Bundestagspräsidentin Bas gedenkt der Opfer der NS-„Euthanasie“ in Bernburg
Der Boden ist schwarz-weiß gekachelt, die Wände weiß gefliest. Eine schwere Tür verhindert, dass Gas entweichen kann. An der Decke finden sich Leitungen zu „Duschköpfen“, durch die Kohlenstoffmonoxid strömte. Sie sind mit dem Nachbarraum verbunden, in dem das Gas aufbewahrt wurde. „15 Flaschen brauchte es für eine Gaskammer“, erzählt die Leiterin der Gedenkstätte für Opfer der NS-„Euthanasie“ Bernburg an der Saale, Ute Hoffmann, während sie durch die historischen Räume im Keller führt. Es mussten nur die Ventile geöffnet werden – durch ein Sichtfenster konnte das Sterben beobachtet und gesteuert werden. So wurde auch neues Personal angelernt, berichtet die Historikerin.
Die als Duschraum getarnte Gaskammer in der heutigen Gedenkstätte ist erschreckend gut erhalten. 1940 ging sie in Betrieb. Hier ist bis heute zu sehen, mit welchen einfachen baulichen Mitteln eine Mordaktion, mit der vermutlich zwischen 50 und 60 Menschen gleichzeitig getötet werden konnten, realisiert wurde. Hoffmann führt auch durch den Sammelraum, in dem das Personal Kleidung und persönliche Dinge sortierte, durch den Sektionsraum, in dem Gehirne einzelner Opfer entnommen wurden, durch den Leichenraum hin zum Krematorium mit den Öfen, der heute ein stiller Gedenkort ist.
Als „Lesbierin“ verhaftet und in Bernburg ermordet
An diesem Ort hat Bundestagspräsidentin Bärbel Bas am Samstag, 14. Januar 2023, im Kontext der diesjährigen Gedenkstunde des Bundestages am 27. Januar der rund 14.000 in Bernburg ermordeten Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten sowie Häftlingen aus den Konzentrationslagern gedacht. Im Mittelpunkt der Gedenkstunde stehen in diesem Jahr Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung beziehungsweise ihrer geschlechtlichen Identität im Nationalsozialismus verfolgt wurden. „Es ist für mich wichtig, an dem Ort zu sein, an dem eine Protagonistin ermordet wurde“, sagte Bas mit Blick auf Mary Pünjer (1904-1942), deren Biographie in der Gedenkstunde vorgestellt werden soll. Es sei spät und habe lange gebraucht, bis sich das Parlament diesem wichtigen Thema gewidmet habe, aber es sei nicht zu spät, betonte Bas vor Ort.
Pünjer wurde 1940 als verheiratete Frau unter dem Vorwand der „Asozialität“ als „Lesbierin“ verhaftet und nach ihrer Verurteilung im KZ Ravensbrück interniert. Dort wurde sie Anfang 1942 aufgrund der ihr unterstellten lesbischen Neigung und ihrer jüdischen Herkunft für die Mordaktion an KZ-Häftlingen „Aktion 14f13“ selektiert. Am 28. Mai 1942 wurde sie in Bernburg ermordet.
Opfern ein Gesicht geben
Zusammen mit dem Staatssekretär für Kultur des Landes Sachsen-Anhalt und Vorsitzenden des Stiftungsrates der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, Dr. Sebastian Putz (CDU), legte Bas ein Gebinde im Bereich des ehemaligen Krematoriums nieder. Zu den Opfern in Bernburg zählten kranke, behinderte und sozial auffällige Menschen sowie jüdische Häftlinge, die hier zwischen 1940 und 1943 im Zusammenwirken von Ärzten, Juristen, Pflegepersonal und Verwaltung ermordet wurden. Von vielen Menschen, die in der „Euthanasie“-Anstalt ermordet wurden, ist kaum mehr als ihr Geburtsdatum bekannt.
„Die Namen der Opfer sind alphabetisch geordnet“, erklärt Historikerin Hoffmann mit Verweis auf das Totenbuch und hinsichtlich des Umgangs mit den unterschiedlichen Opfergruppen. Genau gegenüber ist eine Bilderwand errichtet worden, mit der den NS-Opfern ein Gesicht gegeben werden soll. Angefangen hat es mit Bildern aus Krankenakten, dann kamen private Bilder von Angehörigen hinzu. 92 Prozent der Opfer seien erfasst, nach einigen sucht sie immer noch, sagt Hoffmann. Auch an Mary Pünjer wird seit heute mit einem eigenen Foto erinnert.
Erinnerungsstücke für die Angehörigen
Eine weitere Erinnerung für die Angehörigen schafft in Bernburg die Künstlerin Mareen Alburg Duncker. Ihr Ziel: Die Persönlichkeiten der Opfer über Schmuck sichtbar machen und ihnen so etwas an Wertschätzung zurückzugeben. Dafür fertigt sie individuelle Schmuckstücke für die Gedenkstätte und die Angehörigen an.
Sie berichtete etwa von dem14-jährigen Wolfgang, dem „angeborener Schwachsinn“ bescheinigt wurde und der am 16. Juni 1941 in Bernburg ermordet wurde. Für ihn fertigte sie ein Spielobjekt an: „Aus seiner Krankenakte ging hervor, dass er Farben nicht sicher erkannte und nicht gut mit Zahlen war“, berichtet Duncker. Also schuf sie zwei Spielobjekte, mit denen er sich hätte beschäftigen können, um Zahlen und Farben spielerisch zu lernen. Seine Angehörigen in Süddeutschland erhielten zur Erinnerung einen Anhänger.
Wie Erinnerungskultur erhalten und ausbauen?
Weil sich die Gedenkstätte auf dem Gelände des Bernburger Salus-Fachklinikums befindet, tauschte sich Bas auch mit Vertreterinnen und Vertretern des psychiatrischen Fachklinikums und der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt über die Verbindung von Gedenkstättenarbeit und medizinischem Betrieb aus und dankte ihnen für die akribische Arbeit.
„Uns beschäftigt, was wir machen, wenn keine Zeitzeugen mehr da sind, damit die Opfer trotzdem einen Namen und ein Gesicht bekommen“, sagte Bas. „Wir haben hier noch nie Zeitzeugen gehabt, weil wir nur die Täteraussagen haben. Man sieht, dass es über Akten und biographische Zugänge trotzdem gut funktioniert“, berichtete Gedenkstätten-Leiterin Hoffmann aus ihrer Praxis. (lbr/14.01.2023)