EU-Osterweiterung: Positive Bilanz, doch andere Modalitäten für weitere Beitritte
Die EU-Osterweiterung vor 20 Jahren gilt als eine der wichtigsten geopolitischen Entscheidungen der Europäischen Union (EU), das machten zahlreiche Redner in der Vereinbarten Debatte zum Jahrestag deutlich. Am 1. Mai 2004 traten Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern – ehemalige Sowjetrepubliken und Warschauer-Pakt-Staaten – der EU bei.
In einer Beratung am Donnerstag, 25. April 2024, würdigte der Bundestag die bislang größte EU-Erweiterung und betonte die Notwendigkeit weiterer Aufnahmen, vor allem um den Einfluss von Ländern wie Russland, China, der Türkei und arabischen Staaten in Ost- und Südosteuropa einzudämmen. Dr. Anna Lührmann (Bündnis 90/Die Grünen), Staatsministerin im Auswärtigen Amt, warnte davor, sich auf Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen und warb für die Aufnahme neuer Mitglieder bei gleichzeitigen Reformen der EU.
FDP: EU hat das Potenzial für mehr Mitglieder
Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) erinnerte daran, dass vor 20 Jahren auch drei Staaten der früheren Sowjetunion – Estland, Lettland, Litauen – in die EU aufgenommen wurden. „Sie haben ihr Recht auf freie Bündniswahl wahrgenommen“, sagte die Liberale. Dieser Aspekt sei auch heute wichtig, vor allem vor dem Hintergrund der russischen Bedrohung. „Die Idealvorstellung, Sicherheit und Frieden gemeinsam mit Russland zu organisieren, müssen wir als gescheitert ansehen.“
Es seien vor allem die baltischen Staaten und Polen gewesen, die jahrzehntelang vor der imperialistischen Politik Putins gewarnt hätten, und es sei „tragisch“, dass sie Recht behalten sollten. Putin habe alle Staaten, die sich westlich orientierten, bedroht und angegriffen. Georgien habe das 2008 erfahren und die Ukraine seit 2014. Jede Form der Annäherung an die EU sei im Kreml als Verletzung russischer Sicherheitsinteressen gedeutet worden. Die EU sehe sich aktuell mit hybrider Kriegsführung und Desinformationskampagnen konfrontiert. Der Kreml versuche den Zusammenhalt der EU aufzubrechen und die Gesellschaft zu spalten, darauf gelte es zu reagieren.
Die EU habe das Potenzial für mehr Mitglieder, die Bedingungen für eine Aufnahme seien klar geregelt. Länder, die sie erfüllten, hätten die Möglichkeit auf eine Mitgliedschaft. Aber auch die EU müsse sich reformieren, damit die Handlungsfähigkeit erhöht werde. Strack-Zimmermann sprach sich dafür aus, „das Einstimmigkeitsprinzip“ zu überarbeiten.
Grüne: Eine beispiellose Erfolgsgeschichte
Robin Wagener (Bündnis 90/Die Grünen) schloss sich diesen Gedanken an. Auch heute wirke das europäische Freiheitsversprechen auf viele Menschen in Staaten Osteuropas, ein Blick nach Georgien genüge. Dort gingen die Menschen für Meinungs- und Pressefreiheit auf die Straßen und gegen den Einfluss Russlands. „Die EU-Osterweiterung ist und bleibt eine beispiellose Erfolgsgeschichte“, sagte Wagener, auch wenn es in einigen EU-Ländern Rückschritte gegeben habe. Der Kontinent wäre ohne die Osterweiterung „nicht besser“.
Die Erweiterungspolitik sei Motor für politische und ökonomische Transformation und Wachstum für die Länder. Die Osterweiterung sei „mehr denn je eine geostrategische Investition in Sicherheit, in Demokratie und in Freiheit auf unserem Kontinent“.
SPD: EU ist Raum für Demokratie
Frank Schwabe (SPD) betonte: „Die EU ist nicht nur ein Wirtschaftsprojekt, sondern auch ein Raum für Demokratie und Rechtsstaat.“ Er verwies auf Polen und Ungarn und stellte die Frage: „Wo wären diese Länder, wenn sie nicht die Leitplanken der EU gehabt hätten?“
Schwabe erinnerte daran, dass diese Länder vor ihrem EU-Beitritt Mitglieder des Europarates gewesen seien. Dort fänden sich auch heute Staaten, die in die EU aufgenommen werden möchten. Er halte es deshalb für notwendig, die Mitgliedschaft im Europarat zu nutzen, um zukünftige Erweiterungsprozesse der EU zu gestalten.
Union für „abgestuftes Beitrittsverfahren“
Auch Gunther Krichbaum (CDU/CSU) richtete den Blick auf künftige Beitrittsstaaten. Jedoch brauche es eine Überarbeitung der Beitrittsmodalitäten. Er plädierte für ein „abgestuftes Beitrittsverfahren“. Damit würde ein Land, das in der Sicherheitspolitik bereits zu hundert Prozent die Anforderungen der EU erfülle, als assoziiertes Mitglied gelten, mit Beobachterstatus im Europäischen Rat und im Europäischen Parlament.
Das wäre ein „deutliches Signal in Richtung China und Russland“. Im Fall Bosnien-Herzegowina wäre ein solches Vorgehen ein deutliches Signal „an die Türkei und arabische Staaten“. Diese geopolitischen Signale müsse die EU heute „dringender denn je aussenden“, sagte Krichbaum.
AfD nennt EU „leckgeschlagenes Schiff“
Die Vertreter der AfD-Fraktion und der Gruppen Die Linke und BSW kritisierten jede weitere EU-Erweiterung. Dr. Rainer Rothfuß (AfD) bezeichnete die EU als „leckgeschlagenes Schiff“.
Auf der Erweiterungsliste stünden ausschließlich Staaten, die Hilfe bräuchten. Die Ukraine, als ein vom Krieg zerstörtes Land, überfordere „die schwächelnde EU“. Der Umgang mit Ländern wie Serbien sei nicht akzeptabel, dabei spiele das Land aktuell eine wichtige Rolle als „Brücke zwischen Ost und West“.
Fraktionslose gegen EU-Erweiterung
Susanne Hennig-Wellsow (Die Linke) verwies auf die Dominanz der großen Staaten in der EU und auf „immer mehr Abschottung“. Dieses Prinzip müsse überwunden werden, damit es mehr gemeinsame europäische Regelungen vor allem in den Bereichen Arbeit und Soziales gebe. Die Bundesregierung bleibe in diesen Punkten weit zurück.
Andrej Hunko (BSW) zitierte Umfragen, wonach die Mehrheit der Menschen in Frankreich und Deutschland gegen eine Erweiterung der EU sei. Unter den aktuellen Umständen „wäre die Aufnahme der Ukraine oder der Türkei unverantwortlich“, sagte Hunko. Die Debatten in der EU würden zunehmend geopolitisch geführt, die Sprache „des Krieges herrscht wieder in Europa“ und der Irrglaube, nur hochgerüstete Armeen trügen zur Sicherheit bei, prägten die Debatten. Stattdessen müssten von Europa „diplomatische Initiativen ausgehen“. (nki/25.04.2024)