Parlament

Fraktionen würdigen Inter­nationalen Strafgerichtshof für Jugoslawien

Aus Anlass des 30. Jahrestages der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien haben die Fraktionen im Bundestag dessen Arbeit gewürdigt. In einer Vereinbarten Debatte erinnerten sie am Donnerstag, 25. Mai 2025, an die akribische Aufarbeitung und Dokumentation von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverstößen durch den Strafgerichtshof in Den Haag und verbanden dies teils mit einem Ausblick auf die künftige Ahndung von Kriegsverbrechen in der Ukraine.

Grüne: Aufarbeitung bleibt unsere Aufgabe

Boris Mijatovic (Bündnis 90/Die Grünen) erinnerte an ermordete Zivilisten in Vukovar, an Mörsereinschläge auf die Marktplätze in Sarajevo und an weitere Schauplätze der Verbrechen während der kriegerischen Auseinandersetzungen im zerfallenden Jugoslawien der neunziger Jahre. Dass die teils „sehr beklemmenden Details“ heute bekannt seien, dass man die Namen der mindestens 8.000 Opfer von Srebrenica kenne, sei das Verdienst der Menschen, die an das Tribunal geglaubt hätten.

Der Strafgerichtshof, der seine Tätigkeit 1993 aufnahm und 2017 beendete, habe Rechtsgeschichte geschrieben, betonte Mijatovic, er gelte als Vorbild für weitere Gerichte, etwa zum Völkermord in Ruanda, für den Sondergerichtshof für Sierra Leone und für den 2002 gegründeten Internationalen Gerichtshof. In Bosnien-Herzegowina sind nach den Worten des Abgeordneten aus Kassel noch mindestens 270 Verfahren offen. Viele Opfer wünschten sich Aufklärung, „da müssen wir dranbleiben“, sagte Mijatovic.

Die justizielle Zusammenarbeit mit den Nachbarländern werde zunehmend schwerer, hier müsse die Bundesrepublik Hilfestellung leisten, für die Aufarbeitung dieser Verbrechen müsse in Zagreb und Belgrad weiter geworben werden. Es sei nicht hinzunehmen, dass Kriegsverbrecher in dieser Region heute als Helden auf Hauswänden gefeiert werden. „Wir erleben eine Wiederkehr nationalistischer Gefahren“, sagte der Grünen-Abgeordnete, gerade wenn Politiker offen den Völkermord von Srebrenica leugneten. Eine verbüßte Haftstrafe dürfe kein Freibrief sein, Revanchismus in die Öffentlichkeit zu tragen: „Die Aufarbeitung bleibt unsere Aufgabe“.

CDU/CSU: Meilenstein der internationalen Rechtsprechung

Für die Unionsfraktion lobte Peter Beyer, dass der Strafgerichtshof ein Archiv mit „wertvollen Beweisen“ und Dokumenten geschaffen habe, die als Quelle dienten für Verfahren, die in den jugoslawischen Nachfolgestaaten noch weiter verfolgt würden. Die Zerfallskriege hätte mehr als 100.000 Menschenleben gekostet, mehr als drei Millionen Menschen seien zu Flüchtlingen gemacht worden. Zurückgeblieben seien verwüstete Landschaften mit zerstörter Infrastruktur und traumatisierte Gesellschaften.

Beyer nannte den Strafgerichtshof einen „Meilenstein der internationalen Rechtsprechung“ und eine Erfolgsgeschichte, er sei Vorbild für andere Gerichtsbarkeiten. Gerade die Hauptverantwortlichen aus Politik und Militär seien der Gerichtsbarkeit zugeführt worden. „Kriege sind kein rechtsfreier Raum“, betonte der CDU-Abgeordnete aus dem nordrhein-westfälischen Ratingen.

Der Strafgerichtshof habe dem Leid der Opfer eine Stimme verliehen. Die Länder des ehemaligen Jugoslawien seien gezwungen worden, sich mit ihrer Vergangenheit zu beschäftigen. Beyer sagte, es sei klug gewesen, dass die EU dies zum Bestandteil ihres Annäherungsprozesses gemacht habe. Auch in der Ukraine werde es eine strafrechtliche Aufarbeitung geben müssen.

SPD: Warnung an alle Massen- und Völkermörder

Für die Sozialdemokraten erinnerte Derya Türk-Nachbaur an mehr als 8.000 ermordete bosnische Jungen und Männer in Srebrenica. Frauen und Mädchen seien vergewaltigt, misshandelt und umgebracht worden. Der Gerichtshof sei eine „eindringliche Warnung an alle Massen- und Völkermörder weltweit“, sagte Türk-Nachbaur. Die Frauen und Mütter aus Srebrenica hätten für die Verurteilung der Kriegsverbrecher eine „ganz wichtige Rolle“ gespielt. Noch heute kämpften sie für Gerechtigkeit und versuchten, die Toten aus den Massengräbern zu identifizieren, um sie deren trauernden Angehörigen zu übergeben.

Die Aufarbeitung beginne mit der Anerkennung der Verbrechen, sagte die Abgeordnete aus dem baden-württembergischen Bad Dürrheim. Eine Zukunft könne es nur geben, wenn die Vergangenheit aufgearbeitet ist und alle Täter bestraft werden. Die Dokumentation der Verbrechen habe dazu beigetragen, die Anerkennung des „bestialischen Leids“, das diesen Menschen widerfahren sei, für die Nachwelt festzuhalten.

„Den Haag steht für eine unparteiische Justiz“

Der Strafgerichtshof sei auch ein Faktor für die Stabilität im gesamten Balkan und somit für ganz Europa gewesen. Massenmörder wie der ehemalige jugoslawische Präsident Slobodan Milošević, der „Schlächter vom Balkan“ Ratko Mladić und der „Architekt dieser bestialischen Morde“ Radovan Karadžić hätten sich den Opfern und dem Gericht stellen müssen und seien bestraft worden.

Den Haag stehe für eine unparteiische Justiz und für die Herrschaft des Rechts, so Türk-Nachbaur. Die Botschaft laute, dass sich Massenmörder und Menschenschlächter niemals verkriechen könnten: „Wir sind hinter ihnen her.“ In der Ukraine begehe Russland unmenschliche Verbrechen. Auch diese Täter würden irgendwann zur Verantwortung gezogen, betonte die Abgeordnete. Die Einsetzung eines Sondertribunals sei unumgänglich, dafür werde sich die SPD mit aller Kraft einsetzen.

AfD: Internationalen Strafgerichtshof befähigen

Der AfD-Abgeordnete Tobias Matthias Peterka sagte, die europäischen Akteure hätten damals „in ziemlicher Schockstarre“ danebengestanden. In den Nachfolgestaaten sei die Aufarbeitung „alles andere als beendet“. Verbrechen habe es auf nahezu allen Seiten gegeben, die entweder nicht aufgeklärt seien oder sich komplett „im Dunkelfeld“ bewegten.

Peterka erinnerte an dend Nato-Einsatz im Frühjahr 1999 gegen Serbien. Dieser sei ein „kompletter Alleingang“ gewesen und „offensichtlich bündnispolitisch motiviert“. Gefolgt sei eine Demonstration militärischer Stärke, die nicht notwendig gewesen sei. Die Vereinten Nationen seien nur so lange etwas wert, wie nicht die Interessen mindestens einer Vetomacht im Sicherheitsrat verletzt werden.

Es sei naiv zu glauben, so der Abgeordnete aus Bayreuth, dass mehr Tribunale immer besser seien. Stattdessen sollte nach seiner Ansicht der Internationale Strafgerichtshof befähigt werden, neutral zu ermitteln und mit nationalen Gerichten zusammenzuarbeiten. Von vielen Staaten werde er jedoch nicht anerkannt.

FDP: Pionierarbeit des internationalen Rechts geleistet

Renata Alt (FDP) erinnerte daran, dass der Jugoslawien-Strafgerichtshof aufgrund einer Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurde. 161 Personen seien angeklagt worden, in fast 11.000 Prozesstagen seien mehr als 4.000 Zeugen vernommen worden, elfmal sei die lebenslängliche Haft als Höchststrafe verhängt worden. Für Alt lautet die Botschaft, dass die Missachtung der Genfer Konventionen nicht unbestraft bleibt. Die internationale Gemeinschaft sei nicht machtlos, sie stehe für Menschenrechte ein, wenn Staaten versagen. Für viele Opfer sei der Strafgerichtshof die letzte Hoffnung auf Gerechtigkeit gewesen.

In vielen Fragen des internationalen Rechts habe der Strafgerichtshof Pionierarbeit geleistet. Zum ersten Mal sei sexualisierte Gewalt konsequent geahndet und bestraft worden. Sexuelle Gewalt sei ein Kriegsverbrechen und gehöre entsprechend bestraft, betonte die Abgeordnete aus dem baden-württembergischen Kirchheim unter Teck. Genauso wichtig wie die Täterbestrafung sei es, die Aussöhnung voranzutreiben und die Zivilgesellschaften zu stärken.

Auch in der Ukraine werde sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe genutzt, ukrainische Kinder würden verschleppt und entführt. Auch diese Straftaten müssten aufgeklärt und geahndet werden: „Wir stehen vor einer großen Mammutaufgabe.“ Der Internationale Strafgerichtshof habe den russischen Präsidenten Putin als Haupttäter in der Ukraine klar benannt. Kein Kriegsverbrechen, kein Verstoß gegen Menschenrechte dürfe ungestraft bleiben: „Das muss unser Anspruch sein“, betonte Alt.

Linke: Waffenexporte verhindern

Thomas Lutze (Die Linke) stimmte zu, dass jedes Kriegsverbrechen bestraft werden müsse. Es sei wichtig, dass es beim Jugoslawien-Strafgerichtshof zu über 80 Verurteilungen gekommen sei. Kriegsverbrechen würde es nicht geben, wenn es keine Kriege gäbe, sagte der Linken-Abgeordnete. Es gebe keine Kriege, in denen es nicht auch zu Kriegsverbrechen komme: „Der saubere Krieg ist ein Märchen.“

Deutschland sei einer der größten Exporteure von Kriegswaffen, so der Abgeordnete aus Saarbrücken. Wer Kriege verhindern wolle, müsse Waffenexporte verhindern. Spätestens nach dem „desaströsen Ende des Afghanistan-Einsatzes“ hätte nach seinen Worten klar sein müssen, dass „diese Kriegslogik eine Sackgasse ist“. Der „völkerrechtswidrige Angriff der Nato einschließlich der Bundeswehr“ auf Jugoslawien 1999 sei ein „unverzeihlicher Tabubruch“ gewesen, sagte Lutze. Wer selbst das Völkerrecht außer Acht lasse, nehme zumindest billigend in Kauf, dass andere dieses Völkerrecht auch nicht achten. (vom/26.05.2023)