Zeit:
Mittwoch, 19. Mai 2021,
14
bis 16 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.600
Um einen kurzfristig ergänzten Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten ging es in einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am Mittwoch, 19. Mai 2021. Der Ausschuss hatte Änderungen gegenüber der ursprünglichen Fassung des Gesetzentwurfs (19/28678) empfohlen. Es handelt sich dabei um die Einfügung eines neuen Straftatbestandes der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern (Paragraf 176e) sowie eines neuen Straftatbestands der Verhetzenden Beleidigung (Paragraf 192a) im Strafgesetzbuch.
Letzterer erfasst Inhalte, die eine durch ihre nationale, rassische, religiöse oder ethnische Herkunft, ihre Weltanschauung, ihre Behinderung oder ihre sexuelle Orientierung bestimmte Gruppe oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen beschimpfen, böswillig verächtlich machen oder verleumden und hierdurch die Menschenwürde der betroffenen Personen verletzen können.
Weitere Straftatbestände eingeführt
Wie es in dem Entwurf heißt, führt die Existenz der in den letzten Jahren bekannt gewordenen sogenannten Feindeslisten zu einer erheblichen Verunsicherung in der Bevölkerung und bei den Betroffenen. Unter „Feindeslisten“ seien Sammlungen von Daten, vor allem Adressdaten, aber auch Informationen über persönliche Umstände oder Fotos, von Personen zu verstehen, die – vorwiegend im Internet – verbreitet und zum Teil mit ausdrücklichen oder subtilen Drohungen oder Hinweisen verbunden würden.
In der vom stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Prof. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) geleiteten Sitzung wurde die im Gesetzentwurf vorgesehene Strafbarkeit des Verbreitens sogenannter Feindeslisten (Paragraf 126a) unterschiedlich bewertet.
Schutz der freien Entfaltung der Person
Auf die kurzfristigen Änderungen gingen nicht alle Sachverständigen in ihren schriftlichen Stellungnahmen ein. Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Michael Kubiciel von der Universität Augsburg erklärte, das geplante Verbot der gefährdenden Verbreitung personenbezogener Daten sei verfassungskonform und kriminalpolitisch angemessen, da es dem Schutz der freien Entfaltung der Person gegen Einschüchterungseffekte diene.
Änderungen seien nur im Detail möglich, aber nicht zwingend geboten. Das Datenschutzstrafrecht sei dabei nicht hilfreich. Keine Einwände habe er gegen die weiteren neuen Straftatbestände.
„Auch Datenschutzrecht in Erwägung ziehen“
Der Strafrechtler Dr. Sebastian Golla von der Ruhr-Universität Bochum geht davon aus, dass die Verbreitung personenbezogener Daten politischer Gegner und Gegnerinnen das Klima des politischen Diskurses und der Meinungsbildung negativ beeinträchtigen kann. Es erscheine allerdings nicht sinnvoll, diesen Risiken mit einem Straftatbestand zu begegnen, der auf den Schutz des öffentlichen Friedens zielt.
Auch wenn Daten in geschlossenen Bereichen sozialer Medien oder in obskuren Kanälen, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, verbreitet werden, könne dies für die betroffenen Personen gefährlich werden. Abgesehen davon halte er es für sinnvoll, das Datenschutzstrafrecht in das Strafgesetzbuch zu integrieren.
Frage nach hinreichender Eingrenzung des Tatbestandes
Prof. Dr. Jörg Eisele, Lehrstuhlinhaber an der Universität Tübingen, erklärte, es sei von der Sache her überzeugend, sogenannte Feindeslisten in einem gesonderten Straftatbestand zu erfassen. Bei Weitem nicht alle Fälle würden von den geltenden Strafvorschriften erfasst. Der Wortlaut des Paragrafen 126a erfasse aber nicht nur Listen, sondern jede Verbreitung von personenbezogenen Daten, was die Frage nach einer hinreichenden Eingrenzung des Tatbestandes aufwerfe.
Wie Golla befürwortete Eisele grundsätzlich die im ebenfalls auf der Tagesordnung stehenden Gesetzentwurf der FDP-Fraktion (19/28777) vorgesehene Überführung der Strafvorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes in das Strafgesetzbuch. Gegen die Einführung der Paragrafen 176e und 192a hatte Eisele prinzipiell keine Einwände.
Baustein in aktueller Gesetzgebung
Diese befürwortete auch Kai Lohse, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof. Nach Lohses Angaben ist die Erstellung und Verbreitung sogenannter Feindeslisten auch in Ermittlungs- und Strafverfahren des Generalbundesanwalts festgestellt worden. Dies müsse mit strafrechtlichen Mitteln unterbunden werden. Zugleich erweise sich die erstrebte Regelung als wichtiger ergänzender Baustein zu anderer aktueller Gesetzgebung. Es bedürfe aber im Hinblick auf die Meinungsäußerungsfreiheit klarer Auslegungsvorgaben.
Dr. Sybille Wuttke von der Staatsanwaltschaft Stuttgart erläuterte, dass bei Anwendung der derzeit geltenden Strafvorschriften lediglich bei einem kleinen Teil der praxisrelevanten Fälle ein strafbares Verhalten festzustellen sei. Dies habe für die staatsanwaltschaftliche Praxis zur Folge, dass in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle keine Ermittlungen eingeleitet werden können. Dem Gesetzentwurf stimme sie daher uneingeschränkt zu, erklärte Wuttke. Sie sprach sich gegen die Anwendung des Datenschutzstrafrechts aus.
Gefahr der Vorverlagerung
Begrüßt wurde der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion dagegen von Dr. Eren Basar, Fachanwalt für Strafrecht aus Düsseldorf. Bedenken hat Basar dagegen gegen die Einführung des Paragrafen 126a. Dem Straftatbestand fehle es an einem die Strafbarkeit direkt legitimierenden Rechtsgut, und für eine Rechtfertigung der Vorverlagerung seien die im rechtsstaatlichen Strafrecht dafür notwendigen Voraussetzungen nicht eingehalten.
Alexander Hoffmann vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) betonte in seiner schriftlichen Stellungnahme, der Entwurf sei einerseits reine Symbolpolitik, die nicht geeignet sei, Menschen vor rechten, rassistischen und antisemitischen Angriffen zu schützen. Andererseits bedeute der weit gefasste Tatbestand einen direkten Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung sowie die Pressefreiheit. Der vorliegende Gesetzentwurf werde nicht gebraucht und daher abgelehnt.
Mehr Beratung gefordert
Der Dresdener Rechtsanwalt Frank Hannig erklärte, die rechtspolitische Konnotation des Entwurfs möge durchaus wünschenswert und nachvollziehbar sein. Die Umsetzung in einem Strafgesetz, das über eine Abschreckungswirkung hinaus vor Gericht zu Effekten und Erfolgen führen werde, sei aber aus seiner Sicht nicht gegeben. Es werde der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln und im strafrechtlichen Rahmen nicht überprüfbar sein, wo die strafbare Grenze zwischen erlaubtem und verbotenem Veröffentlichen personenbezogener Daten liegen soll.
Nach Ansicht von Bianca Klose vom Bundesverband Mobile Beratung ist die Einführung eines neuen Paragrafen126a nicht geeignet, Menschen vor den Gefahren rechter, rassistischer, antisemitischer oder misogyn motivierter Gewalttaten zu schützen, sie ausreichend über mögliche Gefahren zu informieren und ihnen professionelle Beratung zur Verfügung zu stellen. Es sei fraglich, ob es vordringlich notwendig ist, die Verbreitung von Namenslisten unter Strafe zu stellen oder ob es nicht vordringlicher ist, die bestehenden Möglichkeiten besser auszunutzen.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches vorgelegt, mit dem der strafrechtliche Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten verbessert werden soll (19/28678). Der Entwurf sieht mit Paragraf 126a die Einführung eines neuen Straftatbestandes nach Paragraf 126 (Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten) vor, der ebenfalls den öffentlichen Frieden schützt. Als Tathandlung soll das in einer bestimmten Art und Weise erfolgte Verbreiten personenbezogener Daten mehrerer Personen oder auch einer einzelnen Person erfasst werden, wenn dies öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Inhalten geschieht.
Der neue Straftatbestand dient laut Entwurf dem verbesserten Schutz der allgemeinen Rechtssicherheit und des friedlichen Zusammenlebens der Bürgerinnen und Bürger, das durch das Phänomen sogenannter Feindeslisten erheblich beeinträchtigt werde. Wie die Bundesregierung in der Begründung schreibt, führt die Existenz der in den letzten Jahren bekannt gewordenen sogenannten Feindeslisten zu einer erheblichen Verunsicherung in der Bevölkerung und bei den Betroffenen. Unter „Feindeslisten“ seien Sammlungen von Daten, vor allem Adressdaten, aber auch Informationen über persönliche Umstände oder Fotos, von Personen zu verstehen, die – vorwiegend im Internet – verbreitet und zum Teil mit ausdrücklichen oder subtilen Drohungen oder Hinweisen verbunden werden. Ein solches Verbreiten von Daten könne sich auch auf Personen beziehen, die nicht bereits in der Öffentlichkeit stehen (sogenanntes Outing). Die bestehenden Strafvorschriften erfassten das Phänomen der „Feindeslisten“ nicht oder nur teilweise.
Gesetzentwurf der FDP
Hintergrund des Entwurfs der FDP-Fraktion für ein Gesetz zur Überführung des Paragrafen 42 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) in das Strafgesetzbuch zum verbesserten strafrechtlichen Schutz von persönlichen Daten (19/28777) ist die Existenz sogenannter Feindeslisten. Auf diesen Listen würden meist mutmaßlich aus rechtsextremen Kreisen Daten, insbesondere Adressen von Personen, die als „politische Gegner“ angesehen werden, veröffentlicht und mit Drohungen versehen. Nicht zuletzt der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke habe gezeigt, dass solche Anfeindungen in reale Gewalt umschwenken kann.
Um dieser Gefahr für die Betroffenen entgegenzuwirken, so der Entwurf der FDP-Fraktion, habe die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten vorgelegt. Die Intention des Entwurfs sei begrüßenswert, jedoch habe die Umsetzung mehrere Schwächen. So sei problematisch, dass der Entwurf auch dann eine Strafbarkeit vorsieht, wenn Daten bereits für jedermann öffentlich zugänglich sind. Dem Entwurf zufolge soll der Paragraf 42 des BDSG, der die Veröffentlichung von nicht öffentlichen zugänglichen Daten unter Strafe stelle und mit dem bereits nach geltendem Recht auch die Veröffentlichung von sogenannten Feindeslisten erfasst werden könne, aus dem Neben- in das Kernstrafrecht übertragen werden. (mwo/eis/19.05.2021)