Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Gedenkveranstaltung des Deutschen Bundestages zum 70. Jahrestag des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953
Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier:
Frau Präsidentin des Deutschen Bundestages!
Herr Bundeskanzler!
Herr Bundesratspräsident!
Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichtes!
Exzellenzen!
Verehrte Abgeordnete!
Meine Damen und Herren!
„Freie und geheime Wahlen in ganz Deutschland“ - das war im Juni 1953 der Wille der Belegschaft des Elektromotorenwerkes Wernigerode. Wir haben eben Gerhard Templin gehört, den Sprecher der Wickelei. Was er und seine Kollegen damals forderten, war nicht weniger als eine gesamtdeutsche Volksvertretung, ein Parlament wie dieses hier. Heute, 70 Jahre später, zollen wir den mutigen Männern und Frauen aus dem nördlichen Harz hier in diesem gesamtdeutschen Parlament unseren Respekt. Wie schön, dass wir ihre Stimmen, ihren Jubel, ihren Applaus gerade hier in diesem Haus hören können!
(Beifall)
Das Tondokument aus dem Elmowerk ist ein einzigartiges Zeugnis des Volksaufstandes in der DDR. Es zieht uns mitten hinein in die Ereignisse jener Tage. Wir hören und spüren, was die Menschen überall in der DDR in den Streik und auf die Straße trieb: der Zorn über Unrecht, Unterdrückung und Gewalt. Die Sehnsucht nach Freiheit und Einheit. Die Hoffnung auf eine bessere, eine selbstbestimmte Zukunft.
Hunderttausende hatten im Juni 1953 den Mut, der SED-Diktatur die Stirn zu bieten. Sie riskierten ihr Leben. Die Mitarbeiter des Elmowerks erfuhren noch während ihrer Versammlung, dass der sowjetische Militärkommandant den Ausnahmezustand über Wernigerode verhängt hatte. Als sie den Saal verließen, war ihr Werk von bewaffneten Soldaten umstellt.
Die Mitglieder der Streikleitung wurden festgenommen, abtransportiert, ins Zuchthaus nach Magdeburg gebracht: Karl Wernicke, Heinz Jäschke, Martin Buth, Ursula Sophie Herynk, Heinz Bormann, Heinz Lüdecke, Karl Brämer, Kurt Köhler und Georg Herrmann. Manche von ihnen wurden allein in dunklen Kellern eingekerkert, mussten in ihrer Zelle im Wasser stehen, litten unter Demütigungen, Ungewissheit und Todesangst. Alle neun wurden erst Wochen später wieder freigelassen, manche gezeichnet von der Haft. Fünf von ihnen flohen noch im Sommer 1953 in die Bundesrepublik.
Auch Gerhard Templin, der Sprecher der Wickelei, wurde festgenommen, eingesperrt und verhört - und im Juli aus der Haft entlassen, ja, nachdem er sich verpflichtet hatte, mit der Staatssicherheit zusammenzuarbeiten. Als er wenige Tage später tatsächlich den Auftrag erhielt, seine Kollegen in der Wickelei zu bespitzeln, entschloss er sich zur Flucht nach West-Berlin - „um nicht ein Denunziant zu werden“, wie er im Notaufnahmelager erklärte. Gerhard Templin zog weiter nach Duisburg, arbeitete als kaufmännischer Angestellter und starb 1969 im Alter von gerade einmal 47 Jahren.
Dass wir diese Namen heute kennen, dass wir diese Geschichten erzählen können, das verdanken wir unter anderen dem Historiker Konrad Breitenborn. Er hat jahrelang recherchiert, um Antworten auf die Fragen zu finden, die der Mitschnitt von der Belegschaftsversammlung im Elmowerk eben offenlässt.
Ich finde, aus heutiger Sicht ist es geradezu ein Glücksfall, dass dieses Tondokument aus Wernigerode erhalten geblieben ist. Es gibt den Männern und Frauen des Juni-Aufstandes Stimme und Kontur. Und es lässt uns genau das spüren, wofür dieser Aufstand steht: den großen Willen der Menschen zur Freiheit - und die tiefe Angst der Diktatur vor der Freiheit!
Der Deutsche Bundestag in Berlin ist die wichtigste Institution unserer in Freiheit geeinten Republik. Dieses Parlament verkörpert jene politische Selbstbestimmung, für die die Menschen in der DDR im Juni 1953 auf die Straße gegangen sind. Die politische Selbstbestimmung, die sie sich dann 1989 in der Friedlichen Revolution erkämpften und für alle Deutschen Wirklichkeit werden ließen! Ich freue mich, dass wir heute hier, an diesem Ort, im Herzen unserer Demokratie, an den Volksaufstand vor 70 Jahren erinnern. Meinen herzlichen Dank, Frau Bundestagspräsidentin, für die Einladung zu dieser Gedenkstunde!
(Beifall)
Hier in Berlin, auf den Baustellen am Krankenhaus Friedrichshain und in der damaligen Stalinallee, nahm der Aufstand 1953 seinen Anfang. Am 17. Juni breitete er sich über die gesamte DDR aus. An mehr als 700 Orten kam es zu Streiks, Demonstrationen oder Protesten - in Hennigsdorf, Ludwigsfelde und Lauchhammer; in Magdeburg, Halle und Bitterfeld; in Dresden, Leipzig und Niesky; in Jena, Gera und Hildburghausen; in Rostock, Wismar und Stralsund; in Städten, Industriebezirken und auf dem Land.
Männer und Frauen aus allen Teilen der Gesellschaft brachten ihren Unmut über die real existierende Diktatur zum Ausdruck: Bauarbeiter, Fabrikarbeiterinnen, Landwirte, Angestellte, Selbstständige, Lehrerinnen, Pfarrer, Auszubildende, Studentinnen und Schüler - sie alle protestierten gegen ein Regime, das ihnen immer mehr die Luft zum Atmen nahm. Was damals geschah, war eine Massenerhebung gegen die Diktatur und ein Volksbegehren für die Demokratie.
Der Aufstand des 17. Juni richtete sich eben nicht nur gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen, gegen niedrige Löhne, hohe Preise, leere Regale. Er richtete sich gegen die Normierung einer ganzen Gesellschaft - gegen Planwirtschaft und Zwangskollektivierung; gegen staatliche Überwachung, Propaganda und Zensur; gegen die Unterdrückung von Christen, Oppositionellen und Unangepassten; gegen die Diktatur einer
„Einheitspartei“, die für sich beanspruchte, immer im Recht zu sein.
(Beifall)
Allein in der ersten Hälfte des Jahres 1953 - stellen wir uns das vor! - flüchteten knapp 200 000 Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik. Und Mitte Juni waren es rund eine Million Männer und Frauen, die den Aufstand wagten! Überall im Land forderten Menschen freie und geheime Wahlen, die Freilassung der politischen Gefangenen und die deutsche Einheit. Ein Arbeiter hier in Berlin brachte es auf den Punkt, als er vor dem damaligen Haus der Ministerien auf einen Tisch kletterte und der SED-Regierung zurief: „Wir wollen frei sein!“
Diese Kraft der Freiheit, sie traf die Diktatur unvorbereitet und mit voller Wucht. Erst als sowjetische Panzer in die Städte rollten, Soldaten mit Maschinengewehren aufmarschierten und den Aufstand blutig niederschlugen, erst dann gewann das SED-Regime wieder die Oberhand. Mehr als 50 Menschen wurden damals erschossen, hingerichtet, erlagen ihren Verletzungen oder starben in Haft.
Wir gedenken heute der Männer und Frauen des 17. Juni, die ihren Kampf für die Freiheit mit dem Leben bezahlten. Wir gedenken all jener, die damals verletzt, verhaftet, eingesperrt und zur Zwangsarbeit verurteilt wurden. Und wir gedenken der vielen, die nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückkehren durften, die zeitlebens überwacht, schikaniert, ihrer Zukunftschancen beraubt wurden, nur weil sie es gewagt hatten, ihre Menschenrechte einzufordern.
All diese Menschen kämpften vor 70 Jahren für ein Leben in Würde in einem geeinten Deutschland. Sie waren Vorkämpfer unserer heutigen Demokratie! Und bis heute sind sie Vorbilder für den Kampf gegen Unrecht und Unterdrückung.
(Beifall)
Suchen wir ihre Namen, erzählen wir ihre Geschichten! Alle, die im Juni 1953 für Freiheit und Selbstbestimmung aufgestanden sind, verdienen unseren Dank und vor allem auch die Erinnerung.
Die Geschichten des 17. Juni wurden in der DDR verfälscht, unterdrückt und vergessen gemacht. Das SED-Regime verbreitete die Lüge, der Aufstand sei ein „faschistischer“, „konterrevolutionärer Putschversuch“ gewesen, angezettelt von „westlichen Agenten“. Wer mitprotestiert hatte und eine andere Geschichte erzählen konnte, wurde zum Schweigen gebracht. Viele sprachen selbst in der eigenen Familie nicht über ihre Erlebnisse, um ihre Kinder nicht in Schwierigkeiten zu bringen. In der DDR lebte der Freiheitsgeist von 1953 nur unter der Oberfläche weiter - entweder als Trauma der Machthaber oder als Quelle der Opposition im kleinen Kreis.
Und auch in der alten Bundesrepublik geriet der Aufstand nach und nach in Vergessenheit. Zwar erklärte der Deutsche Bundestag in Bonn den 17. Juni sehr schnell zum Nationalfeiertag. Aber, so viel Ehrlichkeit muss sein, sehr bald erstarrte die Erinnerung zu einem Ritual, und für die meisten Westdeutschen war dieser „Tag der deutschen Einheit“ nur ein freier Tag im Frühsommer, an dem man etwas mit Familie oder Freunden unternehmen konnte.
Viel zu lange wurde den Männern und Frauen des 17. Juni die Aufmerksamkeit und die Anerkennung verwehrt, die ihnen gebührt. Der Volksaufstand vom 17. Juni ist ein herausragendes Ereignis der deutschen Freiheitsgeschichte. Er gehört in eine Reihe mit der März-Revolution von 1848 und der November-Revolution von 1918. Und er ist ein Vorläufer der Friedlichen Revolution. 1989 haben sich Frauen und Männer in vielen Städten der DDR die Demokratie selbst erkämpft. Sie haben das wahr werden lassen, wovon die Menschen 1953 nur träumen konnten. Und sie haben es möglich gemacht, dass wir heute in einem in Freiheit und Vielfalt geeinten Land leben! Das ist und das bleibt ihr historisches Verdienst. Und darauf können, nein, darauf sollten wir in ganz Deutschland wirklich stolz sein!
(Beifall)
Noch etwas ist mir heute wichtig: Der Volksaufstand des 17. Juni ist auch ein herausragendes Ereignis der mittel- und osteuropäischen Freiheitsgeschichte, die jahrzehntelang eine Geschichte des Widerstands gegen sowjetische Unterdrückung war.
Nach 1953 kam es in vielen Ländern zu weiteren Aufständen: 1956 in Ungarn und auch in Polen; 1968 in der Tschechoslowakei; 1970 und 1980 in Danzig, Stettin und anderen polnischen Städten. Immer wieder protestierten die Menschen in Mittel- und Osteuropa für Freiheit und Selbstbestimmung. Und immer wieder wurden sie auf Befehl Moskaus mit Gewehren und Panzern blutig gestoppt. Erst 1989, als Gorbatschow die sowjetischen Truppen in den Kasernen ließ, gelang es den Bürgerinnen und Bürgern, sich zu befreien, von Ost-Berlin bis nach Bukarest, von Tallinn bis nach Sofia.
Dass wir heute in einem geeinten Europa demokratischer Nationen leben, das haben wir den Freiheitsbewegungen in ganz Mittel- und Osteuropa zu verdanken! Ein Europa, in dem Freiheit, Recht und Solidarität herrschen, in dem unterschiedliche Menschen selbstbestimmt, in Würde und Frieden zusammenleben können - meine Damen und Herren, wir machen uns das nicht jeden Tag klar, aber was für eine Errungenschaft!
(Beifall)
Dieses Europa der Freiheit, für das so viele Menschen gekämpft, gelitten und ihr Leben gelassen haben, dieses Europa wird heute wieder bedroht. Der Angriffskrieg, den Russland gegen die Ukraine führt, ist ein Angriff auf einen souveränen demokratischen Staat mitten in Europa. Dieser Krieg ist ein brutales Verbrechen an den Ukrainerinnen und Ukrainern. Und dieser Krieg speist sich aus dem Großmachtstreben der Kreml-Diktatur - aber eben auch aus ihrer tiefen Angst vor der Freiheit!
Putin beschwört eine angeblich glorreiche alte Zeit, er will die „alte Größe der Sowjetunion“ wiederherstellen. Aber ich frage mich: Welche Größe ist hier eigentlich gemeint? Die Größe einer Sowjetunion, die verschiedene Völker zusammenzwang? Die die eigene Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzte? Die jedes Freiheitsstreben brutal erstickte, so wie 1953 in Wernigerode, 1956 in Budapest, 1968 in Prag?
Die sogenannte „Größe“, zu der Putin sein Land zurückführen will, ist in Wahrheit nichts anderes als Diktatur, Gewaltherrschaft und, ja, auch imperialistischer Wahn. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieser Wahn Europas Friedens- und Freiheitswerk zerstört! Das dürfen wir nicht zulassen!
(Beifall)
Seit dem 24. Februar vergangenen Jahres verteidigen die Ukrainerinnen und Ukrainer ihr Land, ihre Freiheit und ihre Demokratie - mit großem Mut und großer Tapferkeit. Und sie verteidigen auch das, wofür mutige Menschen in Europa seit 1953 immer wieder aufstanden, was sie 1989 errangen und was wir nie wieder verlieren wollen!
Deshalb steht Deutschland fest an der Seite der Ukraine. Deshalb unterstützen wir die Menschen in der Ukraine, gemeinsam mit unseren Partnern! An diesem Jahrestag des 17. Juni denken wir auch an die Ukrainerinnen und Ukrainer, die heute gegen Unfreiheit und gegen Unterdrückung kämpfen.
(Beifall)
Wir denken an alle, die an der Front ihr Leben einsetzen; die sich um Verletzte, Trauernde, Alte und Kinder kümmern; die das öffentliche Leben unter schwierigsten Bedingungen aufrechterhalten oder dort, wo das geht, zerstörte Städte wieder aufbauen. All diese Menschen brauchen unsere Unterstützung, sie alle setzen auf uns - lassen wir sie nicht im Stich!
(Beifall)
„Du sollst dich erinnern“ - dieses Gebot hat die Regisseurin und Bürgerrechtlerin Freya Klier einmal formuliert. Und ich finde, wir sollten uns das zu Herzen nehmen! Wir sollten uns erinnern, gerade in dieser Zeit, in der die Demokratie und die Freiheit immer neuen Angriffen ausgesetzt sind, von innen und von außen.
Wir sollten uns erinnern, um uns den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie immer wieder in aller Klarheit vor Augen zu führen. Wir sollten uns erinnern, um all jenen entschieden widersprechen zu können, die Geschichte heute wieder fälschen und verbiegen, Diktaturen verklären oder unsere Demokratie verächtlich machen.
(Beifall)
Eines ist mir sehr wichtig dabei: Wenn ich heute mit Menschen spreche, die in der DDR aufgewachsen sind, wenn sie mir von ihrem Leben erzählen, dann sagen mir manche, die DDR sei zwar eine Diktatur gewesen, aber man habe sich dort im Alltag auch wohlfühlen können. Und es stimmt ja: Privates Glück, schöne Momente gab es auch in der Diktatur. Die Erinnerung daran kann man niemandem nehmen.
Aber: Wir kennen doch so viele Zeugnisse aus der DDR, die uns vor Augen führen, dass die SED-Diktatur bis in den letzten Winkel des Alltags der Menschen hineinreichte und ihr privates Glück häufig nicht nur überschattete, sondern dieses private Glück gänzlich nahm. Leben in der Diktatur, das bedeutete eben auch, am Telefon nicht das zu sagen, was man sagen wollte; in der Schule nicht das zu schreiben, was man für richtig hielt; im Treppenhaus zu schweigen oder in der Kneipe die Stimme zu senken. Wir dürfen niemals vergessen, dass die Diktatur, mit einem Wort, das Herta Müller geprägt hat, ein „Angstgebäude“ errichtete, in dem Menschen tagtäglich unter der Allgegenwart von Spitzelwesen, Zensur und Anpassungsdruck litten. Das dürfen wir nicht vergessen!
(Beifall)
Und wir dürfen auch niemals vergessen, was die Täter und Täterinnen des Regimes verbrochen haben! Das schulden wir den Opfern der SED-Diktatur, all denen, die an der Mauer erschossen, in Bautzen eingekerkert, in „Jugendwerkhöfen“ seelisch gebrochen wurden. Lassen Sie uns die Erinnerung an Opfer und Täter der kommunistischen Gewaltherrschaft wachhalten, hier in Berlin und überall in unserem Land!
Unser Grundgesetz garantiert heute all das, wofür Menschen in der DDR damals aufgestanden sind: Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Religionsfreiheit. Deshalb sage ich sehr deutlich: Es ist eine fadenscheinige Lüge, wenn die Gegner unserer Demokratie, wenn Populisten und Extremisten behaupten, es sei heute „genau wie damals“, genau wie in einer Diktatur!
(Beifall)
Ich meine: Wer so spricht, der verhöhnt die Opfer des SED-Regimes. Wer so spricht, der missbraucht die Namen derer, die damals ihr Leben riskiert haben. Wer so spricht, beleidigt alle Demokratinnen und Demokraten unseres Landes, all die Millionen Bürgerinnen und Bürger, die sich Tag für Tag einbringen, sich engagieren; die sich zwischen Flensburg und Garmisch, zwischen Aachen und Görlitz kümmern um andere, um unser Land; die sich für ein gutes Miteinander in diesem Land einsetzen. Diese Menschen braucht die Demokratie so dringend!
(Beifall)
Wir haben allen Grund, die Erinnerung an den Volksaufstand des 17. Juni 1953 wachzuhalten, heute und in Zukunft. An vielen Orten unseres Landes haben Menschen in den vergangenen Jahren mitgeholfen, die Geschichten der Frauen und Männer des 17. Juni der Vergessenheit zu entreißen. Dafür bin ich sehr dankbar! Und auch jetzt, zum 70. Jahrestag, haben Bund, Länder, Kreise, Städte und Gemeinden, Gedenkstätten und Geschichtsvereine viel auf die Beine gestellt - und immer wieder auch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aufgerufen, ihre Geschichten von Opposition und Widerstand in der DDR öffentlich zu erzählen.
Ich freue mich, dass wir heute auch in diesem Haus biografische Geschichten des 17. Juni gehört haben. Ich wünsche mir, dass gerade jüngere Menschen mit den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ins Gespräch kommen und deren Geschichten in Erinnerung bewahren und überall in unserem Land verbreiten.
Am 30. Jahrestag der Deutschen Einheit hatte ich angeregt, eine zentrale Stätte der Erinnerung an die Frauen und Männer zu schaffen, die in der DDR für Freiheit und Demokratie gekämpft haben. Denn wir sollten uns auch an ihren Mut erinnern - genauso wie an das Leid der Opfer der Gewaltherrschaft. Ich freue mich, dass Sie gestern hier Weichen für ein „Forum Opposition und Widerstand“ gestellt haben. Ich finde, das war ein wichtiger Schritt. Und ich bin überzeugt: Ein solches Forum ist eine wichtige Investition in die Zukunft unserer Erinnerung! Herzlichen Dank!
(Beifall)
Zum Schluss, verehrte Abgeordnete: Der 17. Juni ist ein besonderer Gedenktag im politischen Kalender unseres Landes. Ein Tag des Stolzes auf die Menschen in der damaligen DDR, die gegen die Diktatur aufbegehrten. Auch ein Tag der Freude über unsere in Freiheit und Vielfalt geeinte Republik, die 1989 Wirklichkeit wurde. Ein Tag des Zusammenhalts, an dem wir uns bewusst machen, was uns in diesem Land verbindet und was wir jetzt zu stärken haben. Und auch ein Tag der Hoffnung, an dem wir uns daran erinnern, dass der Wille zur Freiheit stärker ist als jede Diktatur!
Vor 70 Jahren, im Juni 1953, war die Mitarbeiterversammlung im Elektromotorenwerk Wernigerode in vollem Gang, als ein Kollege ans Mikrofon trat und um ein Zeichen der Solidarität bat für die Opfer des Aufstands in Berlin. Auf dem Tonband ist zu hören, wie die Belegschaft sich daraufhin von den Stühlen erhebt.
Machen wir es heute wie sie: Setzen wir hier in diesem Haus ein Zeichen für die Männer und Frauen, die im Juni 1953 für Freiheit und Einheit aufgestanden sind. Erinnern wir an die Menschen, die in der DDR und in Mittel- und Osteuropa gegen Unrecht und Unterdrückung gekämpft haben. Und stärken wir all jenen den Rücken, die heute - wieder oder immer noch - für Demokratie und Menschenrechte kämpfen müssen.
Vielen Dank.
(Beifall - Die Anwesenden erheben sich)
(Nationalhymne)
(Beifall)