Zeit:
Montag, 17. Oktober 2022,
14
bis 15.45 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.600
Sachverständige haben am Montag, 17. Oktober 2022, begrüßt, dass die Bundesregierung die Qualität der Kindertagesbetreuung weiter verbessern will. In der Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung (20/3880) setzten sie aber auch Akzente für die künftige Entwicklung von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Der Bundesregierung geht es in ihrem Entwurf darum, das „Gute-KiTa-Gesetz“ auf Grundlage des Evaluationsberichts von 2021 zu reformieren. Demnach sollen bereits begonnene Maßnahmen der Länder zur Qualitätsentwicklung und zur Entlastung der Eltern bei den Beiträgen fortgesetzt werden können. Neue Maßnahmen ab dem 1. Januar 2023 sollen aber ausschließlich dazu dienen, qualitative Handlungsfelder „von vorrangiger Bedeutung“ weiterzuentwicklen.
Es sollen also keine länderspezifischen Maßnahmen zur Beitragsentlastung mehr umgesetzt werden können. Zusätzlich sollen die bisher vier vorrangigen Handlungsfelder um drei weitere ergänzt werden: die Förderung der kindlichen Entwicklung, Gesundheit, Ernährung und Bewegung, die Förderung der sprachlichen Bildung und die Stärkung der Kindertagespflege.
„Personelle Rahmenbedingungen verbessern“
Prof. Dr. Susanne Viernickel von der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig riet dazu, die personalbezogenen Handlungsfelder hervorzuheben. Es herrsche eklatanter Personalmangel in den Kitas. Für einen bundesweit gleichwertigen Zugang zur Kindertagesbetreuung müssten die personellen Rahmenbedingungen verbessert und mittelfristig angeglichen werden. Sie empfahl, die Regelungen zur Entlastung von Elternbeiträgen aus dem Gesetz herauszuhalten. Jeder in die Beitragsentlastung investierte Euro gehe dem Ziel der Qualitätsverbesserung verloren. Es gehe aber nicht darum, beides gegeneinander auszuspielen, betonte Viernickel. Im Kita-Qualitäsgesetz sei die Entlastung jedoch „fehlplatziert“.
Das Gesetz müsse sich auf Strukturen konzentrieren, auf den Fachkraft-Kind-Personalschlüssel, die Qualität des Personals, die Gruppengrößen. Auch das Handlungsfeld der guten Kita-Leitung sei zu beachten. Bei den personellen Ressourcen sei in allen Ländern noch „Luft nach oben“, sagte Viernickel.
„Bund muss mehr zusteuern als bisher“
Dr. Elke Alsago von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi wies ebenfalls auf die Personalsituation in den Kitas hin. Es gebe unbesetzte Stellen, hohe Krankenstände, permanente Überforderung und Frustration, die Erzieherinnen fühlten sich von der Politik alleingelassen. Sie appellierte, die nächste Förderphase 2023/2024, in denen der Bund vier Milliarden Euro bereitstellen will, zu nutzen und die Förderung in eine Strategie einzubauen, die es den Fachkräften ermöglicht, die Entwicklung der Kinder gut zu begleiten.
Durch den Fachkräftemangel stehe das System vor dem Kollaps, warnte Alsago. Bund und Länder müssten gemeinsam einen Stufenplan vorlegen, wie das System, auch das Ausbildungssystem, quantitativ und qualitativ ausgebaut werden kann. Der Bund müsse mehr zusteuern als bisher.
„Elternbeiträge einkommensabhängig staffeln“
Matthias Dantlgraber vom Familienbund der Katholiken monierte, dass nun sieben von zehn Handlungsfelder priorisiert werden sollen. Zentral für ihn seien die Handlungsfelder des guten Betreuungsschlüssels und qualifizierter Fachkräfte. Kritisch sah er, dass Länder unter Umständen auch weiterhin Fördermittel für Beitragsentlastungen einesetzen können.
Beitragsentlastungen und Qualitätsverbesserungen sah er in einem Konkurrenzverhältnis. Er sprach sich für für eine einkommensabhängige Beitragsstaffelung aus. Wenn einige Länder bei den Beiträgen entlasten und andere in die Qualität investieren, dann drohe wieder ein Auseinanderdriften bei der Qualität, sagte Dantlgraber. Ausdrücklich befürwortete er bundeseinheitliche Qualitätsmaßstäbe.
„Bildungspolitischer Kahlschlag“
Arne Koopmann von der Evangelisch-lutherischen Kirche Ahlhorn/Oldenburg, der nach eigenen Angaben drei Kitas in Niedersachsen mit 194 Plätzen leitet, plädierte für die Forsetzung des Bundesprogramms „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“, das die Bundesregierung zum Jahresende einstellen will. 80 Prozent der bei ihm betreuten Kinder hätten eine Sprachbenachteiligung.
Wenn die geförderte Sprachentwicklung wegfallen würde, so Koopmann, wäre dies ein „bildungspolitischer Kahlschlag“. Dass die Beitragsfreiheit dazu führt, dass mehr Eltern ihre Kinder in Kitas schicken, könne er nicht bestätigen.
Priorisierung der Kindertagespflege begrüßt
Heiko Krause vom Bundesverband für Kindertagespflege hob hervor, dass die Kindertagespflege eine gleichrangige Betreuungsform sei, die von 23 Prozent der Eltern bevorzugt werde. Heute gebe es kein Kindertagespflegepersonal mehr, das nicht qualifiziert sei. Krause setzte sich für eine auskömmliche Vergütung der Fachkräfte in der Kindertagespflege ein.
Auch Maria-Theresia Münch vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge begrüßte die Priorisierung der Kindertagespflege in dem Gesetzentwurf. Notwendig wäre aus ihrer Sicht, die Fördermittel insgesamt zu erhöhen. Sie plädierte dafür, sich auf Personalentwicklung und den Ausgleich sozialer Ungleichheit zu konzentrieren.
„Förderung der Sprach-Kitas verstetigen“
Katharina Queisser von der Bundeselternvertretung der Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege sagte mit Blick auf Gebührenfreiheit, es müssten Wege gefunden werden, um den Zugang zur frühkindlichen Bildung so niederschwellig wie möglich zu halten. Sie empfahl zudem, die Förderung der Sprach-Kitas zusätzlich zum Budget des Gesetzentwurfs zu verstetigen.
Doreen Siebernik von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte Perspektiven für Fachkräfte und Familien. Aus keinem anderen Berufsfeld verschwänden Fachkräfte so schnell wie aus dem Berufsfeld der Erzieherinnen. Den Gesetzentwurf sah sie nur als Zwischenschritt. Mittefristig müssten die Ressourcen für das System der frühkindlichen Bildung erhöht werden.
„Anmaßend und übergriffig“
Stefan Spieker von der gemeinnützigen GmbH Fröbel Bildung und Erziehung, die nach seinen Angaben 20.000 Kinder in zwölf Bundesländern betreut, erklärte, er unterstütze den Antrag der CDU/CSU-Fraktion (20/3277), der ebenfalls Gegenstand der Anhörung war und eine Fortsetzung des Sprach-Kita-Bundesprogramms über das Jahresende hinaus fordert. Die Verträge der betroffenen Fachkräfte liefen aus und man wisse nicht, wie viele wann wieder eingesetzt werden können.
Jörg Freese vom Deutschen Landkreistag befürwortete ebenfalls die Forderung des Unionsantrags. Die Sprachförderung müsse fortgesetzt werden. Die vom Gesetzentwurf verlangte Staffelung der Elternbeiträge nannte Freese „anmaßend und übergriffig“. Es gebe Länder, die mit ihren Staffelungen bereits gute Erfahrungen gemacht hätten. Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund appellierte an den Bund, einen Weg für die dauerhafte Finanzierung der Kitas zu finden. Regina Offer vom Deutschen Landkreistag sagte, es gebe keinen sachlichen Grund, das Sprachförderprogramm auslaufen zu lassen. Die Sorge sei, dass jahrelang aufgebaute Strukturen wegfallen: „Es entsteht Unruhe in den Kitas.“ (vom/17.10.2022)