Zeit:
Montag, 26. September 2022,
14.30
bis 16 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.300
Der Vorschlag der Europäischen Kommission, die Durchsetzung von EU-Sanktionen in den Mitgliedstaaten zu harmonisieren und dafür in einem ersten Schritt die Liste der EU-Straftaten zu erweitern, ist am Montagnachmittag, 26. September 2022, in einer öffentlichen Anhörung des Europaausschusses auf breite Zustimmung bei Experten gestoßen.
Deutschland würde einen wichtigen Beitrag zur effektiveren Durchsetzung von restriktiven Maßnahmen leisten, wenn die Bundesregierung einer entsprechenden Beschlussvorlage des Rates zustimme, betonte Prof. Dr. Frank Hoffmeister von der Freien Universität Brüssel. Er empfahl dem Bundestag wie die anderen drei Experten, das von der Bundesregierung vorgelegte Zustimmungsgesetz (20/3441) anzunehmen, das für die Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat der Europäischen Union notwendig ist. Mit Ausnahme von AfD und Die Linke begrüßten auch die Fraktionen die geplante Harmonisierung.
Beschlussvorlage des Rates
Konkretes Ziel der Ratsvorlage ist es, die „Verletzung von EU-Sanktionen“ in die Liste der EU-Straftaten in Artikel 83 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) aufzunehmen.
In einem zweiten Schritt soll später im Rahmen eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens eine EU-Richtlinie mit Mindestvorschriften verabschiedet werden. So will die Kommission verhindern, dass Sanktionen nicht durchgesetzt oder umgangen werden können.
Unterschiedliche Definitionen
EU-weit gebe es große Schwierigkeiten, mit Sanktionen belegte Einzelpersonen und juristische Personen zur Rechenschaft zu ziehen, erläuterte Richard Sonnenschein von der Europäischen Kommission. Die Mitgliedstaaten würden sehr unterschiedlich definieren, was als Verstoß gegen restriktive Maßnahmen zu verstehen sei und welche Strafen in diesem Fall zu verhängt würden.
Personen, deren Vermögenswerte aufgrund von EU-Sanktionen eingefroren werden sollen, hätten daher in der Praxis oft weiterhin Zugang zu ihrem Geld. Er betonte, die rasche Annahme der Ratsvorlage würde es der Kommission ermöglichen, die Richtlinie bald auf den Weg zu bringen, um Straftaten und Strafrahmen konkret zu definieren.
Schwer und grenzüberschreitend
Frank Hoffmeister sprach mit Blick auf die nach der russischen Invasion in der Ukraine erlassenen restriktiven Maßnahmen der EU vom „richtigen Zeitpunkt“ für eine solche EU-weite Regelung. Sie könnte dafür sorgen, dass in allen Mitgliedstaaten vermehrt auf die Vermögenswerte von sanktionierten Personen zugegriffen werden könne. Strafrichter könnten dann aufgrund eines Strafurteils etwa auch die Einziehung von Vermögenswerten anordnen.
Um die Liste der EU-Straftaten um den Punkt „Verletzung von EU-Sanktionen“ erweitern zu können, müssen zwei Voraussetzungen gegeben sein, stellten alle vier Experten klar: Die Straftaten müssen schwerer und grenzüberschreitender Natur sein. Diese Voraussetzungen sahen alle als erfüllt an.
Möglichkeit der Notbremse
So erklärte Prof. Dr. Christian Calliess von der Freien Universität Berlin, im EU-Straftatenkatalog seien bereits Fälle von besonders schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension erfasst, etwa Organisierte Kriminalität, illegaler Waffenhandel und Geldwäsche. Sie würden eine gemeinsame Schnittmenge mit dem Kriminalitätsbereich der „Verletzung von EU-Sanktionen“ aufweisen. Seiner Ansicht nach hat die EU-Kommission, auf die sich die Ratsvorlage bezieht, außerdem empirisch dargelegt, dass eine Notwendigkeit zur Ergänzung von Artikel 83 Absatz 1 des AEUV besteht.
Wie Hoffmeister wies er die Abgeordneten auf die Möglichkeit der sogenannten Notbremse in Artikel 83 Absatz 3 AEUV hin. Der Bundestag könnte sie anwenden, sollte er bei der geplanten Richtlinie zu der Auffassung gelangen, Deutschland würde damit eine ungewollte Strafrechtsordnung aufgezwungen werden.
Europäisches Primär- und Sekundärrecht
Für Prof. Dr. Franz C. Mayer von der Universität Bielefeld liegt es „auf der Hand, dass mit dem Abbau von Grenzkontrollen im Zuge der Verwirklichung des Binnenmarktes auch Kriminalität grenzüberschreitende Dimensionen annimmt“. Daher seien sowohl Fragen des Strafverfahrensrechts wie auch des materiellen Strafrechts seit einiger Zeit Gegenstand des europäischen Primär- wie Sekundärrechts.
Von einem europäischen Strafgesetzbuch sei die Entwicklung aber noch weit entfernt. Artikel 83 Abs. 1 Abs. 3 AEUV sehe ausdrücklich die Möglichkeit vor, die mehr als 20 Jahre alte Aufzählung anzupassen.
Klare und rechtssichere Kooperation
Bei Sanktionsverstößen handle es sich in vielen Fällen um besonders schwere Kriminalität, urteilte Dr. Benjamin Vogel vom Max-Planck-Institut, der von „komplexen Firmengeflechten und internationalen Transaktionen“ sprach. „Das sind Phänomene, die wir klassisch auch aus der Geldwäsche kennen.“
Doch bisher sei deren Verfolgung und effektive Umsetzung an der Unbestimmtheit vieler Rechtsbegriffe gescheitert. „Die Mitgliedstaaten müssen klar und rechtssicher miteinander kooperieren können“, appellierte Vogel. (joh/26.09.2022)