Zeit:
Montag, 26. September 2022,
10
bis 11.30 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3.101
Das Instrument des Kurzarbeitergeldes hat nach Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit (BA) gezeigt, dass es wirkungsvoll ist, um Arbeitsplätze zu erhalten und Arbeitslosigkeit zu verhindern. Die Bewältigung einer erneuten massenhaften Inanspruchnahme wäre heute allerdings nicht mehr leistbar, sagte Anke Eidner von der BA am Montag, 26. September 2021, in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Gegenstand der Anhörung war der Gesetzentwurf von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zur Anpassung der Verordnungsermächtigungen beim Kurzarbeitergeld und anderer Regelungen (20/3494), den der Bundestag am 29. September verabschieden will.
Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen
Der vereinfachte Zugang zum Kurzarbeitergeld war während der Pandemie beschlossen und zuletzt über Verordnungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales mehrfach verlängert worden. Der Entwurf zielt darauf ab, auch über den 30. September 2022 hinaus die Möglichkeit zu haben, Sonderregelungen per Verordnung zu erlassen.
Die Verordnungsermächtigungen sollen ausgeweitet werden, um für die Bundesagentur für Arbeit Vereinfachungen bei den Prüfungen der Anspruchsvoraussetzungen des Kurzarbeitergeldes zu ermöglichen (Möglichkeit des Verzichts auf den Einsatz von Arbeitszeitguthaben und Urlaub zur Vermeidung der Kurzarbeit sowie Möglichkeit für die Betriebe, die Anzeige von Kurzarbeit auch im Folgemonat noch vornehmen zu können). Für die pandemiebedingte Möglichkeit des anrechnungsfreien Hinzuverdiensts durch Aufnahme eines Minijobs während der Kurzarbeit wird eine bis zum 30. Juni 2023 befristete Verordnungsermächtigung geschaffen.
Dreistufiges Verfahren
Der Aufwand beim dreistufigen Kurzarbeitergeldverfahren bestehend aus Anzeige, vorläufiger Bewilligung und Abschlussprüfung ist nach Aussage von Anke Eidner von der BA enorm. Bei verstärkter Inanspruchnahme des Instruments bräuchte es daher „neue Kriseninstrumente“. Die Abschlussprüfungen für 800.000 Fälle aus der Pandemie seien aktuell noch offen. Dabei prüfe die BA anhand der Angaben des Arbeitgebers, ob die Auszahlung des Kurzarbeitergeldes korrekt war. Den zeitlichen Aufwand pro Fall bezifferte Eidner auf 290 Minuten.
Derzeit verfüge die BA über keine finanziellen Reserven mehr und wäre im Haushalt 2022 auf unterjährige Liquiditätshilfen des Bundes angewiesen, betonte die Sachverständige. Auch die Arbeitslosenversicherung könne die Kosten bei höherer Kurzarbeit nicht tragen.
Hoher Verwaltungsaufwand
Dr. Marlene Schubert vom Zentralverband des Deutschen Handwerks bezeichnete das Kurzarbeitergeld als bewährtes Kriseninstrument, das allerdings erhebliche Schwächen aufweise. Zu wünschen wäre für kleine und mittlere Unternehmen aufgrund des hohen Verwaltungsaufwands ein leichter handhabbares Instrument, das auch nicht so sehr „mitnahmeanfällig“ ist, sagte Schubert.
Dr. Anna Robra von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände regte an zu prüfen, wie das Instrument für eine massenhafte Inanspruchnahme verändert werden könnte. Entscheidend sei, an den Ursachen, den Energiemärkten, anzusetzen. Steven Haarke vom Handelsverband Deutschland sprach von einer positiven Resonanz, wobei eine Straffung des Verfahrens sinnvoll wäre.
„Kurzarbeitergeld armutssicher machen“
Dr. Susanne Uhl von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten sagte, das Gastgewerbe benötige das Kurzarbeitergeld, wenn ein „Energiepreisdeckel“ erst Mitte nächsten Jahres komme. Minijobs als Alternative hielt sie für „nicht so gut“. Stattdessen warb sie dafür, dass Kurzarbeitergeld armutssicher zu machen. Es dürfe nicht so gering sein, dass „die Leute aus den Jobs gehen“.
Uhl plädierte zudem für Aufstockungen, da sich die Preissteigerungen noch nicht in den Löhnen abbildeten. Die Lücke werde umso größer, wenn das Kurzarbeitergeld nur 60 Prozent des Nettogehalts ausmache.
Weitergeltung für die Leiharbeit begrüßt
Evelyn Räder vom Deutschen Gewerkschaftsbund begrüßte die vorübergehende Weitergeltung der Kurzarbeitergeldregelung für die Leiharbeit, solange dieser Branche eine Entlassungswelle drohe. Bei einer neuen krisenhaften Situation sollte über die Finanzierung der Verwaltungskosten in der BA nachgedacht werden, empfahl sie.
Oliver Zander vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall verwies darauf, dass in der Metall- und Elektroindustrie überwiegend Vollzeit-Arbeitsverhältnisse vorherrschten.
„Vorübergehende Schocksituation“
Prof. Dr. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sagte, die aktuelle Lage am Arbeitsmarkt sei noch nicht krisenhaft, der Arbeitskräftebedarf hoch. Würde sich die Energiekrise weiter verschärfen, wäre das aus seiner Sicht als „außergewöhnliches Verhältnis“ zu qualifizieren. Auch Weber sprach sich für eine Finanzierung aus Steuermitteln aus, wenn Kurzarbeitergeld in großem Umfang gebraucht werde. Das Kurzarbeitergeld dürfe aber den Strukturwandel nicht behindern.
Derzeit befinde man sich in einer vorübergehenden „Schocksituation“, aber auch in einer Transformation. In der Pandemie hätten Betriebe zumachen müssen, in der Energiekrise komme es dagegen darauf an, dass der Betrieb weiterläuft. Auf Kurzarbeit sollte man seiner Auffassung nach setzen, wenn es kurzfristig zu einer Situation kommt, dass die Energieversorgung nicht mehr für alle gewährleistet ist.
„Über aufstockende Regelung nachdenken“
Dr. Thoralf Pusch vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in der Hans-Böckler-Stiftung berichtete, dass im November 2020 etwa die Hälfte der Kurzarbeitenden in den Genuss von Aufstockungen gekommen seien, auch aufgrund tariflicher oder betrieblicher Vereinbarungen.
Bei Kurzarbeitenden ohne Aufstockung hätten zu diesem Zeitpunkt viele von einer belastenden Situation gesprochen, da deren Rücklagen aufgebraucht gewesen seien. Pusch hielt es für richtig, über die Wiedereinführung einer aufstockenden Regelung nachzudenken. (vom/26.09.2022)