Sachverständige haben am Montag, 19. April 2021, in einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit die Insektenschutzpolitik der Bundesregierung einer kritischen Würdigung unterzogen und dabei insbesondere das Spannungsfeld zwischen Landwirtschaft und Insektenschutz thematisiert. Gegenstand der Anhörung, die unter Leitung der Ausschussvorsitzenden Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen) stand, waren der Entwurf eines dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (19/28182) sowie ein Antrag (19/26779) der FDP-Fraktion mit dem Titel „Ergebnisorientierten Insektenschutz mit Landwirten umsetzen“.
Während sich der Antrag der FDP-Fraktion für eine verstärkte Forschung in Bezug auf das Insektensterben und für Kooperationen zwischen Naturschutz und Landwirtschaft ausspricht, sieht der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf unter anderem ein Verbot der Verwendung von bestimmten Schädlingsbekämpfungsmitteln (Bioziden) in Naturschutzgebieten, Nationalparks und gesetzlich geschützten Biotopen vor. Außerdem sollen zukünftig strengere Regeln für Straßenbeleuchtungen und leuchtende Werbeanlagen gelten, um die schädlichen Auswirkungen der Lichtverschmutzung auf Insekten einzudämmen.
„40 Prozent der Bienenarten gefährdet“
Klare Zustimmung zum Gesetzentwurf äußerte Dr. Torsten Mertins von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände. Er wies allerdings darauf hin, dass der Insektenschutz nicht mit dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ende. Vielmehr müssten die Regelungen vor Ort in den Kommunen umgesetzt und überwacht werden, wofür es ausreichend Personal brauche.
Den aktuellen Wissensstand über das Insektensterben fasste Prof. Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung zusammen. Festzustellen seien massive Rückgänge der Biomasse von Insekten sowie der Zahl und der Arten von Insekten. Das gelte insbesondere für wildlebende Bestäuber; so seien international über 40 Prozent der Bienenarten gefährdet. Grundsätzlich sei es erforderlich, mit der Landwirtschaft zusammen nach Lösungen beim Insektenschutz zu suchen, sagte Settele. Dabei sei der Gesetzentwurf ein guter Schritt in die richtige Richtung.
Kritik aus der landwirtschaftlichen Praxis
Die Sicht der Praktiker vertrat Georg Mayerhofer jun. von der Mayerhofer Agrar GbR, einem Familienbetrieb in Niederbayern. Er sprach sich gegen mehr Gesetze und Regelungen und für gemeinsame Anstrengungen zur Umsetzung von Maßnahmen zur Biodiversität aus, da die Regelungen häufig an der Praxis vorbeiliefen.
Das Aktionsprogramm Insektenschutz, zu dem der Gesetzentwurf der Bundesregierung gehört, setze zu sehr auf Verbote und Auflagen, kritisierte auch Steffen Pingen vom Deutschen Bauernverband. Die Landwirte stellten sich dem Ziel des Insektenschutzes; es sei aber erforderlich, dabei alle gesellschaftlichen Gruppen einzubeziehen und nicht nur die Landwirtschaft. Als „nicht sachgerecht und nicht verhältnismäßig“ bezeichnete Pingen das vorgesehene Verbot des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten.
„Schutz der Nachtlandschaft“
Zustimmung zum Gesetzentwurf äußerte hingegen Prof. Dr. Sabine Schlacke vom Institut für Umwelt- und Planungsrecht der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er setze Anreize für verstärkten Insektenschutz und verankere nötige Verbote. Allerdings unterbreitete Schlacke punktuelle Änderungsvorschläge. So wäre es nach ihren Worten sinnvoll, die Begrenzung von Lichtverschmutzung durch ein neues Ziel „Schutz der Nachtlandschaft“ zu unterstützen.
Es sei bedauerlich, dass der Gesetzentwurf FFH-Gebiete (Schutzgebiete nach der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie) nicht in das Verbot von Pestiziden einbeziehe, kritisierte Dr. Carsten Brühl vom Institut für Umweltwissenschaften der Universität Koblenz-Landau. Denn der Einsatz von Pestiziden sei die Hauptursache für den Rückgang von Insekten. Das jetzt vorgesehene Verbot betreffe nur 0,35 Prozent der Ackerfläche in Deutschland und gefährde damit die Landwirtschaft nicht.
Ruf nach einem „kooperativen Ansatz“
Der Einbezug der FFH-Gebiete „wäre aus Sicht der Landwirtschaft eine Katastrophe gewesen“, sagte hingegen Dr. Hubert Heilmann von der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern. Den Gesetzentwurf kritisierte er, da dieser keinen kooperativen Ansatz verfolge und den Graben zwischen Landwirtschaft und Naturschutz vertiefe, statt ihn zuzuschütten.
Kritik am Gesetzentwurf äußerte auch Dr. Holger Hennies, Präsident des Landvolk Niedersachsen Landesbauernverband e.V. Er lobte den niedersächsischen Weg, der vorrangig auf freiwillige Maßnahmen der Landwirte setze. Viele der niedersächsischen Maßnahmen würden durch das Aktionsprogramm Insektenschutz des Bundes gefährdet, erklärte Hennies. Er forderte deshalb die Einführung einer Länderöffnungsklausel.
„Attraktive Anreize nötig“
Der Gesetzentwurf gehe zwar erste wichtige Schritte, sagte Dr. Jürgen Metzner, Geschäftsführer des Deutschen Verbands für Landschaftspflege. Aber die vorgesehenen Instrumente passten noch nicht. In der Umsetzung des Gesetzes müssten Spielräume gewährt und fachlich begründete Ausnahmen ermöglicht werden. Um Gemeinwohlleistungen von landwirtschaftlichen Betrieben zu fördern, seien zudem attraktive Anreize nötig.
Der Insektenrückgang sei eine Tatsache, der durch zahlreiche wissenschaftliche Studien belegt sei, erklärte Prof. Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz. Sie begrüßte den vielseitigen Ansatz des Gesetzentwurfs, betonte aber auch, dass noch deutlich weiterreichende Schritte notwendig seien, um die Lebensbedingungen für Insekten in Deutschland langfristig zu verbessern. Dabei komme der Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung im Verantwortungsbereich des Bundeslandwirtschaftsministeriums besondere Bedeutung zu.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Ziel des Gesetzentwurfs ist es, die Lebensbedingungen für Insekten in Deutschland zu verbessern, eine Trendumkehr beim Rückgang der Insekten und ihrer Artenvielfalt zu erreichen und die zentralen Ursachen für das Insektensterben – die intensive Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, den Verlust von Blühpflanzenvielfalt sowie die Lichtverschmutzung in und um Siedlungen – zu reduzieren. Zugleich will die Bundesregierung auch die Interessen der Landwirtschaft berücksichtigen.
Artenreiches Grünland, Streuobstwiesen, Steinriegel und Trockenmauern sollen künftig als zusätzliche Biotoptypen gesetzlich geschützt werden, die wichtige Rückzugsgebiete für Insekten darstellen. Auch in der Landschaftsplanung soll der Insektenschutz künftig eine stärkere Rolle spielen.
Biozid-Verbot
Der Gesetzentwurf verbietet den Einsatz gewisser Schädlingsbekämpfungsmittel, sogenannter Biozide, in bestimmten Schutzgebieten. In ökologisch besonders sensiblen Bereichen wie Naturschutzgebieten, Nationalparks oder gesetzlich geschützten Biotopen würden damit strengere Vorgaben für den Insektenschutz gelten.
Um die schädlichen Auswirkungen von Lichtverschmutzung auf Insekten einzudämmen, ist in Naturschutzgebieten ein grundsätzliches Verbot für neue Straßenbeleuchtungen und für leuchtende Werbeanlagen geplant. Außerdem soll es künftig möglich sein, den Betrieb von so genannten Skybeamern zu beschränken und Insektenfallen durch künstliche Lichtquellen zu verbieten.
Stellungnahme des Bundesrates
In seiner Stellungnahme hat der Bundesrat die zentrale Rolle im Ökosystem betont, die Insekten zukommt. Der dramatische Verlust der Artenvielfalt gelte neben dem Klimawandel zu Recht als zweite globale Krise existentiellen Ausmaßes. Die Ursachen des Artensterbens seien vielfältig – daher müsse auch deren Bekämpfung alle relevanten Bereiche umfassen.
So bedürfe es bundesgesetzlicher Regelungen nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für den besiedelten Raum. Damit die Trendwende gelingt, müssten alle Teile der Gesellschaft Problembewusstsein entwickeln – und zur Lösung beitragen.
Ambitioniertere Landesregeln
Dem Erhalt beziehungsweise der Wiederbelebung der Biodiversität komme eine herausgehobene Rolle zu, schreibt die Länderkammer. Zugleich müssten die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft darauf abgestimmt sein. In einigen Bundesländern sei es bereits gelungen, gemeinsame Lösungen für eine naturverträgliche Landbewirtschaftung zu finden.
Gerade zum Verbot bestimmter Biozide und Pflanzenschutzmittel in Schutzgebieten existierten auf Landesebene schon ambitioniertere Regelungen als von der Bundesregierung aktuell vorgeschlagen – diese dürften durch Bundesrecht nicht infrage gestellt werden, warnt der Bundesrat.
Unterstützung für den ökologischen Landbau
Er fordert die Bundesregierung auf, den ökologischen Landbau mit seiner positiven Biodiversitätswirkung weiter zu unterstützen – auch durch finanzielle Maßnahmen. Ebenso erforderlich sei die Stärkung regionaler Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen sowie zusätzliche Aktivitäten zur Änderung des Verbraucherverhaltens.
Die geplanten Maßnahmen gegen Lichtverschmutzung und zum Verbot von Bioziden sollten auch in Kern- und Pflegezonen von Biosphärenreservaten gelten, schlägt der Bundesrat vor. Außerdem plädiert er für deutlich höhere Sanktionen bei Naturschutzverstößen durch Unternehmen: Damit Bußgelder eine abschreckende Wirkung entfalten, müssten sie verzehnfacht werden - im Einzelfall sollten sie sogar bis zu zwei Prozent des Firmenumsatzes betragen.
Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion fordert in ihrem Antrag (19/26779) die Bundesregierung auf, eine wissenschaftliche Grundlage für einen erfolgreichen Insektenschutz zu schaffen. Wo Wissen über Ausgangszustand und Wirkungsmechanismen fehle, müsse geforscht werden, damit die Insektenschutzpolitik kein Schuss ins Blaue werde, schreiben die Antragsteller.
Im Einzelnen verlangt die FDP-Fraktion, die Insektenschutzpolitik auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse aufzubauen. Dabei sei zu entscheiden, ob für den Naturschutz eine große Insektenbiomasse, eine große biologische Vielfalt oder ein Kompromiss aus beidem am besten sei. Außerdem sollen nach dem Willen der Antragsteller alle Maßnahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse und einer Folgeabschätzung unterzogen werden. Dabei sollen erfolgreiche Kooperationen zwischen Landwirtschaft und Naturschutz berücksichtigt werden, um das bestehende Miteinander nicht aufs Spiel zu setzen. (chb/lbr/19.04.2021)