Parlamentarier streiten über agrarpolitischen Kurs der Bundesregierung
Unter dem Eindruck massiver Proteste von Landwirten und der am Freitag beginnenden Internationalen Grünen Woche debattierte der Bundestag am Donnerstag, 18. Januar 2024, über die Zukunft der Landwirtschaft. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) hat in seiner Rede im Parlament für parteiübergreifende Lösungen geworben, um bessere Rahmenbedingungen für die Branche zu erreichen.
Im Zentrum der Plenardebatte stand der Agrarpolitische Bericht der Bundesregierung 2023 (20/9100), der nach der Aussprache zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft überwiesen wurde. Mit der Mehrheit von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU und AfD nahm das Parlament zudem einen Antrag der Koalitionsfraktionen an, in welchem diese fordern, die Bundesregierung solle den „Modernisierungsprozess“ in Richtung einer ökologisch und ökonomisch nachhaltigen, langfristig zukunftsfesten Landwirtschaft unterstützen (20/10057).
Ein von der Unionsfraktion vorgelegter Antrag mit dem Titel „Landwirtschaft unterstützen statt ruinieren“ (20/10050) wurde namentlich abgestimmt und mit 420 Stimmen gegen 188 bei 69 Enthaltungen abgelehnt. In der Vorlage hatte die Fraktion die Fortführung der Agrardiesel-Steuerentlastung und die Kfz-Steuerbefreiung gefordert.
Minister: Politik muss verlässliche Rahmenbedingungen schaffen
Minister Özdemir unterstrich die Notwendigkeit, die Landwirtschaft zukunftsfest zu machen. Die Landwirtschaft befinde sich infolge der aktuellen Krisen – wie Klimakrise und Artensterben sowie Kriegen und Konflikten – in einer sehr herausfordernden Situation. „Die Politik muss deshalb verlässliche Rahmenbedingungen und Planungssicherheit schaffen“, sagte Özdemir und verwies auf die Ergebnisse im Agrarpolitischen Bericht 2023.
Er wandte sich an die Opposition, um in der Agrarpolitik „gemeinsam und konstruktiv“ zusammenzuarbeiten. „Wir können sofort damit anfangen“, sagte Özdemir. Er warb für eine Abgabe auf Fleisch und Fleischprodukte, aus deren Einnahmen Landwirte beim Umbau ihrer Ställe unterstützt werden sollen. Es handle sich um nur „wenige Cent pro Kilo mehr“. Mit seinem Vorschlag baue er auf das, was eine von Unionsministerin Julia Klöckner (CDU) eingesetzte Kommission erarbeitet habe, und auf die Empfehlungen des von der Regierung einberufenen Bürgerrats für Ernährung.
An die Opposition und die eigenen Koalitionspartner appellierte Özdemir, sich über Widerstände hinwegzusetzen. Es sei an der Zeit, konkret die vorliegenden Vorschläge umzusetzen. Beginnen wolle er mit der Einführung eines „Tierwohlcent“, das sei eine „Investition in die Zukunft der Landwirtschaft und der ländlichen Räume in Deutschland“.
Union: Regierung muss Protest ernst nehmen
Heftige Kritik ernteten der Bundeslandwirtschaftsminister und die restliche Regierung, die der Debatte geschlossen ferngeblieben war, von Friedrich Merz (CDU/CSU). Er nutzte die Debatte über die Agrarpolitik zu einem Generalangriff auf die Bundesregierung. Nicht nur die Agrarpolitik, sondern auch die Finanzpolitik, die Energiepolitik oder die Einwanderungspolitik hätten in der Bevölkerung keine Mehrheit mehr, sagte Merz. Damit gefährde die Regierung „immer weiter die Zustimmung zu den Institutionen unseres demokratischen Rechtsstaates“. Er habe sich in der Debatte zur Agrarpolitik zu Wort gemeldet, um die Regierung „dringend und in größter Besorgnis“ zu bitten, den Protest der Landwirte und den Widerspruch in der Bevölkerung ernst zu nehmen, sagte der Unions-Fraktionschef.
Friedrich Merz warf der Bundesregierung vor, eine Politik gegen den ländlichen Raum zu betreiben. Mit Blick auf die jüngsten Bauernproteste sagte er, die Demonstrationen seien dankenswerterweise friedlich verlaufen. Auch die Vermutung und öffentlich vorgetragene Verdächtigung, dass sie von rechtspopulistischen Kräften unterwandert und missbraucht werden könnten, hätten sich als „haltlos“ erwiesen. „Aber sie waren Teil Ihrer politischen Kampagne gegen die Landwirtschaft“, sagte Merz an die Adresse der Ampel-Koalition.
SPD weist Kritik der Union zurück
Dem widersprachen alle Redner der Ampelfraktionen. Dr. Matthias Miersch (SPD) kritisierte Merz dafür, eine Debatte zur Agrarpolitik dazu zu nutzen, um das Thema Migration hier zu spielen, „obwohl wir wissen, dass vor wenigen Tagen bekannt wurde, dass Fantasien von Deportationen von Ausländern bekannt geworden sind“. Merz‘ Verhalten sei deshalb „mehr als befremdlich“, sagte Mirsch. Er unterstrich, dass zahlreiche Mitglieder seiner Fraktion in den vergangenen Wochen bei den Protestaktionen der Landwirte mit ihnen ins Gespräch gekommen seien „und sich die vielfältigen Probleme angehört haben, um Lösungen zu finden“.
Die Ampelfraktionen haben deshalb nun einen Antrag vorgelegt, mit dem bis zum Sommer ein Gesetzespaket ausgearbeitet werden soll. SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen konkrete Maßnahmen erarbeiten, um gegen die stark gestiegenen Bodenpreise vorzugehen, den Umbau der Tierställe finanzierbar zu machen und mögliche Festpreise für Milch zu erreichen. Miersch lud die CDU/CSU-Fraktion dazu ein, sich aktiv an dem Gestaltungsprozess zu beteiligen.
FDP: Wir sind dialogbereit
„Wir sind dialogbereit“, sagte Dr. Gero Hocker (FDP). Seiner Meinung nach zeigen die aktuellen Proteste auch, wie sehr der ländliche Raum in den letzten Jahrzehnten „vernachlässigt“ wurde. Weder Infrastruktur noch Digitalisierung seien ausgebaut worden, stattdessen habe man nicht nur Landwirten immer mehr Bürokratie aufgebürdet. Diese Probleme wolle die Bundesregierung aktiv angehen, und das solle auch in der Landwirtschaft ankommen. Mit dem nun vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen solle der „Bürokratieabbau effektiv“ gelingen.
Hocker warnte seine Kollegen in den Ampelfraktionen, sich nicht mit Themen wie Werbeverbote für Süßigkeiten und Ernährungsräte aufzuhalten. „Das treibt die Menschen in diesem Land nicht um“, sagte der Liberale. Die Bundesregierung müsse die richtigen Schlüsse ziehen und sich darauf konzentrieren, welche Aufgabe der Staat tatsächlich habe. Zudem müssten die Mittel, die der Steuerzahler zur Verfügung stelle, effektiver als in den letzten Jahren eingesetzt werden.
Grüne: Packen wir die Aufgaben an!
Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) wies diese Kritik von sich. 94 Prozent der Bevölkerung wollten, dass es eine bessere Tierhaltung gebe, 87 Prozent wünschten sich mehr Ökolandbau, 86 Prozent sprächen sich für eine verpflichtende Kennzeichnung bei Fleischprodukten aus, 84 Prozent seien für höhere Einkommender Landwirte. „Packen wir diese Aufgaben doch endlich an!“, forderte die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin.
Es gebe in manchen Bereichen eine verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre, sagte Künast in Anlehnung an den Soziologen Ulrich Beck. Den Bauern reiche die verbale Aufgeschlossenheit nicht, „wenn gleichzeitig an jeder Stelle, an der Punkte aus der Borchert Kommission umgesetzt werden, national oder in Europa Blockadepolitik betrieben wird“.
Union kritisiert „Insolvenzantrag“
„Das ist eine Farce“, entgegnete Alexander Dobrindt (CDU/CSU), Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, seiner Vorrednerin. Weder von der Bundesregierung noch in dem Ampelantrag fänden sich „konkrete Vorschläge“ oder „konkrete Unterstützungen“ für die Landwirtschaft. Das einzige, was der Antrag enthalte, seien „sieben Fragen“ an die Ampelregierung, das sei ein „Insolvenzantrag“.
Die Gründe der Bauernproteste und der Kundgebungen auf der Grünen Woche hätten sich „an der Respektlosigkeit der Ampelregierung gegenüber den Landwirten“ entzündet. „Nehmen Sie die Steuererhöhungen zurück, und Sie bekommen Ruhe in dieses Land“, sagte Dobrindt. Die Bundesregierung habe die Belastungen der Landwirte erhöht, bei der Unfallversicherung, beim Agrar- und Küstenschutz und nun auch mit der Entscheidung zum Agrardiesel.
AfD: Regierung setzt falsche Prioritäten
Peter Felser (AfD) kritisierte, dass den Landwirten 400 Millionen Euro mit der Streichung des Agrardiesels „genommen“ werden, das sei „den Bauern nicht mehr zu erklären“. Die Bundesregierung setze die falschen Prioritäten. Die Idee des „Bauernsoli“ sei nichts anderes als „eine Fleischsteuer“, das Geld komme bei den Landwirten „nie an“, sagte Felser.
Die Landwirte und der Mittelstand würden auf den Protestveranstaltungen „um das nackte Überleben kämpfen“. Vor allem die Bodenpreise seien laut Agrarbericht „gigantisch“ gestiegen: bei Pachtflächen um 62 Prozent, beim Kauf um 150 Prozent seit 2012. Ein Bauer in Bayern müsse für 20 Hektar heute 1,5 Millionen Euro zahlen, vor zehn Jahren habe er die gleiche Fläche für 500.000 Euro bekommen. „Welcher Bauern soll das bezahlen, welcher Junglandwirt hat angesichts solcher Entwicklungen noch eine Chance, sich etwas aufzubauen?“, so Felser.
Fraktionslose: Rote Karte für Politik der Regierung
Der Agrarpolitik und der Haushaltspolitik der Bundesregierung sei die „rote Karte“ gezeigt worden, sagte Ina Latendorf, fraktionslos. Das gelte für sämtliche Regierungen, die in den vergangenen Jahrzehnten Verantwortung trugen. „Aus der Nummer kommen Sie von der CDU/CSU nicht heraus, auch nicht mit dem Antrag“, sagte Latendorf.
Zu lange seien in diesem Land Ankündigungen für die Landwirtschaft gemacht worden. Tierwohl, Flächen, Handelspraktiken, das seien alles Themen, „die seit Jahren auf Umsetzung warten“.
Bericht der Bundesregierung
Nachhaltige Agrar- und Ernährungssysteme seien essentiell für alle Menschen und eine Voraussetzung, um das Recht auf angemessene Nahrung zu verwirklichen, das Pariser Klimaschutzabkommen aus dem Jahr 2015 und den Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) zu erfüllen sowie die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen zu erreichen, heißt es in dem Bericht. „Dazu braucht es eine krisenfeste Landwirtschaft, basierend auf intakten Ökosystemen“, schreibt die Bundesregierung.
Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Covid-19-Pandemie hätten den Handlungsdruck stark erhöht, Agrar- und Ernährungssysteme nachhaltiger und krisenfester zu machen. Bereits zuvor hätten die Klimakrise und der Verlust der biologischen Vielfalt die Lebensgrundlagen und die globale Ernährungssicherheit bedroht. Die zentrale – internationale und nationale – Herausforderung bestehe somit darin, das Recht einer wachsenden Weltbevölkerung auf angemessene Nahrung zu gewährleisten, die biologische Vielfalt zu erhalten und Ökosysteme wiederherzustellen, das Klima und den Boden zu schützen sowie Wasser und Luft sauber zu halten, heißt es in der Vorlage.
Die Entwicklung zu nachhaltigeren Agrar- und Ernährungssystemen könne nur gelingen, wenn „Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Konsumentinnen und Konsumenten gemeinsam Verantwortung übernehmen und die Herausforderungen miteinander angehen“, schreibt die Bundesregierung. Deshalb trete man für verlässliche und planbare Rahmenbedingungen ein, die eine nachhaltige landwirtschaftliche Erzeugung unterstützen und Basis für vitale ländliche Räume schaffen.
Den Weg dorthin sieht die Bundesregierung im Aufbau einer „zukunfts- und krisenfesten Tierhaltung“, die zugleich wertvolle Wirtschaftskreisläufe schließe und gesellschaftliche Entwicklungen wie den sinkenden Fleischverbrauch aufnehme. Dazu solle die Eiweißpflanzenstrategie genauso weiterverfolgt werden wie der Ausbau des Ökolandbaus auf 30 Prozent Bio bis 2030. Der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Flächen stieg bis Ende 2022 auf 11,2 Prozent der gesamten Agrarfläche. Nach Bio-Kriterien wirtschaften aktuell 36.900 Höfe oder 14,2 Prozent aller Landwirtschaftsbetriebe.
Antrag der Koalition
Die Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen im ersten Quartal 2024 konkrete Vorhaben vorstellen, die der Landwirtschaft Planungssicherheit und Entlastungen geben, und bis zur Sommerpause entsprechende Maßnahmen dazu beschließen. In ihrem Antrag (20/10057) fordern sie die Bundesregierung auf, „den Modernisierungsprozess in Richtung einer ökologisch und ökonomisch nachhaltigen, langfristig zukunftsfesten Landwirtschaft zu unterstützen, die gute Lebensmittel produziert, zum Schutz der Funktionsfähigkeit unseres Klimas und unserer Ökosysteme beiträgt und Betrieben eine wirtschaftliche Perspektive bietet“.
Für die Reformvorhaben sollen diese sieben Fragen beantwortet werden: Wie kann der Landwirtschaft durch Bürokratieabbau effizient und monetär geholfen werden? Wie kann die Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe in der Wertschöpfungskette unter anderem im Agrarorganisations- und Lieferkettengesetz gestärkt werden? Wie kann eine verlässliche Finanzierung für die tierwohlgerechte Tierhaltung sichergestellt werden? Wie kann den landwirtschaftlichen Betrieben vor dem Hintergrund von Flächenkonkurrenzen und Preisentwicklung der Zugang zu landwirtschaftlichen Nutzflächen erleichtert werden? Wie kann der Zugang zu landwirtschaftlichen Produktionsmitteln so gesichert werden, dass Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit gewährleistet sind? Wie kann die Einführung von alternativen Antrieben und Treibstoffen für landwirtschaftliche Maschinen unterstützt werden? Welche allgemeinen steuerlichen Maßnahmen bieten sich an, um landwirtschaftliche Betriebe zu entlasten und resilienter zu machen?
Bei der Zukunft der heimischen Landwirtschaft gehe es nicht nur um finanzielle Belastungen, sondern auch um Planungssicherheit und wirtschaftliche Perspektiven für landwirtschaftliche Betriebe, heißt es in dem Antrag. Das Schaffen von Perspektiven sei von hoher Wichtigkeit, damit die Landwirtschaft einen verlässlichen Rahmen erhalte. Die Empfehlungen der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft zeigten Wege auf, wie Tierhaltung, Landwirtschaft und der Umgang mit Ernährung und Lebensmitteln insgesamt zukunftsfester und nachhaltiger werden könnten.
Antrag der Union
Die Landwirtschaft in Deutschland muss zukunftsfest gemacht werden, fordert die CDU/CSU-Fraktion in ihrem Antrag (20/10050). In dem Papier fordern die Abgeordneten unter anderem, die Agrardiesel-Steuerentlastung und die Kfz-Steuerbefreiung in der Land- und Forstwirtschaft sowie in allen anderen von diesen Maßnahmen betroffenen land- und fortwirtschaftsnahen Wirtschaftsbereichen dauerhaft fortzuführen. Außerdem solle sich die Bundesregierung für die Stärkung einer ressourceneffizienten Landwirtschaft einsetzen und sich gleichzeitig von nationalen regulatorischen Alleingängen verabschieden, die die Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Ernährungswirtschaft in Deutschland einschränkten.
Damit Landwirte sich auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren könnten, solle eine Entbürokratisierung in der Branche stattfinden, „so dass Ressourcen in der Land- und Ernährungswirtschaft freigesetzt werden können“. Investitionen in die Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei, egal ob konventionell oder ökologisch ausgerichtet, sollten „zielgerichtet“ erfolgen. Die Bundesregierung wird dazu aufgefordert, „die tragfähigen und gesellschaftlich anerkannten Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung ('Borchert-Kommission') zur Zukunft der landwirtschaftlichen Tierhaltung in Deutschland umzusetzen“, heißt es in dem Papier.
Auf europäischer Ebene gelte es, sich in der EU-Agrarpolitik mit „den europäischen Partnern zusammenzuschließen“, um sich in Brüssel stark zu machen für „eine gemeinsame zukunftsfähige GAP“ mit einer starken Einkommensgrundstützung. Außerdem solle die Bundesregierung Abstand nehmen von „nationalen Alleingängen, wie beispielsweise im Bereich der Puten- und Geflügelhaltung, bei der Forstwirtschaft oder bei der Tierhaltungskennzeichnung“, schreiben die Abgeordneten. (nki/hau/18.01.2024)