Parlament

Abschließende Beratungen ohne Aussprache

Ohne Aussprache hat der Bundestag am Donnerstag, 4. Juli 2024, über eine Reihe von Vorlagen entschieden:

Medizinische Notfallversorgung: Der Bundestag hat einen Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel “Medizinische Notfallversorgung schnell, qualitativ hochwertig und bezahlbar gestalten„ (20/5364) mit dem Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Gruppe Die Linke abgelehnt. Dazu lag eine Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses (20/12045) vor. Aus Sicht der Fraktion muss die Notfallversorgung organisatorisch und hinsichtlich der Finanzierung reformiert werden. Nur so könne die schnelle Erreichbarkeit des Arztes im Notfall sichergestellt und die Finanzierbarkeit langfristig gewährleistet werden, heißt es im Antrag. Die aktuelle Situation sei gekennzeichnet durch lange Wartezeiten und regional durch Überlastung des Rettungsdienstes mit nicht eingehaltenen Hilfsfristen. Die Fraktion schlägt vor, bundesweit Rettungsleitstellen als alleinige telefonische Ansprechstellen für die Hilfesuchenden im medizinischen Notfall unter der Rufnummer 112 zu schaffen und von dort die Patienten gezielt an Arztpraxen oder Krankenhäuser weiterzuleiten. Sie empfiehlt, die Einführung eines gemeinsamen Abrechnungssystems für ambulante Leistungen in Notfällen einzuführen. Leistungen des Rettungsdienstes sollten inklusive Transport als Leistungsbereich in das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) aufgenommen werden.

Rettungsdienst: Abgelehnt wurde mit den Stimmen von SPD, Union, Grüne, FDP und Die Gruppe Die Linke ein weiterer AfD-Antrag mit dem Titel “Rettungsdienst sofort retten„ (20/8871), zu dem der Gesundheitsausschuss ebenfalls eine Beschlussempfehlung (20/12045) vorgelegt hat. Im Antrag wird als Grund für die Zunahme der Einsätze des Rettungsdienstes neben einer wachsenden Anspruchshaltung der Bevölkerung auch Unkenntnis über die Aufgaben der unterschiedlichen Akteure in der Versorgung ausgemacht. Aus Sicht der Fraktion sollten daher bundesweit gemeinsame Rettungsleitstellen als alleinige telefonische Ansprechstellen für die Hilfesuchenden im medizinischen Notfall unter der bundesweit einheitlichen Rufnummer 112 geschaffen werden. Die Abgeordneten fordern unter anderem, dass versorgungsrelevante private Rettungsdienst- und Krankentransportunternehmen Hilfen bei der Überwindung nicht selbst verschuldeter finanzieller Probleme erhalten. Dem Personal in den Rettungsleitstellen müsse die Möglichkeit eingeräumt werden, auch in Fällen, in denen eine ärztliche Verordnung (“Transportschein„) noch nicht vorliegt, einen Krankentransport zu veranlassen, statt einen Rettungsdiensteinsatz einzuleiten. Mitarbeitern in den Rettungsleitstellen müsse zudem ermöglicht werden, neben Rettungsdiensteinsätzen und Einsätzen des qualifizierten Krankentransports einen Pflegedienst oder kommunale Einrichtungen der Altenhilfe zu vermitteln oder ein Taxi zu schicken. 

Abgeordnetenentschädigung: Abgelehnt wurde ein Gesetzentwurf der Gruppe Die Linke zur Aussetzung des Anpassungsverfahrens gemäß Paragraf 11 Absatz 4 des Abgeordnetengesetzes für das Jahr 2024 (20/11422), zu dem der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung eine Beschlussempfehlung (20/12063) vorgelegt hat. Der Entwurf fand keine Mehrheit gegen das Votum von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP bei Enthaltung der AfD und Zustimmung durch die Gruppe Die Linke. Die Linke will, dass die Bundestagsabgeordneten und die betroffenen deutschen Europaabgeordneten in diesem Jahr auf die vorgesehene sechsprozentige Erhöhung ihrer Abgeordnetenentschädigung verzichten. Das Anpassungsverfahren sieht vor, dass die Entschädigungen jährlich zum 1. Juli an die Entwicklung des Nominallohnindex angepasst werden. Die Gruppe begründet ihren Gesetzentwurf mit der angespannten Haushaltslage des Bundes sowie der allgemeinen sozialen und wirtschaftlichen Lage.

Künstliche Intelligenz (KI): Der Bundestag hat einen Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel “Förderung quelloffener KI-Lösungen„ abgelehnt. Dagegen haben SPD, CDU/CSU, Grüne, FDP und Die Linke gestimmt, dafür die AfD. Dazu hat der Ausschuss für Digitales eine Beschlussempfehlung (20/11549) vorgelegt. Die Fraktion fordert die Bundesregierung auf, zu prüfen, wo Open-Source-Produkte in der öffentlichen Verwaltung über den bestehenden Rahmen hinaus eingesetzt werden können. Die AfD plädiert dafür, dass neben dem Einsparen von Kosten auch die Abhängigkeit von einzelnen Unternehmen reduziert werden müsse. Weiter wollen die Abgeordneten, dass die Bundesregierung über die punktuelle Förderung von Open-Source-KI-Lösungen hinaus eine Open-Source-Strategie erarbeitet, deren “primäres Ziel die Schaffung und Bewahrung einer deutschen digitalen Souveränität„ sein solle. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) müsse so ausgestattet werden, dass dort “marktreife, auf Open Source beruhende KI-Lösungen„ auf Sicherheitserfordernisse geprüft werden können, heißt es im Antrag. Die Fraktion fordert weiter, die Investitionssumme in quelloffene KI-Lösungen im Haushalt 2024 zentral auszuweisen und nicht über mehrere Ressorts zu verteilen.

Globale Mindeststeuer: Mit breiter Mehrheit abgelehnt wurde ferner ein Antrag der Gruppe Die Linke mit dem Titel “Globale Mindeststeuer für Milliardärinnen und Milliardäre einführen„ (20/11630), zu dem eine Beschlussempfehlung des Finanzausschusses (20/12140) vorlag. Die Bundesregierung soll sich “in allen internationalen Gremien„ aktiv für eine solche Steuer einsetzen, fordert die Fraktion. Der Bundestag solle darüber hinaus feststellen, dass die globale Vermögensungleichheit steigt. Als Beleg wird dabei auf eine Oxfam-Studie verwiesen. Die Gruppe verweist auch auf Äußerungen von Brasiliens Finanzminister Fernando Haddad und Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire sowie den Internationalen Währungsfonds (IWF), den Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz und den Direktor des EU Tax Observatory Gabriel Zucman bezüglich einer solchen Mindestbesteuerung von “Superreichen„.

Wirtschaft: Auf Grundlage einer Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses (20/11677) hat das Parlament einen Antrag der AfD-Fraktion gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt, in dem diese einen “Aufschwung für Deutschland„ verlangt (20/11378) haben. Darin fordert die AfD die Bundesregierung unter anderem dazu auf, “ein erneutes Haushaltschaos zu verhindern„ und dafür “massive Einsparungen bei der sogenannten Transformation, der Migrationspolitik und den damit verbundenen Sozialleistungen sowie der Entwicklungshilfe und nicht zuletzt bei Verwaltung und Personal vorzunehmen„. Weiter will die Fraktion, dass Steuern und Abgaben gesenkt werden, in dem der Solidaritätszuschlag, die Luftverkehrssteuer und die Grundsteuer komplett abgeschafft werden. Gefordert wird weiter, die Bürokratie abzubauen und “ideologische Verbote„ aufzuheben, indem beispielsweise das Verbrennerverbot gekippt, das Gebäudeenergiegesetz rückgängig gemacht und das Lieferkettengesetz abgeschafft werden.

Bürokratieabbau: Die Bürokratiebelastung für Unternehmen durch den “Abbau ideologischer und impraktikabler Berichts-, Dokumentations- und Kontrollpflichten„ zu verringern, fordert die AfD-Fraktion in einem Antrag (20/8875), zu dem der Rechtsausschuss eine Beschlussempfehlung (20/9488) abgegeben hat. Die Vorlage fand keine Mehrheit gegen die Stimmen von SPD, CDU/CSU, Grüne, FDP und die Gruppe Die Linke. Hierzu sollte die Bundesregierung unter anderem Gesetzentwürfe vorlegen, die andere Gesetze wie beispielsweise das Gebäudeenergiegesetz außer Kraft setzen, um Unternehmen von “unverhältnismäßigen Vorschriften bei der Instandhaltung und beim Bau von Gebäuden„ zu entlasten. Weiterhin fordert die Fraktion, auf “klimapolitische„ und ökologische Auflagen zu verzichten; stattdessen sollten Investitionszuschüsse an die Vorlage von Energiesparkonzepten oder Diversitätskennzahlen gekoppelt werden. Verwaltungsleistungen für Unternehmen und Bürger sollen künftig vollständig digitalisiert angeboten werden, heißt es in dem Antrag. Um dies zu realisieren müsse der “digitale Umsetzungsstau„ im Rahmen des novellierten Onlinezugangsgesetzes aufgelöst werden.

Atomausstieg-Untersuchungsausschuss: Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, einen zweiten Untersuchungsausschuss der laufenden Wahlperiode einzurichten (20/11731) wurde mit den Stimmen der Union und der AfD bei Enthaltung von SPD, Grüne, FDP sowie der Gruppe Die Linke angenommen. Dazu lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (20/12142) vor. Der Ausschuss solle sich “ein umfassendes und detailliertes Gesamtbild verschaffen von den Entscheidungsprozessen in der Bundesregierung zur Anpassung der Energieversorgung Deutschlands„. Dabei soll es um die Energiepolitik nach dem Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine und die dadurch fundamental veränderte Lage gehen. Der  Untersuchungszeitraum soll mit dem 24. Februar 2022 beginnen und mit dem Beschluss des Bundestages über die Einsetzung des 2. Untersuchungsausschusses enden. Insbesondere soll geklärt werden, ob und gegebenenfalls welche Informationen über die Energieversorgung und ihre Entwicklung sowie die nukleare Sicherheit verfügbar waren und in die Entscheidungsprozesse in der Bundesregierung einbezogen wurden. Geprüft werden soll weiter, ob Bundestag und Öffentlichkeit zu Ablauf, Grundlage und Ergebnis der Entscheidungsprozesse und zu den getroffenen Entscheidungen umfassend, zeitnah, sachgerecht und zutreffend informiert wurden. Zum Untersuchungsauftrag gehört ebenfalls, ob die von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit Blick auf die nach Kriegsbeginn diskutierte mögliche Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke am 27. Februar 2022 zugesagte “ergebnisoffene Prüfung„ beziehungsweise die am 1. März 2022 angekündigte Prüfung, bei der es “keine Tabus„ geben sollte, stattgefunden hat. 

Bundespolizei: Mit breiter Mehrheit abgelehnt wurde ein Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel “Bundespolizei in Grenzregionen wirksam entlasten„ (20/10616) gegen das Votum der Antragsteller, zu dem eine Beschlussempfehlung des Innenausschusses vorlag (20/11421). Vielerorts seien die Dienststellen der Bundespolizei in Grenznähe in personeller Hinsicht überlastet, schreibt die Fraktion. Danach binden das Aufgreifen und die Registrierung illegal eingereister Asylantragsteller “übermäßig polizeiliche Kapazitäten, die an anderer Stelle fehlen„. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die grenznahen Dienststellen der Bundespolizei, die “ einer überdurchschnittlichen Arbeitsbelastung infolge der fortdauernden illegalen Migration nach Deutschland besonders ausgesetzt sind„, durch eine Erhöhung des Stellenplanes personell zu entlasten und dauerhaft zusätzliche Bundespolizeibeamte in diese Dienststellen zu versetzen.

Petitionen: Das Parlament hat darüber hinaus über zehn Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses zu Petitionen abgestimmt, die beim Bundestag eingegangen und vom Petitionsausschuss beraten worden waren. Es handelt sich um die Sammelübersichten 615 bis 624 (20/12015, 20/12016, 20/12017, 20/12018, 20/12019, 20/12020, 20/12021, 20/12022, 20/12023, 20/12024, 20/12125, 20/12126, 20/12127, 20/12128, 20/12129, 20/12130, 20/12131, 20/12132, 20/12133, 20/12134, 20/12135, 20/12136, 20/12137, 20/12138, 20/12139).

Befreiung von der Rentenversicherungspflicht bei Minijobbern

Darunter befindet sich auch eine Petition mit der Forderung, dass eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für geringfügig entlohnte Beschäftigung (“Minijobs“) innerhalb eines Arbeitsverhältnisses rückgängig gemacht werden kann. Aus Sicht der Petentin ist es nicht zu begründen, dass eine solche Befreiung jederzeit möglich ist, obwohl sie oft Nachteile mit sich bringe, während der Widerruf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfordere. „Eine Anpassung an andere Lebensverhältnisse sollte jederzeit ohne Nachteile des Arbeitnehmers möglich sein, zumal der Arbeitgeber unbetroffen ist“, heißt es in der öffentlichen Petition (ID 116536).

Viele Minijobber würden zunächst in Unkenntnis der Folgen die Befreiung unterzeichnen, „da sie kurzfristig gesehen mehr Nettogehalt bringt“, schreibt die Petentin. Langfristig bringe dies jedoch „gravierende Nachteile beim Rentenbezug“ mit sich. So würden beispielsweise bei einer Befreiung die Rentenjahre nicht voll angerechnet. 

Höchstmögliches Votum „zur Berücksichtigung“

Die in der Sitzung des Petitionsausschusses am 26. Juni verabschiedete Beschlussempfehlung an den Bundestag sieht nun vor, die Petition der Bundesregierung mit dem höchstmöglichen Votum „zur Berücksichtigung“ zu überweisen. 

Den Verfahrensgrundsätzen des Petitionsausschusses zufolge bedeutet dies, dass aus Sicht der Abgeordneten „das Anliegen der Petentin begründet und Abhilfe notwendig ist“. Der Bundesregierung wird zur Beantwortung eine Frist von sechs Wochen gesetzt.

Arbeitgeber zahlt Pauschalbeitrag

Der Petitionsausschuss verweist in der Begründung zu seiner Beschlussempfehlung darauf, dass grundsätzlich geringfügig entlohnte Beschäftigungen in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig seien. Der Arbeitgeber zahle in diesem Fall einen Pauschalbeitrag in Höhe von 15 Prozent. Der Arbeitnehmer trage einen Beitragsanteil in Höhe von 3,6 Prozent vom Arbeitsentgelt. 

Geringfügig entlohnte Beschäftigte hätten jedoch die Möglichkeit, sich von der Rentenversicherungspflicht befreien zu lassen, „wobei die Arbeitgeber auch in diesem Fall einen Pauschalbeitrag in Höhe von 15 Prozent zahlen“. Der Arbeitnehmer zahle hingegen keine eigenen Beiträge, sodass ihm folglich ein höherer Nettolohn zur Verfügung steht. Die Befreiung, so heißt es in der Begründung, sei dabei für die Dauer dieser und aller gegebenenfalls weiteren ausgeübten geringfügig entlohnten Beschäftigungen bindend. 

Nachvollziehbar, aber mit Problemen verbunden

Die Forderung der Petentin, die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht bei einer geringfügigen Beschäftigung rückgängig machen zu können, ist aus Sicht des Petitionsausschusses nachvollziehbar. Gleichzeitig machen die Abgeordneten auf damit verbundene Probleme aufmerksam. 

So würde die Möglichkeit einer jederzeitigen Rücknahme der Befreiung es ermöglichen, anlässlich eines konkreten Bedarfs Leistungen zu erhalten, beispielsweise für eine Reha-Maßnahme, ohne zuvor Versicherungsbeiträge geleistet zu haben. Dies widerspräche dem Versicherungsprinzip und wäre sozialpolitisch bedenklich, „weil die Gefahr einer negativen Risikoselektion zulasten der Versichertengemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen würde“. Außerdem würde die Möglichkeit der Rücknahme einen erheblichen Mehraufwand für die Minijob-Zentrale als Einzugsstelle für geringfügig Beschäftigte und für Arbeitgeber bedeuten. 

(hau/vom/emu/04.07.2024)

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