Scholz: Die Welt des 21. Jahrhunderts wird eine multipolare Welt sein
Vor dem Beginn des ersten Gipfeltreffens der EU-Mitgliedsstaaten und des südostasiatischen Staatenverbands (ASEAN) in Brüssel hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner Regierungserklärung am Mittwoch, 14. Dezember 2022, angesichts großer Herausforderungen die Bedeutung internationaler Zusammenarbeit in einer „multipolaren Welt“ betont. „Die Vorstellung einer bipolaren Ära, in der sich alles um die USA und China dreht, geht an der globalen Wirklichkeit vorbei“, sagte Scholz. „Die Welt des 21. Jahrhunderts wird eine multipolare Welt sein.“
Für die Bewältigung von Herausforderungen wie Klimaschutz, Pandemien, Biodiversität oder Digitalisierung müsse man nicht nur die Lieferketten diversifizieren, sondern auch die „Verbindungen in alle Teile der Welt“. Es brauche Partnerschaften auch mit aufstrebenden Nationen in Asien, Afrika, Lateinamerika und der Karibik. Dabei verwies der SPD-Politiker auch auf die große Bedeutung des südostasiatischen Staatenverbunds mit seinen 670 Millionen Einwohnern.
EU-Beitritt der Westbalkan-Staaten vorantreiben
Auch zu Fragen des am Donnerstag stattfindenden Europäischen Rats äußerte sich der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung: So mahnte er angesichts der andauernden Kontroverse über einen EU-Gaspreisbremse davor, die Versorgungssicherheit zu gefährden: „Wir können nicht so in Preise eingreifen, dass dann zu wenig Gas nach Europa geliefert wird“, betonte er. Gleichzeitig zeigte sich Scholz zuversichtlich, dass man eine „gute, pragmatische Verständigung“ erzielen werde.
Mit Blick auf die Erweiterung der Union drängte der Kanzler zudem erneut zu einer schnelleren Integration der sechs Westbalkan-Staaten an die EU. Es sei gut, dass Bosnien-Herzegowina nun einen Kandidatenstatus erhalten habe.
Scholz: Putin hat sich „fundamental verrechnet“
Der Kanzler betonte zudem die Einigkeit der EU in der Unterstützung der Ukraine. Der russische Präsident Waldimir Putin habe sich „fundamental verrechnet“. Alle Ziele seines Kriegs gegen die Ukraine habe er verfehlt: Weder habe er das Land in wenigen Tagen einnehmen, noch den Westen spalten können. „Wer immer glaubt, er könne die Grundwerte der EU, zu denen sich alle Mitgliedstaaten verpflichtet haben, ausspielen gegen die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Union, der wird damit scheitern“, sagte er auch an die Adresse Ungarns. Das EU-Land hatte zunächst die Auszahlung eines 18-Milliarden-Euro-Kredits an die Ukraine wegen des Streits um Rechtsstaatlichkeit und Fördergelder mit der EU-Kommission blockiert.
Russland drohte der Kanzler mit weiteren EU-Sanktionen: Diese werde man solange aufrechthalten und weiter verschärfen, solange Putin seinen brutalen Angriffskrieg fortsetze. Die Ukraine könne weiter auf die – auch militärische – Unterstützung Deutschlands und der EU rechnen, versprach Scholz.
Union moniert Störungen im deutsch-französischen Verhältnis
Friedrich Merz (CDU/CSU) warf dem Bundeskanzler vor, der Ukraine Hilfe vorzuenthalten: Nach wie vor fehlten der ukrainischen Armee Schützenpanzer und Kampfpanzer, die Deutschland aus den Beständen der Bundeswehr und der Industrie liefern könnte, so der Fraktionsvorsitzende der Unionsfraktion. „Auch fast zehn Monate nach Beginn dieses Krieges verstecken Sie sich immer noch hinter den Nato-Partnern, die angeblich auch nicht liefern wollen. “Wir wissen mittlerweile, dass dies falsch ist„, sagte Merz. Es liege an Scholz “persönlich„, dass die Ukraine diese Hilfe nicht erhalte. Zudem monierte Merz Versäumnisse in der EU-Politik sowie in der Außen- und Wirtschaftspolitik: Die deutsch-französischen Beziehungen seien “tief gestört„, zur Frage eines Außenhandelsabkommen mit den USA äußere sich die Regierung ebenso wenig klar wie zum Regime im Iran, so der CDU-Politiker.
Ähnlich kritisch äußerte sich auch Alexander Dobrindt (CDU/CSU), der Deutschland zunehmend in Europa als isoliert sieht. Er hielt dem Kanzler außerdem vor, sein Versprechen, die Bundeswehr zu stärken, nicht einzuhalten.
Grüne loben Einfrieren von Fördergeldern für Ungarn
Die Co-Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Katharina Dröge, verteidigte die Politik der Bundesregierung und warf im Gegenzug der Union vor, mit dem vor allem vom früheren Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) vertretenen Kurs der “elenden Austeritätspolitik„ die Europäische Union gespalten und Deutschlands Ruf bei den Nachbarländern schwer belastet zu haben.
Trotz Differenzen zeige sich die EU aber handlungsfähig: Die Grünen-Politikerin verwies auf weitere Sanktionen gegen den Iran und lobte auch die Standhaftigkeit der EU-Staaten, Fördergelder in Höhe von 6,3 Milliarden für Ungarn einzufrieren. Es sei gut, dass sie Erpressungsversuchen des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, Hilfen für die Ukraine zu blockieren, widerstanden hätten.
FDP will Freihandel stärken
Auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr rechtfertigte die Durchsetzung von Rechtsstaatsprinzipien gegenüber Ungarn. Die Einführung des Rechtsstaatsmechanismus sei ein großer Schritt nach vorne gewesen, sagte Dürr. Mit Blick auf den anstehenden EU-Rat signalisierte er dem Kanzler die Unterstützung der FDP für die anstehenden Beschlüsse zum EU-Gaspreisdeckel und zu weiteren personenbezogenen Sanktionen gegen Iran.
Vorwürfe der Union, die Bundesregierung positioniere sich nicht klar zu Handelsabkommen, wies der FDP-Politiker zurück: Die Fragen nach Freihandel seien doch längst beantwortet: “Wir wollen vorangehen mit Südamerika, Mercosur, Mexiko, Chile und einen Neustart des Freihandelsabkommens mit den Vereinigten Staaten„, stellte Dürr klar.
AfD fordert Ende wirtschaftlicher Sanktionen
Tino Chrupalla (AfD) warnte hingegen die Bundesregierung vor einer zu “konfrontativen„ Außenpolitik: Es brauche “Zusammenarbeit auf Augenhöhe„ und keine “ideologischen Denkansätze„.
Der Co-Fraktionsvorsitzende der AfD forderte zudem ein Ende der Sanktionen gegen Russland: Deutschland als Land ohne Rohstoffe und mit hoher Inflation könne es sich nicht erlauben, “ständig wirtschaftliche Sanktionen im Namen einer feministischen Außenpolitik„ zu verhängen. Das schade dem Land und seinen Bürgern, so Tino Chrupalla.
Die Linke kritisiert Deutschlands Rolle in der EU
Auch Dr. Dietmar Bartsch (Die Linke) griff die Bundesregierung hinsichtlich ihrer Rolle in der EU scharf an: Deren Krisenlösungsfähigkeit sei eine “Luftnummer„. Bei den europäischen Lösungen für die Inflation und für die Energiekrise gebe es weitgehend Fehlanzeige. Das habe auch mit einem mangelnden Engagement zu tun.
Ob gemeinsame Gaseinkäufe, eine gemeinsame Gaspreisbremse oder eine Übergewinnsteuer – Deutschland mache zu wenig. “Ich sehe nur ein Maximum an Selbstgerechtigkeit„, sagte Bartsch. Damit verprelle die Bundesregierung ihre Partner und die Bürger in Deutschland.
SPD verteidigt Sanktionen gegen Russland
Achim Post, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, wies solche Kritik zurück: Die Bundesregierung handele entschlossen – in Europa und in Deutschland. Post verwies unter anderem auf das Sondervermögen Bundeswehr, auf die bisherigen drei Entlastungspakete und die nun anstehenden 200 Milliarden Euro zur Deckelung von explodierenden Energiepreisen.
In Europa reagiere man mit neun Sanktionspaketen auf den Angriffskrieg Russlands. Das seien Sanktionspakete, “die es so noch nie gegeben hat„ in der EU. Auch mit Blick auf die EU-Erweiterungsprozess unterstrich der Abgeordnete Geleistetes: Nach Jahren der Stagnation habe sich die Bundesregierung unter Führung von Kanzler Scholz aufgemacht, die Integration des westlichen Balkans voranzutreiben. (sas/14.12.2022)