Fraktionen sehen Stunde der Diplomatie im Ukraine-Russland-Konflikt
Was führt Russlands Präsident Wladimir Putin im Schilde? Die USA und die ukrainische Regierung werfen seinem Regime vor, mittlerweile mehr als 94.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen zu haben. Das Nachbarland strebt einen Beitritt zur Nato an, was für Russland eine rote Linie bedeutet. Doch ist der Kremlchef wirklich bereit, deshalb die Ukraine anzugreifen und entsprechende Gegenreaktionen des Westens zu riskieren? Eine klare Antwort auf diese Frage hat Putin bislang nicht gegeben, auch nicht gegenüber US-Präsident Joe Biden, mit dem er vergangene Woche bei einem Videogipfel sprach. Dort betonte er lediglich, Russland sei „ein friedliebendes Land“.
Auf Verlangen der CDU/CSU-Fraktion hat der Bundestag am Donnerstag, 9. Dezember 2021, in einer Aktuellen Stunde über die „Haltung der Bundesregierung zur Truppenkonzentration russischer Streitkräfte an der Staatsgrenze der Ukraine“ debattiert. Alle Bundestagsfraktionen sprachen sich für eine diplomatische Lösung und die Wiederbelebung des Nato-Russland-Rats sowie des Normandie-Formats aus, in dem Frankreich und Deutschland seit 2014 zwischen der Ukraine und Russland vermitteln. Der 2015 in Minsk vereinbarte Friedensplan liegt bisher auf Eis.
CDU/CSU fordert Signal der Geschlossenheit
„Wir müssen Putin mit unseren westlichen Partnern ein Signal der Geschlossenheit geben“, betonte Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) und erinnerte daran, dass Russland schon bei den andauernden Kampfhandlungen im Osten der Ukraine und der Annexion der Krim im März 2014 die Integrität und Souveränität der Ukraine mehrfach verletzt habe.
Er lobte die neue Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) für ihre „starken Worte“ in Richtung Russland, mahnte aber auch: „Wer den Mund spitzt, muss am Ende auch pfeifen.“ So müsse die Bundesregierung ihre Bündnisverpflichtungen innerhalb der Nato einhalten und das vereinbarte Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, erfüllen.
SPD: Diplomatie ist Gebot der Stunde
Dr. Nils Schmid (SPD) nannte die Diplomatie das „Gebot der Stunde“. Die neue Bundesregierung sei sich der besonderen Verantwortung Deutschlands für das Minsker Abkommen bewusst und wolle es umsetzen. Es müsse schnell wieder zu Treffen im Normandie-Format kommen, „denn das ist der einzig verfügbare Rahmen für eine nachhaltige Friedenslösung in der Ostukraine“.
Russland warf Schmid vor, Völkerrecht gebrochen und die europäische Friedensordnung massiv gestört zu haben. Im Falle einer erneuten russischen Aggression gegen die Ukraine stellte er neue Sanktionen gegen Moskau in Aussicht.
FDP: Mit Diplomatie zur Deeskalation beitragen
Der FDP-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff warf Russland vor, das Militär als außenpolitisches Instrument einzusetzen. „Darauf müssen wir eingehen“, betonte Lambsdorff.
Wichtig sei es dabei, die gesamte Politik im Bündnis mit der Nato und den europäischen Partnern zu machen. „Unser Ziel ist es, mit Diplomatie zur Deeskalation beizutragen.“
AfD warnt vor einseitigen Schuldzuweisungen
Für die AfD warnte Dr. Alexander Gauland vor einseitigen Schulzuweisungen. Russland empfinde die Ordnung an seinen Grenzen als „nicht befriedigend“ und habe immer eine rote Linie gezogen, wo es um alten russischen Siedlungsraum gehe, sagte er in Anspielung auf eine mögliche Nato-Mitgliedschaft der Ukraine.
Das Argument, die Länder könnten ihre Bündnisse frei wählen, „mag völkerrechtlich richtig sein, aber politisch trägt es nicht“. Er zeigte sich überzeugt, dass der Sicherheit und Unabhängigkeit der Ukraine mit einer auch von Russland akzeptierten Neutralität besser gedient sei „als mit Waffenlieferungen und einer Nato-Mitgliedschaft“.
Linke kritisiert militärische Drohgebärden
Auch Ali Al-Dailami (Die Linke) sagte in seiner ersten Rede vor dem Bundestag, seine Fraktion lehne einseitige Parteinahme und jegliche militärische Drohgebärden ab, „egal von welcher Seite“. Er kritisierte außerdem die „Aufrüstung der Ukraine durch die USA, Türkei und andere Nato-Staaten“. Diese und die „fatale Sanktionspolitik“ gegenüber Russland würden für „erheblichen Zündstoff“ sorgen.
Notwendig ist aus Sicht von Al-Dailami der Verzicht auf Waffenlieferungen und eine „klug durchdachte, deeskalierende und auf den Dialog setzende Politik“ mit Rücksicht auf die Interessen der beteiligten Akteure.
Grüne: Kann nicht im Interesse Russlands sein
Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) erwiderte in Richtung von AfD und Linken, es sei nicht die Nato, die fast hunderttausend Soldatinnen und Soldaten an der Grenze gefechtsbereit konzentriert habe. Ein solches Vorgehen sei mit den Regeln des Vertrages über die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, dem auch Russland angehöre, nicht vereinbar.
Er betonte darüber hinaus, gute Beziehungen zur Ukraine richteten sich „gegen niemanden“. Wer aber die vertraglich vereinbarte Friedensordnung dieses Kontinents angreife, stelle zugleich die gesamten politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland in Frage. „Das kann nicht im Interesse Russlands sein“, warnte Trittin.
US-Präsident Biden droht Putin mit Konsequenzen
US-Präsident Biden hat Putin gegenüber ebenfalls deutlich gemacht, dass er im Falle einer Invasion mit „schwerwiegenden Konsequenzen“ rechnen müsse. Möglich sind empfindliche wirtschaftliche Strafmaßnahmen, aber auch die Aufrüstung der Ukraine mit weiteren Defensivwaffen. Vermutlich werden die USA auch ihre Präsenz in den Nato-Ländern an der Ostflanke des Bündnisses verstärken.
Laut Schätzungen der Vereinten Nationen wurden bei Kämpfen zwischen ukrainischen Regierungstruppen und kremltreuen Separatisten in der ukrainischen Region Donbass bereits mehr als 13.000 Menschen getötet. (joh/09.12.2021)