Abgeordnete treffen Befürworter und Gegner der Ortsumfahrung Altenmarkt in Bayern
Es ist laut an diesem Freitagmorgen vor dem Altenmarkter Rathaus. Und eng. Nicht nur, weil das Amtsgebäude an der schmalen Hauptstraße liegt, der B 304, über die sich ein schwerer Lastwagen nach dem nächsten durch die 4.000-Einwohner-Gemeinde in Oberbayern schiebt. Sondern auch seinetwegen: Reinhold Schopf, 63, Vorsitzender des Umweltschutzverbands Alztal und Umgebung (UVA).
Genauer, wegen seines Kampfs gegen den Bau der Ortsumfahrung Altenmarkt, mit dem er an diesem Freitag, 12. April 2024, nicht nur eine Gruppe Abgeordneter des Deutschen Bundestages in den Chiemgau gebracht, sondern mit ihr auch gleich zwei Demonstrationen auf den Plan gerufen hat: die eine, wie Schopf, gegen das geplante Bauvorhaben des Bundes. Die andere dafür.
„Nein, danke!“ oder „Jetzt sofort!“
Das Projekt soll die verkehrsgeplagten Anwohner entlasten. Allerdings, so befürchten Schopf und seine Mitstreiter, zum Leidwesen der Natur und umliegenden Gemeinden. Seit Jahrzehnten macht sich der Verein deshalb gegen die Umfahrung stark, deren erste Pläne bis in die 1970er Jahre reichen. Als das Vorhaben zunehmend konkret wurde, wandte sich Schopf Anfang 2022 mit einer Beschwerde an den Petitionsausschuss, der nun angereist ist, um sich die Situation vor Ort anzuschauen.
Und so stehen sich an diesem verregneten Apriltag beide Seiten gegenüber, um Delegationsleiterin Beate Walter-Rosenheimer (Bündnis 90/Die Grünen) und die anderen Parlamentarier von ihrer Sicht zu überzeugen. Die einen links vom Rathaus, die anderen rechts. Es gibt Brezeln und Kaffee, dazu Musik. Fast schon Volksfest-Atmosphäre – wären da nicht die zahlreichen Protestschilder. „Nah-Erholung statt Fern-Verkehr“ und „Nicht um diesen Preis“ ist auf den Schildern der einen Seite zu lesen. „Umfahrung so bald wie möglich“ und „Wann kann Altenmarkt aufatmen“, auf jenen der anderen.
„Uns ist nicht egal, was vor Ort passiert“
Die Lage ist verzwickt, so sieht es auch die Grünenabgeordnete Walter-Rosenheimer. Umweltschutz auf der einen Seite, Gesundheitsschutz der Altenmarkter auf der anderen. Umso wichtiger sei es, dass sie und ihre Kollegen aus den anderen Fraktionen sich aus nächster Nähe ein Bild machen. Auch wenn es, wie die Delegationsleiterin betont, nicht in der Entscheidungsgewalt des Petitionsausschusses liegt, ob die Umfahrung gebaut wird oder nicht. Das Gremium gibt lediglich eine Empfehlung ab, wie mit der Beschwerde verfahren werden soll. Hält der Ausschuss eine Petition für begründet, kann er sie aber zum Beispiel zur Berücksichtigung an die Regierung überweisen.
Bevor die Mitglieder ihre Voten fällen, heißt es Akten studieren und Stellungnahmen einholen. Und ein paar Mal im Jahr bricht eine Delegation auf, um sich, wie an diesem Tag, den Konfliktherd aus nächster Nähe anzuschauen. „Wir wollen den Menschen vor Ort zeigen, dass es uns nicht egal ist, was hier passiert“, sagt Walter-Rosenheimer. Hier, das heißt dieses Mal rund 650 Kilometer vom Bundestag in Berlin entfernt im oberbayerischen Landkreis Traunstein.
„Hauptschlagader für Südostoberbayern“
Die Gemeinde Altenmarkt liegt in der Traun-Alz-Achse, einer überregional bedeutenden Nord-Süd-Bundesstraßenverbindung zwischen den Autobahnen A 94 bei Altötting und A 8 bei Traunstein. Als „verkehrliche Hauptschlagadern“ für die Region Südostoberbayern bezeichnet das Bundesverkehrsministerium die 50 Kilometer lange Achse aus B 299 und B 304, die mitten im Ortskern von Altenmarkt Anschluss haben. Jeden Tag rollen durchschnittlich rund 15.000 Fahrzeuge über die Hauptstraße, mehr als ein Zehntel davon sind LKW. Mit den Baumaßnamen soll, so das Verkehrsministerium, eine „leistungsfähige und verkehrssichere“ Bundesstraßenverbindung geschaffen werden, die den Anforderungen dieser wirtschaftlich starken Region gerecht wird.
Im Bundesverkehrswegeplan, dem Rahmenprogramm für künftige Investitionen des Bundes, ist die aus zwei Bauabschnitten bestehende Ortsumgehung Altenmarkt deshalb als sogenannter vordringlicher Bedarf verzeichnet. Der erste Teil, der Aubergtunnel, ist bereits umgesetzt. Für den zweiten Teil hat im vergangenen Jahr das Planfeststellungsverfahren begonnen.
„Verkehrsprobleme werden nur verlagert“
Reinhold Schopf hält das für einen Fehler. „Wir wollen unsere Lebensqualität nicht für ein Verkehrsprojekt opfern, das aus unserer Sicht nicht mehr zeitgemäß ist“, sagt er. Der 63-Jährige lebt seit mehr als 30 Jahren in Pirach, einem Ortsteil der benachbarten Stadt Trostberg. Auf den Termin mit dem Petitionsausschuss hat er sich gut vorbereitet. Er hat Luftbilder ausgedruckt und markiert, was er für neuralgische Punkte hält. Hat Verkehrszählungen und Höhenprofile analysiert, und zusammengetragen, was seiner Meinung nach gegen das Vorhaben des Bundes spricht.
Eine ganze Menge, das wird schnell klar, wirft man einen Blick in einen der blauen Schnellhefter, die er zu Beginn des Gesprächs im Sitzungssaal des Rathauses an die Anwesenden verteilt hat. Schopf ist überzeugt, der Neubau hätte massive Folgen für die Region: Die rund sechs Kilometer lange Trasse zerstöre die Naherholungsgebiete, sorge wegen der Höhenunterschiede für mehr Emissionen und erzeuge ein Hochwasserrisiko für Trostberg. Außerdem, fügt er hinzu, hätte sich die prognostizierte Verkehrszunahme in Altenmarkt nicht bewahrheitet. Er deutet auf seine Mappe, darin ein Säulendiagramm mit der Überschrift „Verkehrszählungen Altenmarkt letzte 40 Jahre“. Der geplante Neubau hingegen ziehe noch mehr Fernverkehr an. Außerdem würden mit einer Umfahrung die Probleme nur verlagert – zum Beispiel nach St. Georgen.
„Die Auswirkungen sind enorm“
Etwa vier Kilometer südlich von Altenmarkt liegt der Ort, der aus Sicht des Petenten einen besonders kritischen Punkt in der Planung darstellt. Warum, das will er den Abgeordneten während der Ortsbegehung aus nächster Nähe zeigen und läuft, den blauen Schnellhefter in der einen Hand, einen roten Regenschirm in der anderen, voran. „Linkerhand ist der Mühlbach“, sagt Schopf, „und hier, durch diese Engstelle in St. Georgen, soll die Strecke gehen.“ Er zeigt die Straße entlang. Nach Meinung des Petenten eine Gefahrenquelle, für die es bisher keine Lösung gibt. Statt der Umfahrung hält Schopf andere Maßnahmen für sinnvoller, um die Altenmarkter zu entlasten. Zum Beispiel einen Ausbau der Bahnstrecke und einen Lärmaktionsplan.
Unterstützung erfährt Schopfs Petition vom Umweltverband BUND Naturschutz in Bayern. „Die Auswirkungen dieses Neubaus sind enorm“, kritisiert Beate Rutkowski. Nicht zuletzt für zahlreiche Tierarten und das Klima, schließlich werde nach dem Bau mit einer Verkehrszunahme von 30 Prozent gerechnet. Das widerspreche den geltenden Klimaschutzgesetzen. Ähnlich sehen das die Mitglieder der Bürgerinitiative „B304 Neu? Nein, danke!“. Deren Vertreterin Marianne Penn betont vor den Abgeordneten: „Klimaschutz darf nicht auf morgen verschoben werden.“
„LKW müssen raus aus dem Ortskern“
Anderer Meinung ist der Bürgermeister von Altenmarkt. „Der Slogan ‚Mehr Güter auf die Schiene‘ allein löst die Probleme nicht“, sagt Stephan Bierschneider. Im Unterschied zu seinen Amtskollegen aus den angrenzenden Gemeinden spricht er sich für das Bauvorhaben aus. Der Streckenabschnitt sei „aus gutem Grund“ in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans eingeordnet worden, zumal die Verkehrsbelastung in Altenmarkt weit über dem Durchschnitt in Bayern liege. Und von der seien schließlich rund doppelt so viele Menschen betroffen, als Reinhold Schopfs Petition Mitzeichnungen erhalten habe.
Eine von ihnen ist Margot Gruber. Für die 67-Jährige könnte es mit dem Bau gar nicht schnell genug losgehen. Sie hofft, dass es dann endlich wieder ruhiger wird in ihrer Gemeinde. Und sicherer, vor allem für Kinder. „Die Situation ist eine Katastrophe“, sagt auch die gebürtige Altenmarkterin Laura Gasteiger (33), die mit ihren beiden Töchtern zur Demo gekommen ist. Sie fordert: „Die LKW müssen raus aus dem Ortskern.“
Pläne des Bundes stoßen auf geteiltes Echo
Für sie alle könnte die Umfahrung eine echte Erleichterung von dieser „absolut belastenden Situation“ bringen, ist die Parlamentarische Staatssekretärin Bärbel Kofler (SPD) überzeugt. Sie verweist auf Zahlen des Staatlichen Bauamts Traunstein, nach denen der LKW-Verkehr im Ortskern mit den Baumaßnahmen um 85 Prozent reduziert würde. Außer um die Entlastung der Anwohner gehe es bei dem Projekt auch darum, das Verkehrsnetz Südostoberbayern insgesamt zu modernisieren, fügt Stephan Mayer (CDU/CSU) hinzu. Damit habe das Vorhaben auch überregionale Bedeutung.
Dass sich an der Verkehrssituation vor Ort dringend etwas ändern muss, da sind sich wohl alle einig – auf den Demos vor dem Rathaus, genauso wie im Sitzungssaal. Allein auf das „Wie“ kann man sich nicht verständigen. Auch bei den Abgeordneten gehen die Meinungen auseinander: Während sich Delegationsleiterin Beate Walter-Rosenheimer gegen die Umfahrung positioniert, sprechen sich die anderen Parlamentarier dafür aus. Und so werden die Diskussionen wohl noch eine ganze Weile weitergehen. Nicht nur im bayerischen Altenmarkt, sondern auch bei den Abgeordneten in Berlin. (irs/22.04.2024)