Zeit:
Montag, 28. November 2022,
15
bis 17 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2 200
Die Kritiker einer Weiterentwicklung neuer Züchtungsmethoden in der Landwirtschaft sowie einer Reform des EU-Gentechnikrechts sind bei der Sachverständigen-Anhörung am Montag, 28. November 2022, im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft in der Mehrheit gewesen. Zur Diskussion stand der Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Landwirtschaftliche Produktion zukunftsfähig gestalten – Innovationsrahmen für neue genomische Techniken schaffen“ (20/2342).
Antrag der Union
Die Unionsfraktion fordert eine gezielte Nutzung und die Weiterentwicklung neuer Züchtungsmethoden in der Landwirtschaft sowie eine Reform des EU-Gentechnikrechts. In ihrem Antrag wird auf die Notwendigkeit verwiesen, die „landwirtschaftliche Produktion zukunftsfähig zu gestalten“.
Die Bundesrepublik Deutschland sei ein landwirtschaftlich „hoch produktiver Standort“ und stehe damit in der Verantwortung, nicht nur die eigene Ernährung sicherzustellen, „sondern auch einen Beitrag zu leisten, Hunger in anderen Teilen der Welt zu bekämpfen“. Während Länder wie die USA, Brasilien, Indien und China an den neuen Verfahren forschen würden, drohe Europa den Anschluss an diese Technologien zu verlieren.
Sachverständige bemängelt offene Fragen
Heike Moldenhauer, Generalsekretärin der European Non-GMO Industry Association (ENGA) lehnt den CDU/CSU-Antrag ab. Ihrer Meinung nach konstruiere der Antrag der Unionsfraktion mit „Neuen genomischen Techniken“ (NGT), deren „Merkmale auch mit konventionellen Methoden erreicht werden können“, eine neue Klasse von Gentechnisch veränderten Organismen (GVO), die völlig vage bleibe. Müsse ein Hersteller einer solchen Gentechnik-Pflanze beweisen, dass sie durch konventionelle Pflanzenzucht oder klassische Mutagenese hätte entstehen können? Wie solle ein solcher Beweis aussehen? Welche Daten wären vorzulegen? Was wäre die Referenz für einen Beweis – eine bereits existierende Pflanze oder eine theoretische Annahme über eine theoretische Pflanze, fragte die Expertin.
Aufgrund von Spekulation und bloßen Annahmen bestimmte NGTs aus der GVO-Gesetzgebung herausnehmen zu wollen, sei unwissenschaftlich und unverantwortlich. Dass NGTs einen Beitrag zur Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme wie Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Welthunger leisteten und im Rahmen des Green Deal zur Nachhaltigkeit von Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion beitragen könnten, wie es der Antrag behauptet, sei nicht von Fakten gedeckt.
„Unbewiesenes Lösungspotential“
Laut dem Bericht des Joint Research Center über „Current and future market applications of new genomic techniques“ (veröffentlicht zusammen mit der Studie der EU-Kommission zu „Neuen Genomtechniken“ im April 2021) befänden sich weltweit 16 NGT-Pflanzen in einem vorkommerziellen Stadium, was bedeute, sie könnten innerhalb der nächsten fünf Jahre Marktreife erlangen. Sechs dieser 16 seien herbizidresistent – und stünden damit im Widerspruch zu den Zielen des Green Deal, der eine Pestizidreduktion vorgebe. Bisher liege in der EU ein einziger Zulassungsantrag vor für einen herbizidresistenten, Insektizide produzierenden Crisper/Cas-Mais des US-Unternehmens Corteva. Der Mais verfüge über dieselben Eigenschaften wie die Produkte der alten Gentechnik.
Dass der Einsatz von NGTs schneller zu Resultaten führe als die konventionelle Pflanzenzüchtung, „darf als widerlegt gelten“, sagte Moldenhauer. Angesichts von so gut wie keinen NGTs auf dem Markt und ihrem „unbewiesenen Lösungspotential“ dränge sich zudem der Verdacht auf, dass es sich hierbei um ein Narrativ handele, das taktisch eingesetzt werde, um so ihre Deregulierung in der EU durchzusetzen.
Agrophotovoltaik und „Farm-to-Fork“-Strategie
Ebenfalls kritisch bewertet Prof. Dr. Maria Renate Finckh, Universität Kassel, Ökologische Agrarwissenschaften, Ökologischer Pflanzenschutz und Dekanin des Fachbereichs, den Unionsantrag. Sie stelle sich die Frage, ob die Verfasser verstanden hätten, dass auf die Herausforderungen des Klimawandels nur im System geantwortet werden könne. „Schon die Bezeichnung Klimawandel ist hier irreführend, denn es geht nicht darum, dass es einen Wandel und dann eben ein anderes Klima geben wird. Tatsache ist, dass die katastrophalen Veränderungen zu erratischen und nicht vorhersagbaren Wetterbedingungen führen“, sagte Finckh. Es mache beispielsweise keinen Sinn, in Reaktion auf eine Trockenheit innerhalb weniger Jahre einzelne Genotypen zu züchten, die trockenresistent seien, da nicht sicher sei, dass es trocken bleibe und vor allem nie sicher vorhergesagt werden könne, was das zukünftige Jahr bringe.
Finckh empfahl der Landwirtschaft andere Mittel. So könne der Flächendruck auf die Landwirtschaft deutlich verringert werden, indem für Infrastruktur vorrangig Industriebrachen genutzt würden. Auch Agrophotovoltaik könne gemeinsam mit Anbau auf der Fläche ermöglicht werden. Einzelne Gene könnten mitunter zwar gut helfen, auf vorhersehbare Umweltbedingungen zu reagieren. Auf unvorhersehbare Wetterbedingungen könne man aber nicht züchten. Für Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit müsse vielmehr dafür gesorgt werden, dass wirklich „farm-to-fork“ gedacht werde und nicht durch massiven Import von Futtermitteln, die dort angebaut würden, wo entweder Essen für Menschen oder auch wichtige Wälder stehen sollten, eine Produktivität vorgespiegelt werde, die nicht nachhaltig sei. „Tiere sollten das fressen, was anfällt, und helfen, die Bodenfruchtbarkeit durch Weidehaltung und erweiterte Fruchtfolgen mit Grünfutterbau zu stabilisieren“, forderte Finck.
„Grundlegende Umstellung des Agrarsystems“
Dr. Eva Gelinsky. Leiterin Koordinierung der Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut) in Göttingen, gab zu bedenken, dass grundsätzlich festzustellen sei, dass in der aktuellen Debatte zur neuen Gentechnik und ihrem Potential für die Landwirtschaft verschiedene Strategien und Methoden nicht klar unterschieden würden. Um die Landwirtschaft an die sich rasch ändernden klimatischen Bedingungen anzupassen, könne auf unterschiedlichen Ebenen des Agrarsystems angesetzt werden. „Eine Anpassung der ackerbaulichen Praxis kann zum Beispiel über den Anbau von Sortenmischungen, heterogenes Material oder die breite Nutzung von Agroforstsystemen erfolgen“, sagte Gelinsky. Sollte auch die züchterische Anpassung von Nutzpflanzen als zielführend erachtet werden, könnten „klassische oder gentechnische Züchtungsmethoden verwendet werden“.
Der Begriff „klassisch“ sollte dabei jedoch nicht mit „alt“ verwechselt werden: Auch konventionelle Verfahren würden sowohl in der Forschung als auch in der praktischen Züchtungsarbeit permanent weiterentwickelt. Verfahren wie die Selektion mit genetischen Markern oder in einer sogenannten „Genomweiten Assoziationsstudie“ lieferten beispielsweise Informationen, die sowohl in der klassischen Züchtung als auch für gentechnische Veränderungen genutzt werden könnten. Hinzu komme die systemische Ebene im Züchtungsprozess. Zielstellungen wie die Anpassung von Nutzpflanzen an spezifische Umwelten könnten durch die Züchtung unter simulierten Bedingungen in Gewächshäusern erfolgen oder in den spezifischen Umwelten der landwirtschaftlichen Praxis.
Schließlich könne den Folgen des Klimawandels auf die Landwirtschaft nicht allein mit Züchtung begegnet werden. „Vielmehr ist eine grundlegende Umstellung des Agrarsystems notwendig: hin zu einer verbesserten Bodenpflege, die durch Humusaufbau die Wasserhalteeigenschaften des Bodens und die Wachstumsbedingungen für die Pflanzen verbessert – und zugleich eine CO2- Senke darstellt –, hin zu einer Diversifizierung der Produktionssysteme und – wo immer sinnvoll – eine Regionalisierung der Lebensmittelerzeugung und Lebensmittelverteilung“, sagte Gelinsky.
Interdisziplinäre Technikfolgenabschätzung
Skepsis meldete auch Dr. Ricarda Steinbrecher, Biologin und Molekulargenetikerin an der Universität Oxford und Mitglied der internationalen Experten Gruppe (AHTEG) zur Synthetischen Biologie der UN Konvention für Biologische Vielfalt, an dem CDU/CSU-Antrag an. Dem vorliegenden Antrag der Unions-Fraktion fehle die Analyse und Begründung, warum die Pflanzenzüchtung als auch besonders eine neue und weitaus unerfahrene Technik wie die der Genom-Editierung (beispielsweise die sogenannte Genschere Crisper/Cas) als Lösungselement in den Mittelpunkt gestellt werde.
Um die im Antrag geäußerten Annahmen oder Hypothesen eines vermuteten Beitrags zu vertreten und zu überprüfen, bedürfe es nicht nur einer interdisziplinären Technikfolgenabschätzung, sondern auch eines weitkonzipierten problemorientierten inter- und intradisziplinären Ansatzes. Auf diese Weise könne beurteilt werden, was tatsächliche Lösungen seien oder sein könnten, und was es brauche, um die notwendigen Informationen für zukunftsweisende Entscheidungen zu ermöglichen.
Biodiversität und innovative Anbaumethoden
Was benötigt werde, sei die Förderung von Resilienz, um die Herausforderungen nachhaltig angehen zu können, so Steinbrecher. „Um dies zu erreichen, brauche es nicht nur einen hohen Grad von Biodiversität, sondern auch innovative Anbaumethoden, die gleichzeitig gute und sichere Erträge liefern und Biodiversität ermöglichen und stärken“, so Steinbrecher. Die Biologie setze Grenzen, was einzelne Arten oder Sorten leisten könnten. „Die bisherige Gentechnik hat versucht, die Wunderpflanzen zu entwickeln – mit wenig Erfolg“, folgerte Steinbrecher. Stressresistenzen, wie Trocken- oder Hitze- oder Frosttoleranz, seien komplexe und vernetzte Multigen-Merkmale.
Ihrer Meinung nach würden derzeit keine neue GVO-Regeln und Gesetze dazu gebraucht. Die rechtliche Lage sei zudem auch klar. Crisper/Cas-Genome-Editing sei eine relativ neue Technologie- und Verfahrensgruppe. Es gebe keine ausreichenden Daten von Freilandversuchen und aus dem Bereich einer interdisziplinären Risiko- und Sicherheitsforschung, noch gebe es Erfahrung aus dem Anbau. Labor- und Feldversuche könnten nicht herangezogen werden, da es dazu Erfahrung aus einer langjährigen Anwendung brauche. Des Weiteren befinde sich Crisper/Cas wie auch Genom-Editierung in einer ständigen Weiterentwicklung und Neuerfindung, was weiterhin Aussagen bezüglich Sicherheit oder Zuverlässigkeit erschwere.
Sachverständige: Angst vor Mutationen ablegen
Svenja Augustin, Biologin am Exzellenzcluster für Pflanzenwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, rief die Abgeordneten hingegen dazu auf, sich für die Nutzung der modernen Gentechnik einzusetzen. Vor allem, um die Ernährungssicherung zu gewährleisten und um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Die Fragen, um die es in dieser Debatte gehe, umfassten die Aspekte, wie sich die Menschheit in Zukunft ernähre und mit welchen Lebensmitteln.
Augustin plädierte dafür, Ängste wie etwa vor Mutationen abzulegen. Sie machte darauf aufmerksam, dass es auch zu Nachteilen kommen könnte, wenn die Forschung Techniken wie Crisper/Cas nicht verwenden würde. Das Artensterben sei massiv, die Landwirtschaft spiele dabei dahingehend eine Rolle, weil sie „sehr viel Fläche in Anspruch nimmt“. Kein Acker, egal, ob ökologisch oder konventionell genutzt, weise eine vergleichbare Vielfalt von Pflanzen und Tieren auf wie ein intaktes Habitat. Außerdem müssten die durch die Landwirtschaft entstehenden Treibhausgase dringend reduziert werden. Anpflanzmethoden, die dazu beitragen, weniger Fläche und weniger CO2 zu verursachen, könnten „einen wertvollen Beitrag dazu leisten, einen Klimakollaps zu verhindern“, sagte Augustin.
„Produktivitätssteigerungen sind unerlässlich“
Vor dem Hintergrund weiter steigender Bevölkerungszahlen und dem Erreichen von einer Weltbevölkerung um die neun Milliarden Menschen in der Mitte der 2030er Jahre hält Prof. Hans-Georg Dederer, Lehrstuhlinhaber für Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau und Ordinarius, „Produktivitätssteigerungen der Landwirtschaft für unerlässlich“.
Für die Gewährleistung von Ernährungssicherheit habe die Nutzpflanzenerzeugung als Grundlage für die Lebens- und Futtermittelherstellung eine fundamentale Bedeutung. 50 Prozent der Zugewinne an Produktivität gingen bei Nutzpflanzen auf das Konto von verbesserten Sorten, beruhten also auf Pflanzenzüchtung.
„Novellierung ist äußerst dringlich“
Die NGTs würden hierfür äußerst wertvolle Werkzeuge für die schnelle, präzise, gezielte, kosteneffiziente und sichere Züchtung von Pflanzen bilden. Der in Deutschland und der EU geltende Rechtsrahmen für GVO verhindere, „dass die enormen Potentiale der NBTs/NGTs für Zwecke der Pflanzenzüchtung mit dem Ziel der Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft genutzt werden können“. Eine Novellierung des europäischen Gentechnikrechts sei aus mehreren Gründen „äußerst dringlich“. Er vertrete jedoch die Forderung, so Dederer, dass NGT-Organismen vom GVO-Rechtsrahmen gänzlich auszunehmen seien, sofern keine artfremde genetische Information eingefügt worden sei und nur eine solche Kombination von genetischem Material vorliege, die sich ebenso auf natürliche Weise oder durch konventionelle Züchtungsverfahren ergeben könnte.
Allerdings könne dann der mitgliedstaatliche Gesetzgeber derartige, vom GVO-Regelwerk nicht erfasste Organismen selbst regeln und unter Umständen – in den Grenzen der EU-Grundfreiheiten und der nationalen Grundrechte – dem inländischen Gentechnikrecht unterwerfen. Dem könne allerdings mit einer Klausel über die freie Verkehrsfähigkeit bestimmter, vom GVO-Rechtsrahmen der EU ausgenommener GVO entgegengewirkt werden. Darüber hinaus sei im Rahmen einer Novellierung des europäischen Gentechnikrechts an ein obligatorisches Vorprüfungsverfahren zu denken, in welchem mittels NBTs/NGTs erzeugte Organismen als GVO oder als Nicht-GVO qualifiziert würden und in dem gerade auch für den Fall, dass Organismen als Nicht-GVO eingeordnet würden, eine summarische Risikoabschätzung ermöglicht werde. Eine Reform des europäischen Gentechnikrechts mit dem Ziel der Deregulierung könne die Vorschläge der Leopoldina vom Dezember 2019 „aufgreifen und fortführen“, sagte Dederer.
Sachverständiger sieht mehr Chancen als Risiken
Auch Prof. Dr. Nicolaus von Wirén, Leiter der Abteilung für Physiologie und Zellbiologie am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben, sieht bei von über NGT erzeugten Pflanzenlinien mehr Chancen als Risiken. Aus naturwissenschaftlicher Sicht gebe es keinen Grund, über NGT erzeugte Pflanzen anders zu bewerten als solche, die über spontane oder ungerichtet induzierte Mutagenese erzeugt wurden. Insofern basierten die im Antrag der Union formulierten Forderungen auf wissenschaftlich belegten Fakten. Es sei auch höchstwahrscheinlich, dass insbesondere Nachhaltigkeitsziele, unter anderem Reduzierung von Düngung, Wasserverbrauch und chemischem Pflanzenschutz durch die Einbeziehung von NGT in das vorhandene Instrumentarium der Pflanzenzüchtung rascher und effektiver erreicht werden könnten.
Wie sein Vorredner Dederer verwies von Wirén auf die Einschätzung der Wissenschaftsakademie Leopoldina. Genetische Veränderungen bei der Crisper/Cas-Technologie seien um ein Vielfaches geringer als bei dem etablierten Verfahren der induzierten Mutagenese durch Bestrahlung oder chemische Behandlung von Saatgut. Im Gegensatz zur induzierten Mutagenese sei die Genomeditierung zielgerichtet. Das Ergebnis sei absehbar und werde nicht, wie bei der induzierten Mutagenese dem Zufall überlassen. Die Verwendung NGT entspreche somit einer konsequenten Weiterentwicklung bisheriger Züchtungstechniken. (nki/29.11.2022)