Fachgespräch zur documenta: Kunstfreiheit und Bekämpfung von Antisemitismus
Zeit:
Mittwoch, 8. Februar 2023,
14.30 Uhr
Ort: Berlin, Jakob-Kaiser-Haus, Sitzungssaal 1.302
Das Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen erhebt in seinem Abschlussbericht schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen der Kunstausstellung im vergangenen Jahr in Kassel. Trotz frühzeitiger Hinweise hätten die Verantwortlichen der Ausstellung nur schleppend und dann mit erheblichem Widerstand auf die Antisemitismus-Vorwürfe reagiert, führte die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff am Mittwoch, 8. Februar 2023, in der öffentlichen Sitzung des Kulturausschusses aus.
Deitelhoff hatte das siebenköpfige Expertengremium geleitet, das im vergangenen Jahr vom Land Hessen und der Stadt Kassel, den Gesellschaftern der documenta, eingesetzt worden war, um den Antisemitismus-Skandal zu untersuchen und Empfehlungen für die Zukunft auszusprechen.
Klare Regeln für Konflikte gefordert
Deitelhoff betonte, dass die Antisemitismus-Vorwürfe gegen verschiedene auf der Kunstausstellung gezeigte Werke berechtigt seien. So seien die Werke „People's Justice“ des Künstlerkollektivs Taring Padi und eine Zeichnung in der Arbeit des Kollektivs „Archive der Frauenkämpfe in Algerien“ von einer antisemitischen Bildsprache gekennzeichnet. Die Werke „Tokyo Reels“, „Guernica Gaza“ und weitere Zeichnungen seien als antizionistisch einzustufen, die Grenzen zum Antisemitismus seien fließend.
Deitelhoff forderte, die Geschäftsführung der documenta zu stärken und klare Regeln für Konflikte dieser Art zu formulieren. Auch der Bund müsse wieder eingebunden werden in die Verantwortung für die documenta. Die Wissenschaftlerin wies allerdings darauf hin, dass es auch zukünftig nicht ausgeschlossen werden könne, dass einzelne Kunstwerke mit antisemitischen Inhalten auf der documenta gezeigt werden. Der Umgang damit könne aber deutlich verbessert werden.
Kritik an künstlerischer Leitung
Diese Einschätzung teilte auch der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers, der ebenfalls dem Gremium angehörte. Das indonesische Künstlerkollektiv, das mit der künstlerischen Leitung der documenta fifteen beauftragt war, sei seiner kuratorischen Verantwortung nicht gerecht geworden, führte Möllers aus. Auf Kritik habe das Künstlerkollektiv „sehr schnell aggressiv reagiert“.
Möllers hat zudem im Auftrag von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) ein Gutachten zu den „Grundrechtlichen Grenzen und grundrechtlichen Schutzgeboten staatlicher Kulturförderung“ vorgelegt. Möllers betonte, dass die Wahrung der Kunstfreiheit und die Bekämpfung des Antisemitismus keine leichte Aufgabe sei, allerdings müssten sich die Verantwortlichen dieser Aufgabe stellen. Er wies darauf hin, dass der sogenannte BDS-Beschluss des Bundestages aus rechtlichen Gründen jedoch nicht anwendbar sei. Dies sei von mehreren Gerichten bestätigt worden.
„Wir müssen an die Wurzel des Problems ran“
Der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden, Daniel Botmann, erneuerte in der Ausschusssitzung seine Vorwürfe gegen die documenta-Verantwortlichen. Bei der Ausstellung sei die „Verantwortungslosigkeit zum Konzept“ erhoben worden. Dies müsse sich ändern.
„Es geht nicht darum, Symptome zu behandeln, ein Bild abzuhängen oder nachträglich kontextualisierende Texte zu ergänzen. Sondern wir müssen an die Wurzel des Problems ran“, sagte Botmann. Antisemitismus sei in „keinem Umfang und in keiner Ausprägung“ zu dulden. Die Bekämpfung von Antisemitismus und Kunstfreiheit seien „kein Widerspruch“.
Mehr Verantwortung des Bundes bei der documenta
Kulturstaatsministerin Claudia Roth lobte den Abschlussbericht des Gremiums und das Gutachten Möllers ausdrücklich. Diese würden klare und nachvollziehbare Handlungsempfehlungen als Konsequenz aus den Vorfällen auf der documenta geben. Antisemitismus und Rassismus dürften „keinen Platz haben bei Kunstausstellungen“.
Die staatliche Förderung von Kunst verbinde sich auch mit Verantwortung. Diese Verantwortung sei in Kassel nicht wahrgenommen worden, führte Roth aus. Der Bund sei bereit, „wieder mehr Verantwortung bei der documenta zu übernehmen“, betonte Roth. Allerdings müsse dafür erst eine Reform an den Strukturen vorgenommen werden. Bislang gebe es aus Kassel jedoch noch keine eindeutigen Äußerungen. Sie hoffe, dass sich dies nach der anstehenden Oberbürgermeisterwahl in Kassel am 12. März dieses Jahres ändere.
Außer mit der documenta beschäftigte sich der Kultur- und Medienausschuss während seiner öffentlichen Sitzung auch mit der Berlinale 2023. Zum Gespräch waren der künstlerische Leiter, Carlo Chatrian, und Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek eingeladen. (aw/08.02.2023)