Josip Juratovic hilft Menschenrechtsaktivistin aus Bosnien-Herzegowina
Der Bundestagsabgeordnete Josip Juratovic (SPD) setzt sich im Rahmen des Patenschaftsprogramms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ (PsP) des Deutschen Bundestages für die Bürgerrechtlerin und Freiheitskämpferin Štefica Galić aus Bosnien-Herzegowina ein. „In einem Umfeld aus Argwohn, Nationalismus und Korruption“ habe Galić als Angehörige der Volksgruppe der Kroaten in Bosnien-Herzegowina „immer wieder den Mut bewiesen, für Gerechtigkeit und Wahrheit“ in ihrem Land zu kämpfen. Feindseligkeiten, denen sie wegen ihrer Arbeit ausgesetzt war, hatten dazu geführt, dass die in Mostar lebende Journalistin ihrer Heimatstadt Ljubuški den Rücken kehren musste. In den Kriegsjahren von 1992 bis 1995 hatte sie hunderten zu Unrecht eingesperrten Bosniaken mit gefälschten Papieren aus der Lagerhaft geholfen, erzählt Juratovic.
Heute ist sie Chefredakteurin einer unabhängigen Nachrichten-Webseite, wo sie über Kriegsverbrechen der bosnisch-kroatischen Armee im Jugoslawienkrieg aufklärt, nationalistische Geschichtsbilder korrigiert und sich für die Respektierung der Menschenrechte einsetzt. Galić spreche sich für Aufarbeitung, Vergebung und Versöhnung zwischen den verschiedenen Ethnien und Parteien des Landes und für eine gemeinsame Zukunft der Region aus, so Juratovic.
Druck auf Andersdenkende
Der Mehrheit der Menschen in Bosnien, mindestens aber der staatstragenden Elite, scheint das Engagement von Galić allerdings nicht zu passen. In den letzten Jahren war sie nach Angabe von Menschenrechtsorganisationen Ziel zahlreicher Vergewaltigungs- und Todesdrohungen. „Es ist eine Tragödie, was für Gräben des Argwohns, was für nationalistische Egoismen und welch unverblümte Korruption Bosnien-Herzegowina und die Länder des westlichen Balkans 30 Jahre nach dem Jugoslawienkrieg weiterhin durchziehen“, stellt Juratovic fest.
Vor zehn Jahren, am 18. Juli 2012, erregte ihr Fall international besonderes Aufsehen und Empörung, als sie nach der Veröffentlichung eines Films über ihren verstorbenen Mann tätlich angegriffen und verletzt wurde. Die bosnisch-herzegowinische Polizei sah sich damals wegen der verharmlosenden Behandlung der Tat international heftiger Kritik ausgesetzt. Mindestens genauso verletzend wie die verbalen und physischen Angriffe seien für Galić „der Argwohn und das Unverstanden-Bleiben seitens ihrer Mitbürger sowie das häufige Sich-Verstecken-Müssen“, habe sie ihm bei einem Treffen erzählt, so Juratovic. In Bosnien gebe es einen unheimlichen Druck auf Andersdenkende, sich konform zu verhalten. Menschen wie Galić würden geradezu öffentlich geächtet. Für die Regierenden sei sie ein dauernder Störfaktor, den diese mundtot machen wollten.
„Macht ist auf Misstrauen und Angst aufgebaut“
„Die politische Macht in Bosnien-Herzegowina ist auf Misstrauen und Angst aufgebaut“, das sei der politische und gesellschaftliche Grundton in dem Land, erklärt der Vorsitzende der Deutsch-Südosteuropäische Parlamentariergruppe. Der gesellschaftliche Zusammenhalt innerhalb der verschiedenen Volksgruppen werde mit der Gefahr begründet, die von den jeweils anderen ausgehe. „Die ehemals kommunistische ist in eine völkisch-nationalistische Autokratie umgewandelt worden.“
Denjenigen aber, die den Mut zum Widerspruch hätten, denen schlage massiver Hass entgegen. „Warum traut die sich das“, fragten sich die Leute bei Galić . Es sei „die größte Tragödie“ in Bosnien und Herzegowina, dass die Gesellschaft dort „nach dem Rasenmäher-Prinzip“ funktioniere: „Sobald einer den Kopf hochsteckt, wird er abgemäht.“
Polizisten schauen weg, Richter urteilen politisch
Wenn sie angegriffen werde, erfahre sie keine Unterstützung. Weder seitens der Polizei, „die schauen einfach weg“, sagt Juratovic, noch von den meisten ihrer Mitbürger. Letztere redeten zwar viel, entwickelten ihre eigene Meinung, äußerten Kritik, aber den Mut zum echten Widerstand besäßen nur ganz wenige. Auf Veranstaltungen werde Galić „von vielen regimetreuen Mitläufern angefeindet“, so Juratovic. Die Lage werde für sie noch dadurch erschwert, dass sie Prozessschulden drückten, aus einem offiziell mangels Beweisen verlorenen Verfahren.
„Galić ist doppeltes Opfer: eines ihrer Umwelt und eines Systems, in dem auch die Rechtsprechung unter politischer Kontrolle steht. Die Justiz in Bosnien-Herzegowina funktioniert überhaupt nicht, wenn es um politische Fälle geht.“ Es gebe auch in Bosnien Richter, die einen ordentlichen Job machen wollten, aber die gerieten bei politischen Themen unter kollektiven Druck. Und: Nationalistische Anfeindungen würden von der Justiz nicht ernst genommen. „Bei der EU-Assoziierung der Balkan-Länder müssen wir unser Augenmerk auf das Funktionieren der Institutionen richten, auf die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit“, fordert Juratovic, der auch Mitglied im Europaausschuss ist. Egal wohin man schaue, ob auf die politische Führung, die Gerichtsbarkeit oder die Polizei: „Bosnien-Herzegowina ist kein Rechtsstaat.“ Galić gehöre zu den Opfern, werde nach wie vor angefeindet und bedroht, und bei Gefahr leider allein gelassen. Dass sich bei ihr Verbitterung breit gemacht habe, sei nur zu verständlich.
Genugtuung und Schutz durch das PsP-Programm
Weil sich Galić so beherzt für Aufklärung, Versöhnung und Rechtsstaatlichkeit in ihrer Heimat einsetze und dabei ein hohes persönliches Risiko eingehe, sei sie im September 2019 in das PsP-Programm aufgenommen worden, in dem deutsche Abgeordnete Patenschaften für bedrohte Kolleginnen und Kollegen sowie Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler weltweit übernehmen. Die Unterstützung durch das deutsche Parlament habe ihren Fall international bekannter gemacht, und auch in Bosnien-Herzegowina ihr Standing verbessert, ist sich Juratovic sicher, der die Patenschaft im vergangenen Herbst von dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Manuel Sarrazin (Bündnis 90/Die Grünen) übernommen hat.
Es gehe bei der Patenschaft darum, die Betroffenen aus der Anonymität herauszuholen und ihnen Mut zu machen dadurch, dass sie merken, dass sie nicht völlig allein gelassen werden, ja, dass man sie auch international nicht vergessen habe. Das verschaffe auch Galić die ihrem Einsatz und dem erlittenen Unrecht entsprechende gebührende Genugtuung. Zudem entfalte das Programm eine Schutzwirkung, indem die lokalen Eliten nun etwas vorsichtiger mit ihr umgingen, ist Juratovic überzeugt. Das Parlaments-Programm und auch die Unterstützung durch die deutsche Botschaft schafften Transparenz. Galić erhalte nun Besuche, werde zu Veranstaltungen eingeladen, man erkundige sich nach ihr, rede über sie. Das Netz der Aufmerksamkeit werde dichter, die Wahrscheinlichkeit, dass ihr etwas zustoße, geringer.
„Die EU muss demokratische Institutionen fördern“
Eine Mitschuld für die staatliche Misere in Bosnien-Herzegowina und anderen Ländern des Balkans sieht Juratovic vor allem auch bei den Geberländern, allen voran aber der Europäischen Union. Diese hätten ihre Aufbauhilfen an keine klaren Bedingungen geknüpft, um neben der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung stabile rechtsstaatliche und demokratische Institutionen aufzubauen. Es fehle an der Umsetzung der Kapitel 23 und 24 der Beitrittsagenda. „Milliarden sind geflossen ohne diese Mittel zu konditionieren.“
Die EU finanziere in Bosnien und anderen Balkan-Ländern eine Art „Ethno Business“, was bedeute, „dass sich dort einige auf Kosten der Gemeinschaft bereichern, Geschäfte mit den Geberländern des Westerns machen und dabei vorgeben, vermeintlich nationale Interessen zu schützen. Das Problem Bosnien-Herzegowinas sind die fehlende politische Unabhängigkeit der Institutionen und undemokratische Prozesse.“ Hinzu komme, dass durch diese Politik, die auf dem Auge der Rechtsstaatlichkeit blind sei, die Menschen auf dem Balkan ein völlig falsches Bild von der EU bekämen.
„Wir Europäer müssen unsere Balkan-Politik ändern“
„Wir Europäer müssen unsere Balkan-Politik ändern“, fordert Juratovic. Die westlichen Geber sollten keine Kompromisse mehr mit den Tätern, nationalistischen Führern, korrupten Politikern, Beamten und Unternehmern, machen, und viel stärker positive Beispiele wie Štefica Galić in den Vordergrund stellen, damit sich die Menschen an diesen orientieren können und Hoffnung schöpfen. Er selbst versuche dazu beizutragen durch Interviews in den lokalen Medien. „Wenn wir Bosnien-Herzegowina politisch und gesellschaftlich retten wollen, müssen wir viel mehr über die positiven Beispiele wie Galić sprechen, diese mit unseren politischen Zielen vor Ort verbinden, und unsere Hilfsmittel, die wir nach dorthin vergeben, konditionieren“, sagt der SPD-Politiker.
Das politische Engagement in den Balkan-Ländern, die Frage nach einer europäischen Perspektive für diese Staaten führe letztlich zu der Frage, was wir eigentlich für ein Europa wollen. „Wollen wir es auf funktionierende demokratische Institutionen gründen? Und dieses Erfolgsrezept für Wohlstand, Sicherheit und Stabilität in europäische Länder, die Mitglied werden möchten, exportieren? Warum verschieben wir dann institutionelle Fragen in den Kandidatenländern?“
Differenziertes Bild von Bosnien vermitteln
Auch in Deutschland gelte es, von Bosnien-Herzegowina ein differenziertes Bild zu zeichnen. Die Botschaft an die Bevölkerung in Deutschland müsse lauten: Bosnien ist kein Land der Kriegsverbrecher, Mörder und der Korruption.
Es sei leider so, dass nur etwa 15 Prozent der Einwohner in Bosnien-Herzegowina die politische Richtung des Landes bestimmten, als Stütze für die Regierung wirkten, ja Teil einer „Macht-Vertikale“ seien, erklärt Juratovic, „durch-gekadert vom Behördenleiter bis zur Putzfrau. Wer nicht mitmacht, verliert seinen Job.“ Da überhaupt nur etwa 50 Prozent der Bevölkerung sich an den Wahlen beteilige, reiche der Elite etwa 30 Prozent zum Machterhalt.
„Menschen wie Štefica Galić nicht allein lassen“
„Ich engagiere mich für Frau Galić, weil ich weiß, wie wichtig es für die Menschen in Bosnien ist, positive Beispiele zu haben, die sich für eine humane Gesellschaft, für Demokratie und Freiheit einsetzen. Menschen wie Štefica Galić dürfen wir nicht allein lassen.“ Als Deutscher kroatischer Abstammung habe er in den 1980er Jahren den Traum von einem demokratischen Jugoslawien gehabt, das schließlich zu einem vollwertigen Mitglied der Europäischen Union würde. Mit Entsetzen habe er aber feststellen müssen, dass „die alten korrupten, kommunistischen Kräfte Jugoslawien als Kriegsbeute untereinander verteilt“ hätten. Bis heute täten diese Leute alles dafür, dass die Nachfolgestaaten nicht Teil der Europäischen Wertegemeinschaft würden.
„Daher werde ich mich jedem und jeder, die wie Frau Galić unermüdlich gegen diese Täter kämpfen, anschließen und bei dem Kampf um Aufklärung, Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte mitmachen.“ Als ehemaliger Gewerkschafter beherzige er das Motto: Wer kämpft kann verlieren, aber wer nicht kämpft hat schon verloren. (ll/01.08.2022)