Zeit:
Montag, 3. Juli 2023,
11
bis 13 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.200
Die von der Bundesregierung geplante Novellierung des LNG-Beschleunigungsgesetzes (20/7279) ist bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie am Montag, 3. Juli 2023, bei mehreren Sachverständigen auf Kritik gestoßen. Mit der Regelung soll ein weiterer LNG-Anlagenstandort in Mukran auf Rügen festgeschrieben werden. Für die Konkretisierung der bereits im bisherigen LNG-Beschleunigungsgesetz angelegten Nachnutzung der LNG-Importinfrastruktur mit klimaneutralem Wasserstoff und dessen Derivaten sollen zudem die Genehmigungsvoraussetzungen klarer und operationalisierbar gefasst werden. Mit einer im Omnibusverfahren angehängten Änderung des Baugesetzbuches soll außerdem der Handlungsspielraum für Kommunen zur Ausweisung von Flächen für Windenergie erweitert werden.
Kritik von Anrainern
Auf deutliche Ablehnung stieß das Vorhaben bei Vertretern der Ostseegemeinde Binz. Dessen Tourismusdirektor Kai Gardeja sieht in den geplanten Anlagen einen Verstoß gegen das Naturschutzrecht. Zudem sei ein massiver Einfluss auf den Tourismus und auf den wirtschaftlichen Standort Rügen zu erwarten, sagte er.
Aus Sicht von Ronald Rambow, Tourismusunternehmer aus Binz, würde die „beliebte Urlaubsregion“ erheblich durch Lärm-, Schmutz- und Lichtemissionen beeinträchtigt werden. „Es verschandelt unsere schöne Natur und führt zu irreversiblen Eingriffen in das sensible Öko-System Ostsee“, warnte er.
Vorteil einer Off-Shore-Lösung
Für die Option eines Off-Shore-Terminals, 18 Kilometer vor der Küste Rügens, welches dann den Knotenpunkt Lubmin beliefert, sprach sich Karsten Fach, Senior Advisor bei der Marine Services GmbH in Hamburg aus. Erfahrungen damit gebe es unter anderem in Italien und vielfach im asiatischen Raum. Der Vorteil einer solchen Lösung bestehe darin, dass die Anlagen aufgrund der Erdkrümmung vom Strand aus nicht zu sehen und zu hören seien. Die technischen Unterlagen für eine solche Off-Shore-Lösung lägen vor, sagte er. Perspektivisch könnten dort auch Wasserstoff und Ammoniak angelandet werden.
Ulrich Ronnacker, Leiter Recht & Regulierung bei der Open Grid Europe GmbH, hält es für richtig, auch im Ostseeraum ein Terminal vorzusehen, da dort potente Leitungsstrukturen, die nach dem Ausfall der russischen Gaslieferungen nicht mehr benötigt werden, genutzt werden könnten, um bedeutende Erdgasmengen Richtung Süden transportieren zu können. Mit Hochdruck werde derzeit daran gearbeitet, das Fernleitungsnetz umzubauen, so der Sachverständige. Das LNG-Gesetz spiele dabei eine wichtige Rolle. „Wir begrüßen das sehr“, sagte Ronnacker.
Situation auf dem Gasmarkt
Jörg Selbach-Röntgen, Geschäftsführer der MET Germany GmbH, bewertete die Situation auf dem Gasmarkt nach wie vor als angespannt. Das gelte vor allem mit Blick auf die Preisstabilität. Selbach-Röntgen bemängelte den aktuell fehlenden Anteil an Langfristverträgen, die nötig seien, um Versorgungssicherheit und Preisstabilität zu erreichen. Erst durch langfristige Verträge sei es möglich, Preisvereinbarungen zwischen Produzenten, Händlern und Abnehmern zu finden, die Preisschwankungen am globalen Energiemarkt entgegenwirken, sagte er.
Aus Sicht von Felix Heilmann vom Vereine Dezernat Zukunft überschreiten hingegen die geplanten LNG-Importkapazitäten den klimakompatiblen Importbedarf deutlich. Unregulierte Reservekapazitäten brächten jedoch Klimarisiken mit sich, „insbesondere durch die Ermöglichung neuer LNG-Exportprojekte“, sagte er. Die globale LNG-Versorgungssituation werde sich auch ohne Investitionen in zusätzliche Exportterminals entspannen, so Heilmann.
Rechtsanwältin Cornelie Ziehm sah keinen energiewirtschaftlichen Bedarf für weitere, über die bereits jetzt in Deutschland in Betrieb befindlichen LNG-Vorhaben. „Wir haben keine Gasmangellage und werde diese auch im Winter 2023/2024 nicht haben“, sagte sie. Gesetzlich könne nicht mehr pauschal ein Bedarf „und erst recht nicht mehr gesetzlich pauschal ein beschleunigter Bedarf samt eines überragenden öffentlichen Interesses für den weiteren Neubau fossiler Gasinfrastruktur festgestellt werden“.
Umrüstbarkeit auf Wasserstoff und Ammoniak
Johann Killinger, geschäftsführender Gesellschafter der Hanseatic Energy Hub GmbH, ging auf die geforderte Umrüstbarkeit der Anlagen auf Wasserstoff und Ammoniak ein. Das Gesetz erfordere bereits heute einen detaillierten „Ammoniak-Ready-Nachweis.“ Dies sei insofern schwierig, weil es solche Dual-Use-Terminals noch nicht gebe und auch keine entsprechenden Normen oder Best-Practice existierten, sagte er. Mario Ragwitz, Leiter der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie, hält die neuen LNG-Terminals für mit den Klimazielen vereinbar, „wenn die Umrüstbarkeit auf klimaneutrale Energieträger sichergestellt werden kann“. Die Umrüstbarkeit auf klimaneutralen Wasserstoff und dessen Derivaten sei möglich, so der Experte. Die Umrüstbarkeit müsse daher ein ganz zentraler Bestandteil des Gesetzes sein.
Heinrich Nachtsheim, Referent für Energiepolitik beim Verband der Chemischen Industrie, befürchtet eine „De-Industrialisierung der Grundstoffchemie in Deutschland“. Zudem stelle der nichtleitungsgebundene Import von Ammoniak gegenüber der heimischen Produktion eine umwelt- und energiepolitisch ineffizientere Lösung dar, da sich der CO2-Fußabdruck über Umwandlungsprozesse von Wasserstoff in Ammoniak und retour zu Wasserstoff beziehungsweise die Logistik gegenüber der heimischen Produktion „eklatant verschlechtert“, sagte der Sachverständige.
Ausweisung von Windenergieflächen
Tilman Schwencke, Geschäftsbereichsleiter Strategie und Politik beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) äußerte sich zur geplanten Änderung des Baugesetzbuches. Die Erweiterung des Spielraums der Gemeinden bei der Ausweisung von Windenergieflächen sei grundsätzlich begrüßenswert, sagte der Experte. Der in zeitlicher Hinsicht unklar begrenzte Anwendungsbereich der Regelung unterlaufe aber das Ziel, Rechtssicherheit für die Gemeinden zu schaffen.
Zudem verkompliziere das vorgesehene Zielabweichungsverfahren das Verfahren unnötig. Zielführend wäre laut Schwencke eine klare gesetzliche Regelung für die Ausweisung zusätzlicher Windenergie-Flächen durch die Gemeinden als nicht zuständige Planungsträger.
„Einspeisung von LNG auch 2024 erforderlich“
Für 2024 sei selbst bei im Sommer 2023 vollständig gefüllten Gasspeichern mit Blick auf mögliche Extremwetterlagen die Einspeisung von LNG erforderlich, heißt es in dem Entwurf zur Begründung. Um LNG in Deutschland anlanden, regasifizieren und weiterleiten zu können, sei der Ausbau der Importinfrastruktur unverzichtbar. Dabei solle mit dem Gesetz eine zusätzliche Beschleunigung für einzelne Gasfernleitungen erreicht werden. Zudem sollten auch die Voraussetzungen für die Nachnutzung klarer gefasst und operationalisiert werden. Ziel sei es, die Nachnutzung dieser Standorte für ein Wasserstoffderivat rechtlich besser abzubilden und eine behördliche Überprüfbarkeit zu gewährleisten. Zudem werden die unter das LNG-Beschleunigungsgesetz fallenden Anlagenstandorte fortentwickelt, um insbesondere auch Ergebnisse bisher durchgeführter Machbarkeitsstudien abzubilden.
Zur Sicherung der Energieversorgung werde mit Mukran auf Rügen ein neuer Standort aufgenommen, bei dem sich eine Realisierbarkeit für den Import von LNG abzeichne und der perspektivisch weiterentwickelt werden könne für eine Nutzung der Infrastruktur des Hafens und der Leitungen mit Wasserstoff und dessen Derivaten. Das Energiewirtschaftsgesetz soll für das Planfeststellungsverfahren eine Konkretisierung der bisher schon angelegten Zulassung von Anbindungsleitungen für LNG-Anlagen erhalten. Ferner werde zur Beschleunigung von Verfahren die Möglichkeit zur Konzentration erweitert.
Stellungnahme der Länder zum Regierungsentwurf
Die Bundesregierung unterrichtet (20/7365) über die Stellungnahme des Bundesrates und die Gegenäußerung der Bundesregierung zu dem Entwurf. Demnach hat der Bundesrat zwei Vorschläge gemacht: Zum einen, den Artikel 1 Nummer 3 Buchstabe d zu streichen. Begründung: Es wird für folgerichtig erachtet, wenn neben Anbindungsleitungen an LNG-Anlagen auch die nachgelagerte Fernleitungsinfrastruktur vom Anwendungsbereich des Gesetzes umfasst wird, um die jeweiligen Gasmengen fortleitend im Hinterland in das Erdgasnetz integrieren zu können. Die benannten Vorhaben werden daher als Beitrag zur Versorgungssicherheit bewertet. Gleichwohl sollten jedoch die Beschleunigungsinstrumente des LNG-Beschleunigungsgesetzes entgegen der vorgesehenen Regelung in Artikel 1 Nummer 3 Buchstabe d des gegenständlichen Gesetzentwurfs auch auf diese Leitung Anwendung finden können, da gerade die Anwendung dieser Beschleunigungsinstrumente Sinn und Zweck der Aufnahme in das LNG-Beschleunigungsgesetz sei.
Zum anderen schlägt der Bundesrat vor, Artikel 2 Nummer 3 dahingehend zu ändern, dass in Nummer 9 nach den Wörtern „werden können“ die Formulierung „dabei ist eine nachträgliche Integration in die Entscheidung zur Planfeststellung durch Planergänzungsverfahren möglich, solange die Entscheidung zur Planfeststellung gilt“ einzufügen. Begründung: Die verfahrensrechtlichen Vorschriften im Energiewirtschaftsgesetz sollten entsprechend der Systematik des Paragrafen 43 EnWG gefasst werden. Ansonsten würde sich hier durch einen Umkehrschluss eine abweichende Rechtsfolge für etwaige Planfeststellungsverfahren nach Abschluss des Verfahrens für die Anbindungsleitung ergeben. Insoweit sollte die nachträgliche Integration entsprechender Anlagen in die Planfeststellung vorgesehen werden.
Gegenäußerung der Bundesregierung
Beides lehnte die Bundesregierung in ihrer Antwort ab. Zum ersten Punkt begründet sie das damit, dass dafür aufgrund der Leitungslänge und des Durchmessers eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchzuführen wäre.
Zum zweiten Punkt schreibt sie, dass es sich bei dem Zusatz nicht um eine Klarstellung, sondern um eine konstitutive Änderung des EnWG handelt, die der sonstigen Systematik der Planergänzung widerspreche. (hau/mis/27.06.2023)