Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Öffnung der Stiefkindadoption für nichteheliche Paare geht aus der Sicht von Sachverständigen nicht weit genug. In der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz unter Leitung von Prof. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) erklärte am Mittwoch, 29. Januar 2020, beispielsweise die Familienrechtsexpertin Prof. Dr. Nina Dethloff von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, zwar würde der vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Verstoß beseitigt, vor allem bleibe aber unverheirateten Partnern nach wie vor die gemeinschaftliche Adoption verwehrt.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetzentwurf (19/15618) erreichen, dass die Stiefkindadoption durch eine Person zugelassen wird, die mit dem Elternteil in einer verfestigten Lebensgemeinschaft lebt. Eine solche liege in der Regel vor, wenn die Personen seit mindestens vier Jahren oder als Eltern eines gemeinschaftlichen Kindes mit diesem eheähnlich zusammenleben.
Mit dem Gesetz soll eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 2019 umgesetzt werden (Aktenzeichen: 1 BvR 673 /17). Das Gericht hatte den vollständigen Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31. März 2020 eine Neuregelung zu treffen.
Antrag der FDP
Nach dem Willen der FDP-Fraktion, die einen Antrag zu diesem Thema vorgelegt hat (19/15772), sollen nichteheliche Lebensgemeinschaften und Ehen bei der Adoption eines Kindes gleichstellt werden.
Auch müsse es Ehegatten ermöglicht werden, als Einzelperson zu adoptieren, so die FDP.
„Faktische statt verfestigte Lebensgemeinschaft“
Dethloff bemängelte wie auch andere Sachverständige den Begriff der verfestigten Lebensgemeinschaft. Dieser sei unglücklich gewählt, da er bereits im Unterhaltsrecht verwendet werde, wo ihm eine andere Bedeutung zukomme. Vorzugswürdig wäre die Verwendung eines anderen, neuen Begriffs, wie etwa der faktischen Lebensgemeinschaft, erklärte Dethloff.
Sie forderte den Gesetzgeber auf, mit der Beseitigung gravierender Ungleichbehandlungen von Kindern, die in nichtehelichen Familien aufwachsen, nicht zu warten, bis das Bundesverfassungsgericht den nächsten Verstoß feststellt.
„Stabile eheähnliche Lebensgemeinschaft“
Prof. Dr. Anne Sanders von der Universität Bielefeld unterstützte die von der FDP vorgeschlagene große Lösung und meinte, der Begriff „verfestigte Lebensgemeinschaft“ solle ersetzt werden durch „stabile eheähnliche Lebensgemeinschaft“. Sie befürworte eine Regelung, sagte Sanders, nach der Ehepaare und Lebensgefährten entweder gemeinsam oder gar nicht adoptieren können. Andernfalls werde es zu einer Ungleichbehandlung von Ehegatten gegenüber Lebensgefährten kommen.
Sollte der Gesetzgeber an der im Entwurf vorgeschlagenen kleinen Lösung festhalten, würde sie kleinere Änderungen anregen. Dazu zähle auch eine Ausnahmeregelung für eine Adoption in einer stabilen eheähnlichen Lebensgemeinschaft, wenn ein Partner mit einem Dritten verheiratet ist.
„Adoption für elternlose Kinder ermöglichen“
Die Familienrechtlerin Prof. Dr. jur. Hildegund Sünderhauf-Kravets von der Evangelischen Hochschule Nürnberg sprach sich dafür aus, wünschenswerte Adoptionen nicht an rechtlichen Hürden scheitern zu lassen.
So sollte die Adoption für elternlose Kinder ermöglicht werden, und zwar auch in Fällen, in denen die Eltern nicht verheiratet sind, und auch dann, wenn sie zwar verheiratet sind, aber nur einer der beiden Eheleute das Kind adoptieren will. Adoption schaffe Eltern-Kind-Bindungen und verfestige sie durch rechtliche Familienbeziehungen, sagte Sünderhauf.
„Insellösung löst nur wenige Probleme“
Prof. Dr. Katharina Hilbig-Lugani vom Deutscher Juristinnenbund (djb) bemängelte, dass der Entwurf nur eine Regelung zur Stiefkindadoption enthalte und den nichtehelichen Lebensgemeinschaften nicht die Möglichkeit der gemeinschaftlichen Adoption eröffne.
Kritisch sehe sie auch die Anhebung der Mindestdauer einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft von zwei auf vier Jahre für die Annahme einer verfestigten Lebensgemeinschaft. Der Entwurf zeige, so Hilbig-Lugani, dass eine Insellösung nur wenige Probleme löst, aber viele Probleme provoziert. Im Bereich des Adoptions- und Abstammungsrechts bedürfe es daher bald einer großen Lösung, die auch andere Expertinnen anmahnten.
„Beschränkung auf nichteheliche Partner richtig“
Für überzeugend hält dagegen Ursula Hennel vom Sozialdienst katholischer Frauen den Entwurf. Hennel, die aus der Sicht einer Praktikerin sprach, erklärte, es sei richtig, dass sich die Vorlage auf die Öffnung der Stiefkindadoption für nichteheliche Partner beschränkt.
Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass bei einer gleichzeitigen Öffnung der Fremdadoption für nichteheliche Paare adoptionsspezifische Qualitätskriterien und Erfahrungen gegenüber dem Beweggrund der Gleichstellung von nichtehelichen und ehelichen Familien aus dem Fokus gerieten.
„Maßgeblich muss das Kindeswohl sein“
Gernot Kintzel, Richter am Oberlandesgericht Bamberg, erklärte, mit dem Gesetzentwurf werde dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich in geeigneter Weise nachgekommen. Insbesondere bei der Terminologie – wie bei dem Begriff der verfestigten Lebensgemeinschaft – bestehe jedoch noch Verbesserungsbedarf.
Maßgeblich für die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen wem eine Adoption eröffnet werden sollte, müsse das Kindeswohl sein, betonte Kitzel in seiner Stellungnahme. Gleichbehandlungsgesichtspunkte der Adoptivbewerber hätten hinter Belangen des Kindeswohls zurückzutreten. Weitergehende Regelungen wie von der FDP gefordert seien nicht angezeigt.
„Gleichstellung überfällig“
Dr. Insa Schöningh, Bundesgeschäftsführerin der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie, begrüßte ebenfalls das Ziel des Gesetzentwurfs, Stiefkindadoptionen auch in nichtehelichen, aber stabilen Partnerschaften zuzulassen. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Gleichstellung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Ehen spiegele im Hinblick auf Stabilität und Kindeswohl die gesellschaftliche Realität wider und sei daher überfällig.
Gleichzeitig sprach sie sich für eine umfassende Reform des Abstammungs- und Sorgerechts auch für weitere Familienkonstellationen aus.
„Vielfältigeres Familienbild setzt sich durch“
Constanze Körner vom Berliner Verein Lesben-Leben-Familie sagte, es sei grundsätzlich zu begrüßen, dass sich ein verändertes, vielfältigeres Familienbild Schritt für Schritt in den Gesetzen durchsetze und Familie längst nicht mehr zwingend an die Ehe gebunden sein müsse.
Jedoch sei für lesbische Mütterfamilien noch immer die Stiefkindadoption in der Ehe beziehungsweise der eingetragenen Lebenspartnerschaft nach der Geburt der einzige Weg, um rechtlich Eltern ihres in die lesbische Beziehung hineingeborenen Kindes zu werden. Dringend notwendig sei daher die Abschaffung der Stiefkindadoption in gleichgeschlechtlichen Ursprungsfamilien sowie grundsätzlich eine Reform des Abstammungsrechts. (mwo/29.01.2020)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Prof. Dr. Nina Dethloff, LL.M. (Georgetown), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht, Rechtsvergleichung und Europäisches Privatrecht, Direktorin des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Familienrecht
- Ursula Hennel, Sozialdienst katholischer Frauen und Männer Düsseldorf e. V., Leitung Fachbereich Familiale Fremdunterbringung
- Gernot Kintzel, Richter am Oberlandesgericht Bamberg Stellvertretender Vorsitzender des 2. Zivilsenats (Familiensenat)
Constanze Körner, Lesben-Leben-Familie, Berlin
- Prof. Dr. Katharina Lugani, Deutscher Juristinnenbund e. V. (djb), Vereinigung der Juristinnen, Volks- und Betriebswirtinnen, Berlin
Prof. Dr. Anne Sanders, M. Jur. (Oxford), Universität Bielefeld, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht, das Recht der Familienunternehmen und Justizforschung
- Dr. Insa Schöningh, evangelische arbeitsgemeinschaft familie e. V., Berlin, eaf – Bundesgeschäftsführerin
- Prof. Dr. jur. Hildegund Sünderhauf-Kravets, Evangelische Hochschule Nürnberg Professorin für Familienrecht und Kinder- und Jugendhilferecht