Hitzige Debatte über Agrarreform und Folgen des Ukraine-Krieges
Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zeigt auch immer stärkere Auswirkungen auf die Agrarpolitik. Reformvorhaben geraten ins Wanken, Diskussionen um Klimaschutz und Artensterben erscheinen plötzlich als Debatten von gestern. Die EU-Kommission hat Ende März die Erlaubnis erteilt, dass Landwirte Nahrungs- und Futtermittel auf Flächen anbauen dürfen, die aus ökologischen Gründen eigentlich stillgelegt werden sollten.
Dieser Streit erreichte am Freitag, 8. April 2022, den Bundestag: Auf der Tagesordnung stand ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Der Ukraine jetzt und in Zukunft helfen, Nahrungsmittelversorgung in der Welt sicherstellen sowie europäische und deutsche Landwirtschaft krisenfest gestalten“ (20/1336) sowie einen AfD-Antrag mit dem Titel „Welthunger ideologiefrei bekämpfen - Stilllegungsflächen und ökologische Vorrangflächen für Nahrungs- und Futtermittelproduktion freigeben“ (20/1346). Beide Vorlagen wurden nach der Debatte an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft überwiesen.
Union fordert Umkehr bisher verfolgter Ziele
Agrarpolitik ist vor allem für die Opposition inzwischen auch Sicherheitspolitik. „Krieg ist Mord und Hunger ist Mord“: Mit diesen drastischen Worten forderte Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) nichts Geringeres als eine Umkehr der bisher verfolgten Ziele in der Agrarpolitik. Anlass war die Beratung zum Antrag der Unionsfraktion (20/1336).
Darin verlangt die CDU/CSU, die Bundesregierung möge gemeinsam mit der UN sowie mit Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden darauf hinwirken, dass die Versorgung der ukrainischen Bevölkerung mit Lebensmitteln langfristig gesichert ist und die ukrainischen Landwirte so weit wie möglich unterstützt werden, damit sie auf möglichst vielen Flächen die Frühjahrsaussaat ausbringen können. Daneben werden Kernpunkte der EU-Agrarreform infrage gestellt. So soll die von der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vorgesehene Pflicht zur Stilllegung von vier Prozent der Agrarflächen ab 2023 aufgehoben werden und auf den ökologischen Vorrangflächen der Anbau aller Kulturen erlaubt werden. Das hatte die EU-Kommission mit ihrem Aktionsplan zur Ernährungssicherung den EU-Staaten eigentlich ausdrücklich zugesagt. Zudem soll die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf den Öko-Flächen zeitweise erlaubt werden.
Steffen Bilger (CDU/CSU) nannte die Lage auf den internationalen Nahrungsmittelmärkten infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine „äußerst dramatisch“, mit „sich abzeichnenden verheerenden Folgen für die Menschen in Afrika, wo Hungersnöte drohen“. Das „Weiter so“ von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) könne man deshalb „nicht durchgehen lassen“. Die Unionsfraktion wolle keine Abkehr vom Kurs der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft. In Krisenzeiten müssten aber vorübergehend neue Prioritäten gesetzt werden. Was bedeutet, dass „jetzt nicht die Zeit für weniger Anbau, sondern für eine Ausweitung der Produktion gegeben ist“.
AfD verlangt „spürbare Entlastung“ deutscher Landwirte
Der Antrag der AfD-Fraktion (20/1346) geht noch weiter. Die GAP-Vorgabe für bis zu sieben Prozent Stilllegungsflächen zu sorgen, soll entfallen, auf ökologischen Vorrangflächen soll der Anbau von Nahrungs- und Futtermitteln erlaubt sein, darüber hinaus sei der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln auf diesen Flächen freizugeben. Die Bundesregierung wird aufgefordert, den Einsatz von organischen Düngemitteln und stickstofffixierenden Pflanzen vorübergehend zu fördern.
Peter Felser (AfD) forderte „eine spürbare Entlastung der deutschen Landwirte und zwar jetzt!“ Die Produktion von Lebensmitteln müsse in der gegenwärtigen Situation gesteigert werden. Dazu sein die Intensivierung der Landwirtschaft in Deutschland und in Europa notwendig. Die EU-Kommission habe bereits ihre Pläne für eine „nicht mehr zeitgemäße Agrarreform aufgegeben“, nun müsse die Bundesregierung „gleichziehen“.
Grüne kritisieren „alte Denkmuster“ von Union und AfD
Beide Anträge stießen bei den Regierungsfraktionen und der Fraktion Die Linke auf heftigen Widerstand. Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) hielt Union und AfD vor, „in 20 Jahre alten Debatten und Denkmustern festzustecken“, die Debatte um Agrarreformen sei „eine aus der Mottenkiste“.
Die Aufgabe der Regierung sei, für mehr Klimaschutz zu sorgen und die Ernährungssicherheit sicherzustellen, „dieses Ausspielen der einen Krise gegen die andere führt zu nichts“, so Künast.
SPD: Längst überholte Ideen
Dem schloss sich Natalie Pawlik (SPD) an, sie verwies auf die Aufgabe Deutschlands, „für unseren Beitrag zur Nahrungsmittelsicherung zu sorgen“, das könne aber nicht mit „längst überholten Ideen gelingen“.
Es brauche die Sicherstellung von Sozial- und von Umweltstandards in Europa, aber auch in den Ländern des Südens.
Linke fordert weniger Nutztiere in Europa
Ina Latendorf (Die Linke) wies darauf hin, dass es weltweit zwar genug Lebensmittel gebe, sie aber nicht richtig verteilt würden. Anstatt Flächen für die Produktion von Futtermitteln für Rinder und Schweine zu nutzen, müsse in den Ländern Europas „die Zahl der Nutztiere deutlich reduziert werden.“
Außerdem habe die Agrarpolitik der vergangenen Jahrzehnte dazu beigetragen, dass die Binnenagrarmärkte in Afrika „weitgehend zusammengebrochen sind“. Durch die Einfuhr von EU-Importen hätten in den Ländern des Südens Landwirte oftmals keine Chance mehr, ihre Produkte anzubieten. Deswegen sei es notwendig, dort wieder regionale Wirtschaftskreisläufe aufzubauen, anstatt in Europa Überproduktion anzukurbeln.
FDP warnt vor „Alleingängen Deutschlands“
Gegen solche Überlegungen sprachen sich die Parlamentarier der FDP-Fraktion aus. „Wir brauchen die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion in der EU“, forderte Dr. Christoph Hoffmann. Wenn die „Kornkammer der Welt angegriffen wird, können wir uns nicht zurücklehnen und Flächen stilllegen“, sagte er.
Sein Kollege Dr. Gero Hocker warnte vor „Alleingängen Deutschlands in der Agrarpolitik“, er habe ein „ungutes Gefühl“ bei dem Gedanken, dass die Preise für Dünge- und Nahrungsmittel „jeden Tag weiter steigen“, aber die Bundesregierung an einem Plan festhalte, „der überholt ist“. Es gebe Ereignisse, die es nötig machten, Überzeugungen zu überdenken, „und das ist bei diesem Krieg nötig!“, mahnte Hocker. (nki/08.04.2022)