Jahreswirtschaftsbericht 2022 von Bundesminister Habeck vorgestellt
Einerseits angespannt, andererseits mit Grund zur Hoffnung – so fasst Wirtschafts- und Klimaschutzminister Dr. Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) die Lage der deutschen Wirtschaft zusammen. „Die Situation ist mit ‚opaque‘ zu beschreiben“, sagte Habeck am Freitag, 28. Januar 2022, bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts und einer Regierungserklärung zum Thema „Für eine sozial-ökologische Marktwirtschaft – Transformation innovativ gestalten – Jahreswirtschaftsbericht 2022“.
Entschließungsantrag der CDU/CSU überwiesen
Die anschließende Aussprache war zugleich die erste Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 2022 der Bundesregierung (20/520) sowie des Jahresgutachtens 2021/22 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (20/160). Gegenstand der Aussprache waren zudem Anträge der AfD (20/512) und der Linken (20/402).
Überwiesen an den Ausschuss für Kilmaschutz und Energie wurde darüber hinaus ein Entschließungsantrag der Unionsfraktion (20/524). Darin fordert die Fraktion unter anderem, den am 24. Januar 2022 verfügten vollständigen Förderstopp für energieeffiziente Gebäude und Bestandssanierungen mit sofortiger Wirkung rückgängig zu machen und bereits gestellte Förderanträge schnell zu bearbeiten und beim Vorliegen der Voraussetzungen zu bewilligen.
Minister: Ein Bericht der vorsichtigen Hoffnung
Man habe eine robuste Wirtschaft und einen stabilen Arbeitsmarkt vor sich, so Habeck. „Die Wachstumsprognose des Bruttoinlandsproduktes liegt bei 3,6 Prozent.“ Dass das Wachstum geringer ausfiel als zunächst prognostiziert, habe auch mit der Corona-Pandemie zu tun. Die Pandemie sei zudem der Grund, warum sich das Wachstum zunächst gebremst entwickeln werde, aber auch die außenpolitische Situation trage dazu bei, erläuterte der Minister. Im zweiten Quartal solle dann aber das Vorkrisenniveau erreicht werden.
„Wir befinden uns in einer Zeit, die viele Unsicherheiten bietet für Industrie und Unternehmen“, sagte Habeck Die Pandemie habe zu einer geringeren Beschäftigungsdynamik und zu einer ausbleibenden Investitionsstätigkeit geführt. Jetzt bestehe aber die Aufgabe erst einmal darin, die Energiepreise zu senken. Es gehe zudem darum, den Anstieg zu dämpfen, sowohl für die Menschen als auch für die Unternehmen.
Um das zu erreichen, wolle man die EEG-Umlage so schnell es geht abschaffen, man wolle zudem eine Reform der Netzentgelte vornehmen und das Marktdesgin im Energie- und Strommarkt anpassen. Unter dem Strich sei der Jahreswirtschaftsbericht ein „Bericht der vorsichtigen Hoffnung“, bilanzierte Habeck, denn es sei möglich, sowohl den Wohlstand zu erhöhen, als auch den Schutz des Klimas und der Umwelt nach vorne zu bringen.
CDU/CSU verlangt mehr Taten als schöne Worte
Jens Spahn (CDU/CSU) sagt in seinem Redebeitrag zum Jahreswirtschaftsbericht, er vermisse seit der Regierungsübernahme durch Ampelkoalition eine Führung in der Wirtschaftspolitik und verweist unter anderem auf die kürzlich eingestellten KfW-Kredite zur Förderung energieeffizienter Gebäude.
In der unsicheren wirtschaftlichen Lage erwarte man zudem Antworten zu den drängenden Fragen, etwa zur Inflation, so Spahn. „Wir brauchen hier mehr Taten als schöne Worte.“ Nur eine wachsende Volkswirtschaft werde die Ressourcen bereitstellen können, die es braucht, um die Energiewende sozial gerecht zu gestalten.
SPD: Ökonomie und Ökologie schließen sich nicht aus
Verena Hubertz (SPD) findet, man habe in der Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre zu lange nur auf „das reine Mehr an Einkommen“ geschaut. Die Zeiten seien nun angespannter, es gebe einen Mangel an Ressourcen, Fachkräften und Zeit. „Wir sind die erste Generation, die bei den Erneuerbaren nach vorne kommen muss“, sagte Hubertz.
Der Jahreswirtschaftsbericht zeige, dass sich dabei Ökonomie und Ökologie nicht ausschließen. Die Sozialdemokratin betonte den wichtigen Aspekt der Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen, der in den Bericht mit aufgenommen wurde: „Es ist einfach ungerecht, dass Frauen immer noch weniger verdienen.“
AfD kritisiert „unsoziale öko-religiöse Planwirtschaft“
Für Enrico Komning (AfD) klingt das alles sehr „abenteuerlich“. Der Jahreswirtschaftsbericht sei ein Abgesang auf Freiheit, soziale Marktwirtschaft und breiten Wohlstand für die Menschen in Deutschland. „Sie stellen die Weichen auf eine unsoziale öko-religiöse Planwirtschaft und leiten ein Jahrzehnt der Volksverarmung ein“, sagte Komning in Richtung des Ministers. Jedes kleine Pflänzchen von Wirtschaftswachstum werde erstickt.
Weiter sagte Komning, die Abschaffung der Ökostrom-Umlage gleiche nicht ansatzweise das aus, was man den Menschen mit der Erhöhung der CO2-Steuer „aus der Tasche gezogen“ werde.
FDP: Wohlstand und ökologische Folgen versöhnen
Die Empörung um das Einbeziehen neuer Indikatoren in den Jahreswirtschaftsbericht versteht der Abgeordnete Reinhard Houben (FDP) nicht: Es seien auch in der Regierungszeit der Union in einer Enquete-Kommission bereits Fragen der Erweiterung der Themen des Jahreswirtschaftsberichts diskutiert worden. Leider sei das Ergebnis der Kommission in den Schubladen verschwunden.
Die entscheidenden Fragen des Berichts blieben aber doch bestehen, so Houben: „Wo stehen wir beim Bruttoinlandsprodukt und wie versöhnen wir die Frage des Wohlstandes und des wirtschaftlichen Erfolges mit den Fragen nach den ökologischen oder sozialen Folgen?“
Linke: Ökologische Nachhaltigkeit muss sozial nachhaltig sein
Für Christian Leye (Die Linke) ist es ein Fortschritt, dass im Bericht die soziale Gerechtigkeit thematisiert werde. Schließlich seien die ungerechten Verhältnisse im Land auch das „Ergebnis der Politik in diesem hohen Hause“, sagte der Abgeordnete Leye bei seiner ersten Rede im Bundestag.
Eine Politik der ökologischen Nachhaltigkeit müsse auch sozial nachhaltig sein. „Wirtschaftspolitik muss aus der Perspektive von Menschen mit niedrigem Einkommen gedacht werden, um nachhaltig sein zu können“, sagte Leye.
Grüne: Wirtschaft steht vor einem ruppigen Jahr
Dieter Janecek blickt für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen auf den Jahreswirtschaftsbericht und befindet, dass es sich um einen kraftvollen Aufschlag der neuen Wirtschaftspolitik handele. Schließlich stehe man vor einem „ruppigen Jahr“ mit großen wirtschaftspolitischen Herausforderungen, viele Unternehmen bräuchten aufgrund der Corona-Pandemie noch Unterstützung.
Man werde zudem in Zukunft nicht allem nachgehen, was die Industrie fordere. Es gehe immer darum anzuschauen, was effizient sei.
Jahresgutachten des Sachverständigenrates
Auch wenn sich die Weltwirtschaft zunehmend von der Corona-Krise erholt, prägen ihre Auswirkungen weiterhin die wirtschaftliche Entwicklung. Das schreibt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 2020/2021, das als Unterrichtung durch die Bundesregierung (20/160) vorliegt.
Im Sommer 2021 habe sich die deutsche Wirtschaft weiter von den Folgen der Pandemie erholt, heißt es in der Vorlage. „Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dürfte das Vorkrisenniveau aus dem vierten Quartal 2019 im Verlauf des ersten Quartals 2022 wieder erreichen“, prognostiziert der Sachverständigenrat.
2,7 Prozent Wachstum prognostiziert
Derzeit störten vielfältige angebotsseitige Engpässe die globalen Wertschöpfungsketten und dämpften zusammen mit weiterhin bestehenden pandemiebedingten Einschränkungen das Wachstum. Zu erwarten sei, dass sich vor allem die Industrieproduktion zum Teil ins nächste Jahr verschiebt. Die Experten rechnen für Deutschland mit einem Anstieg der Wirtschaftsleistung um 2,7 Prozent im Jahr 2021 und um 4,6 Prozent im Jahr 2022.
In dem Jahresgutachten wird des Weiteren darauf verwiesen, dass die weltwirtschaftliche Erholung von einem Anstieg der Rohstoff- und Energiepreise sowie angebotsseitigen Engpässen begleitet worden sei. Dies habe zu einem deutlichen Anstieg der Verbraucherpreisinflation geführt, „die ohnehin durch Basis- und Sondereffekte erhöht ist“.
Warnung vor höheren Inflationsraten
Der Sachverständigenrat erwartet in Deutschland eine Inflationsrate von 3,1 Prozent für das Jahr 2021 und von 2,6 Prozent für das Jahr 2022. „Länger anhaltende angebotsseitige Engpässe, höhere Lohnabschlüsse und steigende Energiepreise bergen jedoch das Risiko, dass eigentlich temporäre Preistreiber zu persistent höheren Inflationsraten führen könnten“, wird zugleich gewarnt.
Am Arbeitsmarkt sei die Erwerbstätigkeit im ersten Halbjahr 2021 nach einem Rückgang im Jahr 2020 wieder angestiegen, was vor allem auf eine Zunahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sei, heißt es weiter. Die im Jahr 2020 stark zurückgegangene geringfügige Beschäftigung sei ebenso wieder angestiegen, während die Zahl der Selbstständigen weiter rückläufig gewesen sei. Die starke Zunahme der Anzahl der offenen Stellen in diesem Jahr deute an, „dass sich die Arbeitskräftenachfrage normalisiert“, schreibt der Sachverständigenrat.
Dimensionen der Nachhaltigkeit
Erörtert werden im Jahresgutachten auch unterschiedliche Dimensionen der Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung. Die fiskalpolitische Reaktion auf die Corona-Pandemie habe zu einem stark negativen Finanzierungssaldo geführt und dürfte den Angaben zufolge die öffentliche Verschuldung in Deutschland im Jahr 2021 auf 70,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ansteigen lassen.
Ein Großteil der fiskalpolitischen Maßnahmen laufe mit Ende der Krise aus. „Wenn die Fiskalpolitik wieder normalisiert wird, dürfte die fiskalische Nachhaltigkeit in Deutschland insbesondere aufgrund der günstigen Rahmenbedingungen, wie etwa der niedrigen Zinsen, sichergestellt sein“, urteilen die Sachverständigen.
Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion bringt zur Aussprache einen Antrag mit dem Titel „Wachstumspotenziale in der Datenökonomie gestalten, Entwicklungshemmnisse beseitigen“ (20/512) ein, der im Anschluss zur weiteren Beratung an den Wirtschaftsausschuss überwiesen wurde. Darin moniert die Fraktion unter anderem eine „Geringschätzung“ des sogenannten Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung durch die Bundesregierung. Dieser solle „wieder mit den vorgeschriebenen fünf, statt nur mit vier Wirtschaftsweisen“ besetzt werden, heißt es.
Außerdem plädiert die Fraktion für „eine wissenschaftliche Evaluierung der sogenannten Datenstrategie der Bundesregierung durch Sachverständige“ in zweijährigem Turnus. Die Sachverständigen sollten im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag benannt werden und „die strategische Zielerreichung, den kumulierten Mittelabfluss und die zweckmäßige Mittelverwendung“ im Hinblick auf die Beendigung oder Fortführung von Einzelvorhaben oder -programmen bewerten.
Antrag der Linken
Ebenso im Wirtschaftsausschuss wird ein Antrag der Fraktion Die Linke (20/402) erörtert werden, der darauf abzielt, „europäisches Greenwashing“ zu verhindern und die Einstufung von Atomkraft als nachhaltige Technologie zu stoppen. Der EU-Entwurf für einen delegierten Rechtsakt zur Ergänzung der Taxonomie-Verordnung müsse vom EU-Rat abgelehnt werden, fordern die Abgeordneten. Das Vorgehen der Bundesregierung dürfe sich in Anbetracht der aktuellen Mehrheitsverhältnisse im Rat nicht nur im Abstimmungsverhalten sowie in Erklärungen erschöpfen, dass Deutschland in der Atomkraft keine nachhaltige Technologie sehe. Vielmehr müsse die Bundesregierung die Positionen der Regierungen von Österreich und Luxemburg unterstützen und sich aktiv an der Organisation einer Ratsmehrheit für eine Ablehnung des Kommissionsvorschlags beteiligen.
Ferner fordert die Fraktion Die Linke, dass die Ankündigungen der Regierungen Österreichs und Luxemburgs, im Falle einer Verabschiedung Klage gegen die Umsetzung des delegierten Rechtsakts zu erheben, von der Bundesregierung im Rat und öffentlich unterstützt werden.
(emu/hau/eis/vom/ste/28.01.2022)