

Differenzen mit der Partei waren auch die Ursache für den Austritt des 1990 in den Bundestag gewählten CDU-Abgeordneten Rudolf Karl Krause aus Sachsen-Anhalt aus der Unionsfraktion am 25. Mai 1993. Er blieb fraktionsloser Abgeordneter bis 1994. Nach seinem Austritt aus der CDU schloss er sich vorübergehend der Partei Die Republikaner an.

Mit Heinz-Dieter Hackel verließ am 20. März 1994 ein weiterer 1990 in den Bundestag gewählter Abgeordneter aus Sachsen-Anhalt seine Fraktion. Der vormalige FDP-Abgeordnete blieb bis zum Ende der Wahlperiode fraktionslos.

Aus der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen schied am 10. Mai 1994 die seit 1990 dem Bundestag angehörende sächsische Abgeordnete Christina Schenk (heute Christian Schenk) aus, um bis zum Ende der Wahlperiode fraktionslos zu bleiben. Schenk gehörte dem Bundestag danach von 1994 bis 2002 als Mitglied der PDS-Fraktion an.

Henn, Briefs, Stachowa

Der PDS-Abgeordnete Bernd Henn aus Sachsen-Anhalt, Abgeordneter von 1990 bis 1994, verließ am 21. Oktober 1991 die Gruppe PDS/Linke Liste, um ihr am 1. Januar 1993 wieder beizutreten.

Der Gruppe PDS/LL kehrte am 19. Dezember 1991 auch der 2005 verstorbene sächsische Abgeordnete Prof. Dr. Ulrich Briefs den Rücken und blieb bis 1994 fraktionslos. Briefs hatte dem Bundestag bereits seit 1987 als nordrhein-westfälischer Abgeordneter der Grünen angehört und war am 1. Oktober 1990 auch aus dieser Fraktion ausgetreten. 

Schließlich trat am 15. Juni 1994 auch die 2022 verstorbene sächsische Abgeordnete Angela Stachowa aus der Gruppe PDS/LL aus und blieb bis zum Ende der Wahlperiode fraktionslos. (vom/09.08.2024)