Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung

Streit über die Be­deutung der Schulden­bremse für nachhaltige Staatsfinanzen

Zeit: Mittwoch, 8. November 2023, 17.15 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 700

Die Bedeutung der Schuldenbremse für nachhaltige Staatsfinanzen war das Thema einer öffentlichen Sitzung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung (PBnE) am Mittwoch, 8. November 2023. Dabei vertrat Carl Mühlbach, Geschäftsführer des Vereins Fiscal Future, die Auffassung, dass die Schuldenbremse „in ihrer aktuellen Form eher ein Risikofaktor für die Nachhaltigkeit unserer Finanzen ist, weil sie die Modernisierung unseres Landes erschwert und dadurch den Aufbruch in eine klimagerechte Wirtschaft und Gesellschaft behindert“.

Prof. Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) betonte die Differenzierung zwischen fiskalischer und ökologischer Nachhaltigkeit. Mit Blick auf die Schuldentragfähigkeit sei es etwas fundamental anderes, ob das Geld für nationale Infrastruktur ausgegeben werde, was Wachstum im Land generiere, oder für „ethisch gebotenen Klimaschutz“, der jedoch nicht unmittelbar das deutsche Wachstumspotenzial stärke, sagte er. Geladen zu der Sitzung war auch Silke Stremlau, Vorsitzende des Sustainable Finance-Beirates der Bundesregierung. Sie betonte die große Bedeutung der Finanzwirtschaft für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele. Um Deutschland zu einem führenden Sustainable-Finance-Standort zu machen, brauche es  eine klare Haltung und Werte in Politik, Bankenaufsicht, Finanzinstituten und der Realwirtschaft, sagte sie.

Finanzielle Spielräume zukünftiger Generationen

Laut Carl Mühlbach gibt es zwei Aspekte, an denen man die Nachhaltigkeit von Staatsfinanzen definieren könne. Das sei zum einen, ob sie eine nachhaltige Entwicklung fördern, und zum anderen, ob sie zukünftigen Generationen finanzielle Spielräume lassen. Diese Punkte seien eng miteinander verbunden. Beim Thema nachhaltige Finanzen müsse über das Thema Zukunftstechnologien gesprochen werden, über eine moderne und klimaneutrale Infrastruktur und über Investitionen in eine gute Bildung. Die entscheidende Frage sei, „ob die Finanzpolitik uns dabei hilft oder behindert, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen zu meistern“. Die gesetzlichen Klimaziele, so Mühlbach weiter, seien mit den im Bundeshaushalt vorgesehenen Mitteln nicht erreichbar. Trotz der aktuellen Herausforderungen, solle aber die Schuldenbremse in 2024 eingehalten werden, sagte Mühlbach. Die Schuldenbremse drohe damit zu einer Investitionsbremse und damit auch zu einer Zukunftsbremse und zu einer Wohlstandbremse zu werden.

Mühlbach sieht zugleich Demokratie und Wohlstand in Deutschland „durch das Erstarken einer in weiten Teilen antidemokratischen und rechtsextremen Partei“ bedroht. Gerate das demokratische Fundament und die Offenheit und Toleranz der Gesellschaft ins Wanken, „rettet uns auch eine jahrelang eingehaltene Schuldenbremse nicht vor den verheerenden Folgen“, sagte er. Es brauche daher eine Politik, die die Menschen spürbar entlaste, ihnen die Sorge vor dem ökonomischen Abstieg glaubhaft nehme und den Wohlstand im Land gerecht verteile.

Demokratische und soziale Kosten der Schuldenkrise

Das Verhältnis Finanzen und Demokratie dürfe nicht nur einseitig nach dem Motto: „Machen wir recht viele Schulden, dann stabilisieren wir die Demokratie“, betrachtet werden, entgegnete ZEW-Vertreter Heinemann. Es gebe viele Beispiele, „wo die fiskalische Schuldentragfähigkeit nicht berücksichtigt wurde und das zu massiven Demokratieproblemen geführt hat“. Die Griechenland-Krise von 2010 und andere Schuldenkrisen hätten erhebliche demokratische und soziale Kosten mit sich gebracht. Auch das Inflationsproblem der vergangenen zwei Jahre in den USA sei einem völligen fiskalischen Überschießen durch übersteigerte und überdimensionierte Stabilisierungspakete geschuldet, was zu einem Inflationsschub geführt habe, der wiederum selber für soziale Probleme gesorgt habe. „Das ist mir dann doch zu einfach, wenn man sagt, wir nehmen die Schuldenbremse weg, dann können wir die Demokratie stärken“, sagte Heinemann. Er sehe zudem die Gefahr, dass das zusätzliche Geld eben nicht in Zukunftsinvestitionen gehe, sondern für andere Haushaltstitel genutzt werde.

Stattdessen müsse es viel mehr um die Effizienz der öffentlichen Haushalte gehen, forderte er. „Da hat Deutschland erheblichen Spielraum“, befand Heinemann. Es müsse viel stärker evaluiert werden, was mit den durch Haushaltsmittel initiierten Programmen erreicht wird. Die Güte der Politik dürfe nicht mehr daran gemessen werden, wieviel Geld für etwas ausgegeben wird, sondern daran, was damit erreicht wird, sagte Heinemann. Eine wirkungsorientierte Haushaltsführung könne aber auch nur dann sinnvoll beurteilt werden, wenn es eine Transparenz über den Ressourceneinsatz gebe.

Transparente Bilanzen von Unternehmen

Die Internalisierung externer Kosten sei auch für Unternehmen eine wichtige Frage, sagte Silke Stremlau. Es gebe eine breite Debatte darüber, wie es gelingt, die CO2-Emissionen in die Bilanzierung hineinzubekommen, „damit die Investitionen aber auch die Kosten abgebildet werden“. Das böte auch für Investoren einen besseren Überblick darüber, wie die Unternehmen tatsächlich dastünden. „Das würde die Bilanzen der Unternehmen weitaus transparenter machen“, sagte die Vorsitzende des Sustainable Finance-Beirates der Bundesregierung. Das angesprochene Thema „Wirkung“ sei schließlich auch bei der Bilanzierung der Unternehmen absolut wichtig.

Was die Kritik der Unternehmen am Aufwand der nötigen Datenerhebungen etwa für das geplante Klimaanpassungsgesetz angeht, so verwies Stremlau darauf, dass dieser Aufwand sowieso nötig sei. Die EU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) gelte zwar ab 2024 zunächst nur für große Unternehmen, werde aber schrittweise ausgeweitet. „Da werden dann sicherlich diese Daten auch erhoben werden.“ Wichtig sei, dass die Daten konsolidiert sind und es Unterstützung bei der Erhebung sowie einheitliche digitalisierte Möglichkeiten gibt. Die Finanzwirtschaft benötige die Daten, sagte Stremlau. Am Anfang sei das für die Unternehmen sicherlich ein größerer Aufwand, räumte sie ein. „Wenn die Prozesse aber dann laufen, ist das Ganze einsortierter.“ (hau/08.11.2023)