Der Bundestag stimmt für eine Impfpflicht für Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen. Demnach muss für Kinder in Kitas, Schulen und der Kindertagespflege künftig ein Impfschutz nachgewiesen werden. Das Parlament hat am Donnerstag, 14. November 2019, einen Entwurf der Bundesregierung für ein Masernschutzgesetz (19/13452) angenommen. Für die Vorlage stimmten in namentlicher Abstimmung 459 Abgeordnete. Dagegen stimmten 89 Abgeordneten, 105 enthielten sich der Stimme. Der Gesundheitsausschuss hat dazu eine Beschlussempfehlung (19/15164) vorgelegt.
Impfschutz, Kostenübernahme, Schönheitsoperationen
Das Gesetz sieht auch für Mitarbeiter von Gemeinschaftseinrichtungen sowie medizinisches Personal einen vollständigen Impfschutz vor. Kinder ohne Masernimpfung können vom Besuch einer Kindertagesstätte ausgeschlossen werden. Gegen Eltern, die ihre in Gemeinschaftseinrichtungen betreuten Kinder nicht impfen lassen, kann ein Bußgeld in Höhe von bis zu 2.500 Euro verhängt werden. Künftig sollen auch verstärkt freiwillige Reihenimpfungen in Schulen ermöglicht werden. Auch Betriebsärzte sollen sich an Schutzimpfungen beteiligen.
Das Gesetz beinhaltet außerdem drei sogenannte fachfremde Regelungen. So bekommen Versicherte, die Opfer eines sexuellen Missbrauchs wurden, einen Anspruch auf Kostenübernahme für eine vertrauliche medizinische Spurensicherung am Körper. Bei solchen Untersuchungen, unter anderem im Genitalbereich, können etwa Verletzungen festgestellt werden. Möglich sind auch Untersuchungen auf sogenannte K.O.-Tropfen. Die Spurensicherung kann dokumentiert werden und ist dann in etwaigen späteren Gerichtsverfahren anwendbar. In den Beratungen erweiterte der Gesundheitsausschuss diese Regelung auch auf andere Fälle von Misshandlung und Gewalt.
Zudem soll Werbung für operative plastisch-chirurgische Eingriffe (Schönheitsoperationen), die sich ausschließlich oder überwiegend an Jugendliche richtet, verboten werden. Damit soll vor allem die vergleichende Darstellung des Aussehens vor und nach einem Eingriff unterbunden werden. Schließlich wird mit dem Gesetz das Wiederholungsrezept eingeführt. Es zielt auf Versicherte ab, die eine kontinuierliche Versorgung mit einem Arzneimittel benötigen. In den Fällen kann der Arzt eine Verordnung ausstellen, die eine bis zu dreimal wiederholte Abgabe erlaubt.
Anhörung: Experten sehen Herausforderungen
In einer Expertenanhörung zu dem Gesetzentwurf hatte die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände gewarnt, die Umsetzung des Gesetzes könnte schwierig werden. Der Verband sprach von einem erheblichen Aufwand, nicht ermittelten Kosten und möglichen Auseinandersetzungen mit Interessengruppen, etwa impfunwilligen Eltern oder Mitarbeitern von Gemeinschaftseinrichtungen.
Es müsse befürchtet werden, dass die Last der Kontrollen und Konsequenzen bei der Einführung der Impfpflicht durch den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) zu schultern seien, der deshalb gestärkt werden müsse. In der Schlussdebatte machten auch Redner der Opposition darauf aufmerksam, dass der ÖGD in der Vergangenheit „kaputt gespart“ worden sei.
Anträge der Opposition abgelehnt
Abgelehnt hat der Bundestag einen Antrag der FDP mit dem Titel „Impfquoten wirksam erhöhen – Infektionskrankheiten ausrotten“ (19/14061). Der Antrag wurde mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und AfD gegen die Stimmen der Fraktionen FDP und Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Fraktion Die Linke zurückgewiesen. Eine dritte Vorlage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Masern und andere Infektionskrankheiten jetzt eliminieren – Solidarität und Vernunft fördern, Impfquoten nachhaltig steigern“ (19/9960) wurde ebenfalls mit der Mehrheit von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der AfD, FDP und Grüne bei Enthaltung der Linken abgelehnt. Den Abstimmungen lag eine Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses (19/15164) zugrunde.
Darüber hinaus wurde ein von der AfD-Fraktion vorgelegter Entschließungsantrag (19/15168) bei Enthaltung der Linken mit der Mehrheit der übrigen Fraktionen abgelehnt. Darin hatte die Fraktion gefordert, dass die Impfquoten auf einer sicheren wissenschaftlichen Grundlage basieren und dass deshalb die bisher publizierten Studien über die Basisreproduktionszahl für Masern in unabhängigen wissenschaftlichen Studien überprüft werden sollen. Zudem dürfe kein Zwang zum Impfen ausgeübt werden.
Minister: Masern sind keineswegs harmlos
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erinnerte daran, dass Masern keineswegs harmlos und auch nicht therapierbar sind. Die Krankheit könne einen bösartigen Verlauf nehmen bis hin zu Lungen- und Gehirnentzündungen. Bei einer Impfpflicht gehe es um die Freiheit des Einzelnen, es gehe aber auch um die Verantwortung des Einzelnen und die Frage, ob andere gefährdet würden.
Dass der Kombinationsimpfstoff nicht nur gegen Masern, sondern auch gegen Mumps und Röteln wirkt, wertete Spahn als zusätzlichen Vorteil. Mehrfachimpfstoffe hätten auch tendenziell weniger Nebenwirkungen. Zudem gebe es „kein Recht auf Röteln“. Im Zweifel gehe es darum, weitere Krankheiten zu vermeiden. Das Ziel sei, möglichst viele Infektionskrankheiten auszurotten. Es könne nicht sein, dass solche international verfolgten Zielsetzungen ausgerechnet in Deutschland verhindert würden.
CDU/CSU sieht eine ethische Verpflichtung
Rudolf Henke (CDU/CSU) fügte hinzu, es gebe eine ethische Verpflichtung, sich an der Impfung zu beteiligen. Der Gemeinschaftsschutz sei ein hohes öffentliches Gut. Mit dem Gesetz werde die Prävention insgesamt gestärkt, besonders verletzliche Personen würden geschützt.
Dies sei ein Akt gesellschaftlicher Solidarität. Von einer Zwangsimpfung von Kindern wollte Henke nicht sprechen, es gehe um eine Nachweispflicht.
SPD: Mit systematischer Impfung Leid verhindern
Sprecher der SPD machten ebenfalls deutlich, dass mit der systematischen Impfung gegen Masern viel Leid vermieden werden könne. Bärbel Bas (SPD) sagte, es habe in den zurückliegenden Jahren immer wieder heftige Ausbrüche dieser Krankheit gegeben. In solchen Fällen würden betroffene Schulen und Kitas komplett gesperrt. Das Ziel der Reform bestehe darin, auch diejenigen zu schützen, die gar nicht geimpft werden könnten, etwa Babys. Auch der Impfnachweis für Lehrer und Erzieher sei wichtig, um alle schützen zu können.
Sabine Dittmar (SPD) beklagte, das zum Thema Masern teilweise völlig falsche, pseudowissenschaftliche Fakten verbreitet würden, um eine absichtliche Ansteckung medizinisch zu rechtfertigen. Dies sei unverantwortlich.
AfD ist gegen einen Impfzwang
Die AfD sieht in Impfungen durchaus ein probates Mittel gegen Krankheiten, hält jedoch einen Impfzwang weder für sinnvoll noch für angebracht. Detlev Spangenberg (AfD) sagte, Deutschland sei gut aufgestellt, es gebe zumindest keinen Handlungsbedarf bei Kindern, die überwiegend ja geimpft seien. Handlungsbedarf gebe es eher unter Erwachsenen und Zuwanderern.
Staatlicher Druck sei auch deshalb unnötig, weil eine große Mehrheit der Bevölkerung die Schutzimpfungen positiv sehe. Die Folge eines Impfzwangs seien hingegen Unmut, Verdruss und Ablehnung. Freiwillige Impfungen seien sinnvoller. Zudem sollten Aufklärung und Beratung gestärkt und ein elektronisches Erinnerungssystem für anstehende Impfungen eingeführt werden.
FDP: Impfpflicht ist keine Körperverletzung
Andrew Ullmann (FDP) wandte sich gegen Darstellungen, die Impfpflicht sei Körperverletzung. „Ein kleiner Pieks?“ Die Frage sei wohl eher, was mit dem Leid sei, wenn die Krankheit einmal ausbreche. Es gehe nicht um harmlose Infektionskrankheiten. Impfungen seien effektiv, sicher, verhinderten Leid und Tod.
Insbesondere die Schwächsten müssten vor solchen Krankheiten geschützt werden, darunter Säuglinge und chronisch Kranke. In den vergangenen Jahren sei beim Öffentlichen Gesundheitsdienst gespart worden, daher werde nun das Masernschutzgesetz gebraucht. Allerdings belaste die Reform die Mitarbeiter in den betroffenen Einrichtungen mit Bürokratie und „widerborstigen Impfgegnern“.
Linke spricht sich für Impfaktionen und Aufklärung aus
Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke) bezeichnete sich selbst als „überzeugte Impfbefürworterin“ und erinnerte an erfolgreiche öffentliche Kampagnen gegen die Kinderlähmung (Poliomyelitis) in der Vergangenheit. Wer sich einer Impfung verweigere, erhöhe damit auch das Risiko für andere Menschen, zum Beispiel Ältere und Kranke. Dies sei unsolidarisch und inakzeptabel.
Allerdings würden mit der Novelle gravierende Missstände verdeckt. So sei der ÖGD kaputt gespart worden, Reihenimpfungen wie früher fänden heute nicht mehr statt. Der ÖGD müsse personell und finanziell gestärkt werden. In Kitas, Schulen und Pflegeheimen sollten vom ÖGD regelmäßig Reihenimpfungen angeboten werden. Sinnvoll seien auch Impfaktionen am Arbeitsplatz und ein elektronischer Impfplan sowie mehr Aufklärung.
Grüne fordern umfassende Impfstrategie
Auch Kordula Schulz-Asche (Bündnis 90/Die Grünen) forderte eine umfassende Impfstrategie. Impfungen gegen Infektionen seien gelebte gesellschaftliche Solidarität mit Säuglingen, Kleinkindern und Kranken, für die jede Infektion lebensbedrohlich sein könne. Den Impfempfehlungen der Fachleute müsse gefolgt werden. Die Grünen-Politikerin betonte: „Wir können Masern weltweit ausrotten, wenn wir alle zusammenarbeiten.“
Das Gesetz beinhalte einige sinnvolle Regelungen, so etwa die, dass alle Ärzte alle Patienten impfen könnten. Ein Kernproblem werde jedoch aufgegriffen, die Bevölkerung im Alter zwischen 20 und 50 Jahren, von denen weniger als die Hälfte gegen Masern geimpft sei. Die Impflücken müssten jedoch konsequent geschlossen werden.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Mit einer Impfpflicht für Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen will die Bundesregierung die Masern effektiver bekämpfen. Der Gesetzentwurf sieht deshalb einen verpflichtenden Impfschutz gegen die hochansteckende Virusinfektion in Kitas, Schulen und der Kindertagespflege vor. Vor der Aufnahme in solche Gemeinschaftseinrichtungen müssen alle Kinder künftig nachweisen, dass sie wirksam gegen Masern geimpft worden sind. Auch Mitarbeiter solcher Einrichtungen sowie medizinisches Personal müssen einen vollständigen Impfschutz nachweisen. Die Masern-Impfung entfaltet ihre volle Schutzwirkung nach zwei Impfdosen.
Auch in Asylbewerber- und Flüchtlingsunterkünften sollen die Bewohner und Mitarbeiter Masern-Impfungen nachweisen. Für Menschen mit medizinischen Kontraindikationen und Personen, die vor 1970 geboren sind, gilt die Impfpflicht nicht. Wer Masern hatte, muss auch nicht mehr immunisiert werden, denn der Körper ist dann dauerhaft vor Masernviren geschützt. Kinder, die bereits in einer Gemeinschaftseinrichtung untergebracht sind und Mitarbeiter müssen den Impfnachweis bis Ende Juli 2021 erbringen. Kinder ohne Masernimpfung können vom Besuch einer Kindertagesstätte ausgeschlossen werden. Das Gesetz soll am 1. März 2020 in Kraft treten.
Der Gesetzentwurf sieht ferner vor, dass gegen Eltern, die ihre in Gemeinschaftseinrichtungen betreuten Kinder nicht impfen lassen, ein Bußgeld in Höhe von bis zu 2.500 Euro verhängt werden kann. Auch gegen Kindertagesstätten kann ein Bußgeld ergehen, wenn nicht geimpfte Kinder betreut werden. Dasselbe gilt für nicht geimpfte Mitarbeiter in Gemeinschafts- und Gesundheitseinrichtungen sowie Asylbewerberunterkünften und für nicht geimpfte Bewohner dieser Unterkünfte. Die Krankenkassen werden dazu verpflichtet, mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) Vereinbarungen über die Erstattung der Impfkosten treffen. Damit sollen wieder verstärkt freiwillige Reihenimpfungen in Schulen ermöglicht werden.
Antrag der FDP
Im Kampf gegen Infektionskrankheiten fordert die FDP-Fraktion eine systematische Steigerung der Impfquoten. Dazu sprechen sich die Abgeordneten in ihrem Antrag für einen digitalen Impfausweis aus, mit dessen Hilfe jeder Bürger seinen Impfstatus jederzeit abrufen könne. Dieser Impfausweis sollte die Bürger automatisch an notwendige Impfungen erinnern.
Insbesondere in den Praxen der Kinder-, Haus- und Frauenärzte sollte zudem die Einrichtung eines professionellen Impfmanagements gefördert werden.
Es sollten auch Modellprojekte ermöglicht werden, in deren Rahmen Angehörige anderer Heilberufe, etwa Pflegefachkräfte, Hebammen oder Apotheker, sogenannte Totimpfstoffe impfen dürften. Beim Robert-Koch-Institut (RKI) sollte außerdem ein digitales Impfregister eingerichtet werden, heißt es in dem Antrag weiter, das sich aus pseudonymisierten Primärdaten über alle Impfungen speise. Damit könnten Daten über Impfquoten zeitnahe und umfassend verfügbar gemacht werden.
Antrag der Grünen
Auch die Grünen-Fraktion setzt sich für einen verbesserten Impfschutz gegen Masern ein. Gerade in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung und in bestimmten Gesundheitseinrichtungen würden auch Kinder betreut, die noch nicht das für die Masernimpfungen erforderliche Alter erreicht hätten oder aufgrund von Erkrankungen nicht geimpft werden könnten, heißt es in einem Antrag. Es sei daher angemessen, wenn zu deren Schutz die Impfung von anderen Kindern und des gesamten Personals zur Voraussetzung für den Zugang zu diesen Einrichtungen gemacht werde. Unter anderem fordern die Abgeordneten, dass vor Aufnahme in eine Einrichtung, in der Kinder betreut werden, der Impfstatus geprüft wird. Bei unvollständigem Impfschutz, insbesondere bei Fehlen der zweiten Masernimpfung, sollte als Voraussetzung für den Besuch der Kita die fehlende Impfung nachgeholt werden müssen.
Ferner müsse dem in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung, Schulen, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen sowie anderen Einrichtungen mit durch Infektionskrankheiten besonders gefährdeten Personen tätigen Personal vorgegeben werden, so schnell wie möglich einen ausreichenden Impfschutz nachzuweisen. Die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (gematik) sollte dazu verpflichtet werden, den digitalen Impfpass bis 2021 als Teil der elektronischen Patientenakte (ePA) einzuführen. (pk/14.11.2019)