Abschaffung des Solidaritätszuschlags auf dem Weg
Für die Große Koalition ist es eines ihrer zentralen Vorhaben: Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für die große Mehrzahl der Steuerzahler ab 2021. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995“ (19/14103) ist am Donnerstag, 24. Oktober 2019, mit der ersten Lesung in die parlamentarische Beratung eingetreten. Wer als Einzelperson nicht mehr als 16.956 Euro Einkommensteuer im Jahr zahlen muss, soll ganz vom „Soli“ verschont bleiben, für gemeinsam veranlagte Paare gilt der doppelte Betrag. Das betrifft nach Angaben der Bundesregierung neunzig Prozent der bisherigen Zahler. Für weitere mehr als fünf Prozent soll sich die Belastung verringern.
Mitberaten wurde ein Antrag der FDP-Fraktion (19/14286), den Solidaritätszuschlag schon 2020 komplett abzuschaffen. Gesetzentwurf und Antrag verwies das Plenum im Anschluss zur Weiterberatung an den federführenden Finanzausschuss.
Finanzminister rechtfertigt Teilabschaffung
In der Debatte hob Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hervor, es sei Sinn des Solidaritätszuschlags gewesen, dass die deutsche Einheit auch wirtschaftlich gelingt. Seit seiner Einführung habe der Bund damit 275 Milliarden Euro eingenommen, im gleichen Zeitraum aber auch 383 Milliarden für Zwecke der deutschen Einheit ausgegeben. Die Finanzierungsaufgaben nähmen seitdem ab, seien aber noch nicht verschwunden. Auch wenn der Solidarpakt zwischen Bund und Ländern Ende 2019 auslaufe, sei „Solidarität in dieser Aufgabe weiter nötig“. Damit begründete Scholz, warum der Solidaritätszuschlag nicht vollständig abgeschafft werden könne. Mit seiner Beschränkung auf hohe und höchste Einkommen wird sich das Steueraufkommen etwa halbieren.
Scholz fügte hinzu, es sei „ohnehin richtig in einem Land, das so unterschiedliche Lohn- und Einkommensverhältnisse hat, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die sehr hohe Einkommen haben, einen höheren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten“. Für das weitere Vorgehen nach diesem ersten Schritt schlage seine Partei deshalb vor, den verbleibenden Solidaritätszuschlag in den Einkommensteuertarif einzurechnen. Dies liefe auf einen entsprechend höheren Spitzensteuersatz hinaus.
AfD: Erfolgreiche Jagd
Stefan Keuter (AfD) verwies darauf, dass seine Fraktion seit ihrem Einzug in den Bundestag mehrere Vorstöße zur Soli-Abschaffung übernommen habe. Er verwies auf die Ankündigung ihres Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland zu Beginn der Legislaturperiode, die Regierung zu jagen, und nannte die Tatsache, dass dieser Gesetzentwurf jetzt vorliege, ein „Paradebeispiel für erfolgreiche Jagd“. Die Koalition sei „getrieben von der Bevölkerung“, „man zwingt sie zum Handeln“.
Gleichzeitig kritisierte Keuter aber auch den vorliegenden Gesetzentwurf. Unter Berufung auf den früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Professor Hans-Jürgen Papier sagte er, der Solidaritätszuschlag sei mit Auslaufen des Solidarpakts verfassungswidrig. Er gehöre „abgeschafft, und zwar komplett“.
Sein Fraktionskollege Albrecht Glaser (AfD) ergänzte, der Soli, der anders als die Einkommensteuer nur auf den Bund entfalle, sei nach dem Grundgesetz nur als „Finanzinstrument für besondere Problemlagen“ zulässig. Für diesen Ausnahmecharakter sei „spätestens jetzt die Grundlage entfallen“.
CDU/CSU setzt auf Nachbesserungen
Die verfassungsrechtlichen Zweifel wurden auch in den Redebeiträgen der CDU/CSU-Fraktion deutlich. Um den Gesetzentwurf „verfassungsfest“ zu machen, müsse man schon jetzt im Gesetzgebungsverfahren den Zeitplan für die völlige Abschaffung festlegen, sagte Olav Gutting (CDU/CSU) und kündigte an: „Wir werden da nicht locker lassen“. Der „Soli“ habe die „Mindesthaltbarkeit überschritten“ und müsse verschwinden, betonte Gutting: „Dazu machen wir heute den ersten, großen Schritt.“
Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) fügte hinzu, ein allen Steuerpflichtigen zugute kommender Freibetrag, wie ihn seine Fraktion vorgeschlagen, die SPD aber abgelehnt habe, sei verfassungsrechtlich sicherer. Er setze darauf, dass der Koalitionspartner in den Ausschussberatungen hier noch einlenke, sagte Michelbach und warnte: „Wir dürfen nicht sehenden Auges in einen Verfassungskonflikt steuern.“
FDP fordert Totalabschaffung
„Besser als Sie hätte man das gar nicht auf den Punkt bringen können“, kommentierte Dr. Florian Toncar (FDP) die Rede Michelbachs. Sein Fraktionskollege Christian Dürr (FDP) verwies darauf, dass nach dem vorliegenden Gesetzentwurf alle GmbHs, darunter viele kleine Betriebe, weiter den Solidaritätszuschlag zahlen müssten. Auch Kleinsparer „treten Sie ins Knie“, da auf Zinsabschlagsteuern weiter der „Soli“ erhoben werden solle.
Eindringlich appellierte Dürr an die CDU/CSU-Fraktion, von dem Kompromiss mit der SPD abzurücken. Er forderte die Abgeordneten der Unionsfraktion auf, den Arm zu heben, wenn sie die Ansicht Michelbachs nicht teilen. Nachdem kein Arm in die Höhe ging, rief er: „Die größte Fraktion des Hauses darf nicht gegen das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verstoßen.“
Linke: Regierung spaltet die Gesellschaft
Umgekehrt appellierte die Fraktion Die Linke an die Kollegen von der SPD, sich mit ihr für eine Integration des Solidaritätszuschlags in den Steuertarif einzusetzen. Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke) argumentierte, die Mittelschicht habe die deutsche Einheit finanziert, während die Oberschicht von ihr profitiert habe. Es müsse aber klar sein, dass die jetzt geplante Teilabschaffung vor Gericht nicht standhalten werde. Die Konsequenz werde sein, dass der „Soli“ für alle wegfalle und sogar hohe Rückzahlungen auf den Bund zukämen, für die keine Rücklagen gebildet würden.
Schon von den bisherigen Steuerreformen seit der deutschen Einheit hätten vor allem die Reichsten profitiert, sagte Lötzsch. Das habe zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft geführt und auch die Rechtsextremen stark gemacht. Lötsch nannte die Bundesregierung die „Vermögensverwaltung für das reichste Prozent“.
Grüne: SPD soll Parteitag abwarten
Auch die Grünen wollen „die Abschaffung des Soli mit einer Einkommensteuerreform verbinden“, wie Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte. So würden „kleine und mittlere Einkommen dauerhaft spürbar entlastet, aber Bestverdiener leisten weiter einen besonderen Beitrag für gleichwertige Lebensverhältnisse“. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf würde die Menschen in Bayern weit mehr entlasten als in Thüringen, weil dort die Einkommen höher seien, argumentierte Paus.
Die Grünen-Abgeordnete verwies darauf, dass das geplante Gesetz erst 2021 wirksam werden solle, und appellierte, offensichtlich mit Blick auf ein mögliches Ende der Koalition, an die SPD-Fraktion: „Warten Sie doch erst mal Ihren Parteitag ab!“
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die Regierung plant, den steuerlichen Solidaritätszuschlag in einem ersten Schritt zugunsten niedriger und mittlerer Einkommen zurückzuführen. Das Entlastungsvolumen soll ab 2021 9,8 Milliarden Euro betragen und 2022 auf 11,2 Milliarden Euro steigen. Der Solidaritätszuschlag ist eine Ergänzungsabgabe, die 1991 zur Finanzierung der Kosten der deutschen Einheit zunächst für ein Jahr und ab 1995 unbefristet eingeführt wurde. Seit 1998 wird er in Höhe von 5,5 Prozent der Einkommen- und Körperschaftsteuerschuld erhoben.
Wie es zur Begründung heißt, stellt der erste Entlastungsschritt für niedrige und mittlere Einkommen eine wirksame Maßnahme zur Stärkung der Arbeitsanreize, der Kaufkraft und der Binnenkonjunktur dar. Bürgerinnen und Bürger mit mittleren und niedrigen Einkommen hätten eine deutlich höhere Konsumquote als Spitzenverdienende, für die der Solidaritätszuschlag weiterhin erhoben werden soll.
Freigrenze soll stark angehoben werden
Die Bundesregierung führt dazu sozialstaatliche Erwägungen an, da höhere Einkommen einer stärkeren Besteuerung unterliegen sollen als niedrige Einkommen. Soziale Gesichtspunkte rechtfertigten es auch, einen Teil der Einkommensteuerpflichtigen nicht zu erfassen. Wegen der aktuell weiterhin bestehenden finanziellen Lasten des Bundes aus der Wiedervereinigung werde der Solidaritätszuschlag nur teilweise zurückgeführt.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die sogenannte Freigrenze, bis zu der der Solidaritätszuschlag nicht erhoben wird, stark erhöht wird. Bei einkommensteuerpflichtigen Personen beträgt diese Freigrenze derzeit 972 Euro bei Einzel- und 1.944 Euro bei Zusammenveranlagung. Diese Freigrenze soll auf 16.956 beziehungsweise 33.912 Euro erhöht werden. Dadurch sollen 90 Prozent aller bisherigen Zahler des Zuschlags von der Zahlung befreit werden. Für höhere Einkommen wird eine Milderungszone eingerichtet, um einen Belastungssprung beim Überschreiten der Freigrenze zu vermeiden. Die Wirkung der Milderungszone nimmt mit steigendem Einkommen ab.
„Bund hat weiterhin zusätzlichen Finanzierungsbedarf“
Nach Angaben der Bundesregierung kann der Solidaritätszuschlag so lange fortgeführt werden, wie ein aufgabenbezogener Mehrbedarf des Bundes besteht: „Der Bund hat weiterhin einen wiedervereinigungsbedingten zusätzlichen Finanzierungsbedarf, etwa im Bereich der Rentenversicherung, beim Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz, für den Arbeitsmarkt sowie für andere überproportionale Leistungen aus dem Bundeshaushalt für die ostdeutschen Bundesländer.“
Die bis jetzt zur Überwindung der Folgen der deutschen Teilung aufgewendeten Mittel würden das durch den Solidaritätszuschlag erzielte Aufkommen übersteigen. Das Aufkommen zwischen 1995 und 2016 habe etwa 275 Milliarden Euro betragen. Hingegen hätten sich allein die Ausgaben des Bundes aus dem Solidarpakt I und II bis 2016 sowie weitere Leistungen auf insgesamt 383 Milliarden Euro summiert. Die Regierung geht davon aus, dass auch der fortgeführte Teil der Ergänzungsabgabe die fortbestehenden Lasten nicht vollständig decken wird.
Normenkontrollrat beklagt „kurzfristige Abstimmungsprozesse“
Der Nationale Normenkontrollrat äußert sich in seiner Stellungnahme kritisch zu der vom Bundesministerium der Finanzen gesetzten Frist für Länder und Verbände zur Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf. Erinnert wird, dass die gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien vorsehe, die Beteiligung der Länder und Verbände „möglichst frühzeitig“ einzuleiten.
Das Bundesministerium der Finanzen habe den Gesetzentwurf am 12. August 2019 an Länder und Verbände mit einer Frist zur Stellungnahme bis zum darauffolgenden Werktag verschickt, nur neun Tage vor der geplanten Verabschiedung durch die Bundesregierung in der Kabinettssitzung am 21. August 2019. „Dies stellt keine frühzeitige Beteiligung dar. Derart kurzfristige Abstimmungsprozesse traten zuletzt aus Sicht des Normenkontrollrats gehäuft auf“, heißt es in der Stellungnahme. Eine besondere Eilbedürftigkeit sei bei diesem Vorhaben nicht zu erkennen, da die Änderungen erst ab dem Jahr 2021 gelten sollen. Die Vorgehensweise des Bundesministeriums der Finanzen entspreche nicht den „Prinzipien der besseren Rechtsetzung“.
Der Nationale Normenkontrollrat hat den gesetzlichen Auftrag, die Bundesregierung beim Bürokratieabbau und bei der besseren Rechtsetzung zu unterstützen.
Gesetzentwurf der FDP
Der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion verfolgt das Ziel, den steuerlichen Solidaritätszuschlag ab dem 1. Januar 2020 abzuschaffen. Darin heißt es, dass der Solidaritätszuschlag 1995 mit der Begründung eingeführt worden sei, der Zuschlag sei zur Finanzierung der Vollendung der Einheit als finanzielles Opfer unausweichlich und mittelfristig zu überprüfen. Der zur Vollendung der deutschen Einheit aufgelegte Solidarpakt II laufe 2019 aus, sodass auch die Legitimation des Solidaritätszuschlagsgesetzes nach Ansicht der FDP-Fraktion spätestens zu diesem Zeitpunkt wegfällt.
Den Fortbestand des Sonderopfers Soli hält die FDP-Fraktion für einen Verstoß gegen das Grundgesetz, da er als sogenannte Ergänzungsabgabe gegenüber der regulären Besteuerung Ausnahmecharakter besitze und dementsprechend nicht dauerhaft, sondern nur zur Deckung vorübergehender Bedarfsspitzen erhoben werden dürfe. Wörtlich heißt es in dem Gesetzentwurf: „Das ,Sonderopfer Soli' wurde mit der Finanzierungsnotwendigkeit der Vollendung der Deutschen Einheit begründet und dieses Ziel ist spätestens mit Auslaufen des Solidarpaktes II eindeutig erreicht worden.“
In der Begründung des Gesetzentwurfs wird unter anderen auf eine Stellungnahme des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, hingewiesen, der erklärt habe, das Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 sei mit dem Ende des Solidarpaktes II nicht mehr zu rechtfertigen. Die FDP-Fraktion zitiert Papier: „Ab diesem Zeitpunkt ist das Gesetz mit dem Grundgesetz nicht mehr vereinbar.“ Das würde auch dann gelten, wenn es zu einem schrittweisen Abbau der Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer käme. Die Voraussetzungen für die Erhebung des Solidaritätszuschlags insgesamt entfielen ab dem vorgenannten Zeitpunkt. Daher habe Papier der Bundesregierung empfohlen, selbst den Eintritt eines verfassungswidrigen Zustands zu vermeiden und das Gesetz mit Wirkung zum 1. Januar 2020 aufzuheben. (pst/hle/24.10.2019)