Anhörung zur Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit
Zeit:
Mittwoch, 24. April 2024,
14
bis 17 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3 101
Von Bochum bis Bolivien: In der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte zum dritten Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit (20/9580) am Mittwoch, 24. April 2024, unterstrichen die Sachverständigen die enorme Bandbreite des Themas – geografisch, begrifflich sowie als innen- und außenpolitisches Handlungsfeld. Dabei erfuhren die Einordnung der Religionsfreiheit als Menschenrecht sowie begriffliche Reibungspunkte und Missverständnisse große Aufmerksamkeit.
Gelobt, aber auch kritisiert wurde die Schwerpunktsetzung des dritten Berichts auf die Lage der indigenen Völker: Das sei ein wichtiges und notwendiges Austesten des Anspruchs der Universalität der Freiheitsrechte an einer bislang weniger beachteten Gruppe von Menschen. Andererseits blende diese Fokussierung den weltweiten Antisemitismus und die Brisanz des Nahostkonflikts aus, der leider auch hierzulande ausgetragen werde.
Schutz der Rechte indigener Völker
Eine ganzheitliche Strategie der Bundesregierung gegenüber den indigenen Völkern weltweit mahnte die Expertin für indigene Völker, Sandy El Berr von der Organisation Brot für die Welt des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung e. V. an. Mit dem Beitritt zum Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unterstütze Deutschland die internationalen Bemühungen zum Schutz der Rechte indigener Völker. Dieser Solidaritätsbekundung müssten in allen Politikfeldern nun auch Taten folgen. Es handele sich nicht um ein Rand-, sondern um ein Querschnittsthema.
Aus dem Abkommen resultierten zudem völkerrechtliche extraterritoriale Schutzverpflichtungen, denen Deutschland nachkommen müsse. Von der Agrar- über die Rohstoffwirtschaft bis zu Infrastrukturvorhaben: Oft bedrohten wirtschaftliche Großprojekte das angestammte Land der indigenen Völker – und damit grundlegende Rechte. Mit der Vertreibung dieser Menschen schwänden auch deren Kulte. Dabei leisteten beispielsweise die indigenen Stämme Südamerikas wichtige Beiträge zu Gesellschaft und demokratischem Staatsaufbau ihrer Länder.
Religionsfreiheit als Menschenrecht
Auf die „dramatische“ Fülle „höchst unterschiedlicher“ Verletzungen von Religionsfreiheit rund um den Globus machte Prof. Dr. Dr. h. c. Heiner Bielefeldt, Professor für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik am Institut für Politische Wissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, aufmerksam. Die Religionsfreiheit zu stärken ergebe nur Sinn, wenn man sie als Menschenrecht begreife. Umgekehrt setze ein volles Verständnis der Menschenrechte den Respekt der Religionsfreiheit voraus. Diese sei sonst „entmenschlicht“. Es wäre fatal, zwischen beiden künstliche Antagonisten zu konstruieren.
Die Religionsfreiheit sei auch „kein Sakralrecht“ oder „Recht der Frommen“. „Berechtigte sind alle Menschen“, machte der Wissenschaftler klar. Auch die Freiheit, keine Religion auszuüben gehöre dazu. „Auch bekennende Atheisten können sich auf sie berufen.“ Indem man die Infrastruktur der Menschenrechte stärke, werde der Religionsfreiheit am besten geholfen.
Das spezifische Thema des Berichts der Bundesregierung, der Blick auf die indigenen Völker, ziele, als ein Testfall für die universalen Rechte, „aufs Ganze“. Von diesen universalen Rechten, zu denen die Religionsfreiheit gehöre, sollten ja alle profitieren, sagte Bielefeldt. Es gehe darum, noch „blinde Flecken“ auf der Weltkarte zu beseitigen. Bis dahin handele es sich lediglich um einen „Universalismus auf Bewährung“. Man betrachte jetzt „eine Baustelle, die noch kaum betreten worden ist“, und sende den bisher Vergessenen ein Signal. „Daran hängt die Glaubwürdigkeit des Universalismus.“ Das Thema des Berichts sei also nicht nur spezifisch, sondern ebenso prinzipiell.
Verfolgung von Christen
Der Philosoph und Politologe Mag. Dr. Christian Machek mahnte, neben der berechtigten Beschäftigung mit den Phänomenen des Antisemitismus oder der Islamophobie die Verfolgung von Christen nicht zu vergessen und kritisierte, die Bundesregierung müsse die richtigen Prioritäten setzen. Die weltweit meist verfolgte Religion sei das Christentum. Dieser Aspekt fehle aber in dem Bericht.
Weltweit solle man anderen Religionen und Wertvorstellungen mit Respekt, nicht belehrend, begegnen. „Der Säkularismus kann nicht die alleinige Norm sein. 85 Prozent der Menschen bekennen sich irgendwie.“ Wichtig sei, in einen Dialog zu treten.
Bericht als „einzigartiges Monitorwerkzeug“
Die Wichtigkeit und Besonderheit des Berichts betonte Dr. Richard Ottinger, Referent für internationalen Religionsdialog in der Abteilung Gesellschaftlicher Zusammenhalt der Konrad-Adenauer-Stiftung. Ein so breites Datenfundament gebe es selten. Damit liege ein einzigartiges Monitorwerkzeug vor, betrachteten doch viele andere Untersuchungen lediglich einzelne Religionsgemeinschaften oder Regionen.
Die Institution des Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit solle man als parteipolitisch unabhängige Einrichtung über die Wahlperiode hinaus absichern, forderte Ottinger. Diese müsse den Eigenwert von Religion unterstreichen und „für eine grundsätzliche Akzeptanz der Relevanz von Religion werben“. In der Gesellschaft gebe es immer weniger religiöses Wissen und Ansprechpartner. Debatten würden vielfach ohne Sachverstand und emotional geführt.
Mehr religiöse Bildungsangebote gefordert
Der Bericht entfalte Wirkung nach innen und nach außen. Leider komme dem Thema Religion auch in der deutschen Außenpolitik und in der Entwicklungszusammenarbeit ein viel zu geringer Stellenwert zu, kritisierte der Sachverständige. „Man darf nicht eine ganze Realität ausklammern.“ Das sei ein fatales Signal an die Empfängerländer. „Religion wird offenbar klein gehalten. Das hatten wir schon mal besser.“
Deutschland habe früher eine Führungsrolle im Kampf für Menschenrechte auf dem Gebiet der Religionsfreiheit gehabt. Das außenpolitische Engagement solle zwar säkular, aber nicht entleert sein. Man müsse sein Gegenüber verstehen, um mit ihm ins Gespräch zu kommen und um kompetent handeln zu können, warb Ottinger für mehr religiöse Bildungsangebote. Selbst um Religionskritik zu üben, helfe religiöse Bildung.
Religion als Teil der Demokratie
Dass Deutschland einen eigenen Bericht zum weltweiten Zustand der Religionsfreiheit vorlege, sei wichtig, sagte Erzbischof Prof. Dr. theol. Dr. phil. Dr. mult. Thomas Schirrmacher, Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit, San José, Costa Rica und Ko-Präsident Religions for Peace, New York. Die darin festgestellten Dinge würden ansonsten nicht öffentlich gemacht. Außenpolitik brauche diese „effektiven Informationen“. Religion und Weltanschauung sind „konstitutiv für das Menschsein“, für unsere innersten Überzeugungen, unsere Identität, so der Kirchenmann. Das gelte für Muslime wie für Humanisten.
In Deutschland herrsche zwar eine Trennung von Religion und Staat, aber Religion und Politik ließen sich nicht trennen. Religion sei Teil der Demokratie. Die Religionsfreiheit durchziehe auch sämtliche Menschenrechte. „Ich kann die Thematik nicht herausnehmen.“ Immer müsse man auf die hinter einer individuellen Entscheidung liegende weltanschauliche Motivation eingehen. Kaum ein Menschenrecht werde individuell „so unmittelbar gefühlt“.
Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften
In vielen Ländern lebten „hochreligiöse Menschen. Für die spielt es eine Rolle, wie wir darüber reden.“ Um als Gesprächspartner respektiert zu werden, sollte man Bescheid wissen, sich denselben Ansprüchen unterwerfen, die man an andere stelle. Man müsse sich klar machen, dass ein Dialog in vielen Ländern nur möglich sei in Verbindung mit religiösem Dialog, erklärte der Bischof und warb für einen Dialog auch zwischen den Religionsgemeinschaften, um Konflikte zu überwinden.
Extremistische religiöse Führer, von der islamischen Welt bis zum russisch-orthodoxen Patriarchen seien „das Haupthindernis für den Frieden“. Es gelte parallel mit gemäßigten und friedensbereiten Angehörigen der Religionsgruppen ins Gespräch zu kommen. „Da liegen die Chancen. Religion ist nicht in Stein gemeißelt.“ Religionsführer seien prinzipiell für Frieden. Aufgabe des Staates sei dabei, solche Dialoge im Hintergrund zu moderieren, flankiert „mit einer Realpolitik kleiner Schritte“. Hoffnung bestehe sogar für den Nahen Osten.
Einmal die indigenen Völker, jenseits der großen Weltreligionen, als Schwerpunkt des Berichts zu wählen, sei wichtig, sagte Schirrmacher. Es handele sich um „Menschen, die in völlig anderen kulturellen Zusammenhängen leben. Aber die haben genau denselben Anspruch auf Menschenrechte. Man nimmt ihnen ihr Land und löscht damit auch ihre Spiritualität aus.“ Wer die Religionsfreiheit verletze, indem er Gläubige angreife, handele kriminell, verletze die Menschenrechte. Es sei „unser aller Aufgabe“, die Religionsfreiheit in Deutschland zu verteidigen, sie gehöre zur Identität des Landes. „Hunderttausende“ seien hierher gekommen, weil sie hier ihre Religion frei und offen ausüben dürften.
Jüdisches Leben in Deutschland
Auf die aktuelle Lage von Jüdinnen und Juden weltweit und insbesondere in Deutschland, ging Hanna Veiler ein, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands. Wenn sie an die ständige Bedrohung jüdischen Lebens, etwa an den geplanten Anschlag auf die Synagoge in Bochum, denke oder nur an die alltägliche Ignoranz gegenüber dem jüdischen Kalender, falle es ihr schwer von Religionsfreiheit in Deutschland zu sprechen. Niemand müsste Weihnachten in die Uni. Aber an hohen jüdischen Feiertagen würden Klausuren geschrieben, die jüdische Studentinnen und Studenten aus kultischen Gründen nicht wahrnehmen könnten. Gefahr für Leib und Leben und solche Diskriminierungen: Die Herstellung von Religionsfreiheit sei aus deutscher Perspektive vor allem auch erst einmal eine innenpolitische Aufgabe, sagte Veiler.
Es gelte, sich über die Ursachen und Mechanismen des Antisemitismus klar zu werden. Die Menschen trügen zahlreiche Codes, Bilder und Narrative, die sich zu einer Weltanschauung verdichteten, in sich und reproduzierten diese bewusst oder unbewusst. Gerade in schwierigen Zeiten, „wenn Menschen einfache Erklärungen suchen“, würden diese „schnell reaktiviert“. Die jüdische Gemeinschaft würde dann insgesamt an den Pranger gestellt, auch Israel würde zur Projektionsfläche für den Hass. Häufig gehe Antisemitismus einher mit anderen Formen des Rassismus. Um in Deutschland überhaupt über den Nahostkonflikt sprechen zu können, und um nicht in israelbezogenen Antisemitismus abzugleiten, brauche es ein tieferes Verständnis von Kontext und Geschichte des Nahostkonflikt wie auch des Antisemitismus, sagte Veiler.
Überdenken der Iran-Politik gefordert
International müsse sich die deutsche Außenpolitik viel klarer gegen den Iran und die „immense Gefahr“ richten, die von dem Teheraner Regime ausgehe, das über Jahrzehnte für zahlreiche Anschläge auf Juden weltweit verantwortlich sei, was am 7. Oktober vergangenen Jahres in den Raketenanschlägen der Hamas auf Israel kulminiert sei. Iran sei der Geldgeber der Hamas-Ideologie. „Ohne Iran hätte das nicht funktioniert.“
„Der 7. Oktober hätte zu einem stärkeren Überdenken der deutsch-iranischen Beziehungen führen müssen“, so die Expertin. Man sei „zu nett“ zum Iran und brauche stattdessen schärfere Sanktionen bis hin zu einem Abbruch der Beziehungen. Sonst werde Deutschland dem eigenen Anspruch nicht gerecht, wonach der Schutz Israels zur Staatsräson gehöre. „Wir müssen uns ganz entschlossen gemeinsam den Gefahren entgegenstellen, die die Religionsfreiheit gefährden.“ (ll/25.04.2024)