Rehabilitierungsvorschriften für SED-Opfer sollen verbessert werden
Über die Notwendigkeit der Verbesserung der Rehabilitierungsmöglichkeiten für Opfer politischer Verfolgung in der DDR besteht über alle Fraktionen hinweg Einigkeit. In der Debatte über einen entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/10817) am Freitag, 28. Juni 2019, wurde allerdings auch deutlich, dass die Vorlage im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens über die vorgesehenen Änderungen wie eine Entfristung hinaus auf weitere Opfergruppen und Betroffenen ausgedehnt werden könnte. Zur Diskussion standen auch ein Antrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD (19/11091) sowie drei Anträge von Bündnis 90/Die Grünen (19/8981, 19/8982, 19/8983).
Ministerium: Es gibt weiterhin Bedarf
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium Christian Lange (SPD) sagte eingangs der Debatte, mit dem Gesetz werde eine Koalitionsvereinbarung umgesetzt. Die Hoffnung, die Rehabilitierung innerhalb eines bestimmten Zeitraum abzuschließen und die Aufarbeitung zu beenden, habe sich nicht erfüllt. Es gebe weiterhin Bedarf.
Den vielen Betroffenen, die erst spät den Mut finden, über das Durchlebte zu reden, dürfe nicht die Möglichkeit genommen werden, ihr Recht durchzusetzen. Das diesjährige 30-jährige Jubiläum der friedlichen Revolution in der DDR sei Anlass, der Opfer des SED-Unrechtsregimes zu gedenken. „Ihnen gebührt unser aller Anerkennung“, sagte Lange.
CDU/CSU: Geschädigte nicht durch Fristen unter Druck setzen
Arnold Vaatz (CDU/CSU) sagte, staatlich verursachtes Unrecht lasse sich niemals gänzlich heilen. Man könne jedoch versuchen, so viel Heilung wie möglich zu verschaffen. Der Gesetzgeber habe die Verantwortung, den Betroffenen die Rehabilitierung zu erleichtern. Besser wäre allerdings gewesen, wenn man von Anfang an auf eine Befristung verzichtet hätte, sagte Vaatz.
Es sei unangemessen, die Geschädigten immerfort durch Fristen unter Druck zu setzen. Das Beispiel der Leiden der Heimkinder als neue Dimension des DDR-Unrechts zeige, dass immer neue Sachverhalte es erforderlich machten, die Rehabilitierungspraxis ständig zu überprüfen. Das Gesetz sei auch noch nicht vollständig, sagte Vaatz und verwies auf die Verfolgung von Schülern und auf Zwangsadoptionen. Den damit verbundenen Fragen müsse man auf den Grund gehen.
SPD: Betroffenen Kinder ihre Identität zurückgeben
Dem schloss sich Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) an. Dieser Teil der Geschichte müsse aufgearbeitet und der Gerechtigkeit zugeführt werden. Den betroffenen Kindern müsse ihre Identität zurückgegeben werden.
Dies soll Vaatz und Brunner zufolge mithilfe von Datenbanken und Vermittlungsstellen geschehen. Das geschehene Unrecht könne nicht beseitigt werden, aber die Folgen des Unrechts könnten gemildert werden, sagte Brunner.
AfD: Andere Einkünfte bei Entschädigungen nicht anrechnen
Auch die AfD begrüßte die Entfristung. Der Antrag sei die einzig richtige Lösung, sagte der Abgeordnete Detlev Spangenberg. Er sprach sich jedoch dafür aus, alle Entschädigungszahlungen ohne Anrechnung anderer Einkünfte auszureichen. Eine von den Grünen beabsichtigte Angleichung von Haftzeiten und beruflicher Benachteiligung sei nicht zu vermitteln.
Kritisch sieht die AfD auch eine aus ihrer Sicht erhebliche Ungleichbehandlung zweier Opfergruppen. Es sei ein Problem, dass Rehabilitierungsanträge strafrechtlich Verurteilter bei fehlenden Nachweisen abgelehnt würden, während bei Heimkindern von Nachweisen abgesehen werden könne.
FDP: Entfristung der Gesetz moralisch geboten
Dr. Jürgen Martens (FDP) sagte, der Rechtsstaat mühe sich, die Folgen des in der DDR erlittenen Unrechts zu mildern, wiedergutmachen könne er es nicht. Schäden seien schnell angerichtet, eine Aufarbeitung dauere viel länger. Es kämen immer noch neue Aspekte des Unrechts in der DDR in das öffentliche Bewusstsein, sagte Martens. Die Entfristung der Rehabilitierungsgesetze sei daher zwingend erforderlich und moralisch geboten. Es dürfe keinen bürokratischen Schlussstrich geben.
Der AfD warf Martens Zynismus vor. Es sei unredlich, Menschen, die damals kleine Kinder waren, die Beweislast für die Umstände ihrer Adoption oder Heimunterbringung aufzubürden.
Linke: Lebensumstände der Betroffenen verbessern
Für Die Linke begrüßte Friedrich Straetmanns den Entwurf. Seine Fraktion werde das Gesetzgebungsverfahren positiv-konstruktiv begleiten, sagte er. Auch seiner Fraktion gehe es darum , den Geschädigten weiterhin die Möglichkeit zu erhalten, ihre Ansprüche geltend zu machen.
In der weiteren Beratung des Entwurfs müsse es auch darum gehen, was man für zu Unrecht benachteiligte Menschen über den Kreis der im Gesetz vorgesehen Antragsteller hinaus tun könne. Dazu zählten Menschen, die wegen der Einstellung ihrer Eltern in ihrer Berufswahlfreiheit eingeschränkt wurden. Im Entwurf fehlten auch die Zwangsausgesiedelten an der innerdeutschen Grenze. Darüber hinaus seien Maßnahmen erforderlich, um die Lebensumstände der Betroffenen zu verbessern.
Grüne: Es gibt Gerechtigkeitslücken
Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen) fragte, ob wirklich genug getan werde, um das SED-Unrecht wiedergutzumachen. Bei den Rehabilitierungsgesetzen gebe es Gerechtigkeitslücken. Die Grünen sähen sich in der Tradition der DDR-Bürgerrechtsbewegung und sähen die Notwendigkeit, bei dem Gesetz auf Bundesebene noch nachzusteuern.
Mit ihren Anträgen empfehle die Fraktion, die Vorschläge des Bundesrates zum Thema Rehabilitierung zu prüfen und mit einzubeziehen. Dabei gehe es um die Entfristung, um die Verbesserung der Rechtsstellung der anerkannten politisch Verfolgten und um die DDR-Heimkinder. Die Bundesratsentwürfe seien von den Ländern initiiert worden, in denen die Grünen an der Regierung beteiligt sind, und einstimmig angenommen worden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sehe zwar eine Entfristung und Verbesserungen für DDR-Heimkinder vor, andere Anliegen würden jedoch nicht berücksichtigt.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Der Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR (19/10817) sieht eine Entfristung des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes, des beruflichen Rehabilitierungsgesetzes und des verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes vor, bei denen eine Antragstellung teilweise nur noch bis Ende dieses Jahres möglich ist. Die Zahl der Antragseingänge zeige jedoch, dass die Rehabilitierung von Opfern politischer Verfolgung in der DDR noch nicht abgeschlossen ist, heißt es in dem Entwurf. Auch beinahe drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung und dem Ende des SED-Unrechtsregimes führten Betroffene noch Rehabilitierungsverfahren.
Zudem soll die Rehabilitierung von zu DDR-Zeiten in Heimen untergebrachten Kindern und Jugendlichen vereinfacht werden. Damit wird ein Anliegen der Bundesländer aufgegriffen. Dem Entwurf zufolge können bei einer groben Schätzung durch das Gesetz für den Bund und die Länder in den Jahren 2020 bis 2024 jährliche Mehrausgaben in Höhe von 3,0 bis 4,8 Millionen Euro beziehungsweise 1,3 bis 1,9 Millionen Euro entstehen.
Breite Mehrheit für Koalitionsantrag
Für den Antrag von CDU/CSU und SPD zur Aufarbeitung der Zwangsadoption in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR von 1945 bis 1989 (19/11091) stimmte das Plenum mit breiter Mehrheit bei Enthaltung der FDP. Die Bundesregierung wird damit unter anderem aufgefordert, das Leid der Betroffenen von Zwangsadoptionen in der ehemaligen SBZ/DDR als politische Opfer anzuerkennen. Dafür sei es erforderlich, auf den Forschungsarbeiten aufsetzend eine aussagekräftige und vor allem realitätsnahe Definition des Begriffs der Zwangsadoption zu schaffen.
Gefordert wird darüber hinaus, eine zentrale Vermittlungsstelle auf Bundesebene einzurichten. Leibliche Eltern und mögliche zwangsadoptierte Kinder sollten sich an diese Stelle wenden können. Vorbild dafür ist die 1993 beim Berliner Senat gebildete Clearingstelle sein. Die Aufgabenbestimmung der Vermittlungsstelle verlange nach einer sachgerechten Bestimmung der zu untersuchenden Fälle, heißt es in dem Antrag.
Anträge der Grünen überwiesen
Darüber hinaus erstmals beraten wurden drei Anträge von Bündnis 90/Die Grünen, mit denen sich die Fraktion unter anderem für eine Entfristung der Rehabilitierung (19/8981), eine bessere soziale Lage anerkannter politisch Verfolgter (19/8982) sowie eine einfachere Rehabilitierung von ehemaligen Heimkindern in der DDR (19/8983) stark macht.
Die Vorlagen wurden an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zur weiteren Federführung überwiesen.
Erster Antrag der Grünen
Die Aufhebung der Antragsfristen in den Gesetzen zur Rehabilitierung von Opfern politischer Verfolgung der SED-Diktatur schaffen, ist die zentrale Forderung auch eines Antrags der Grünen (19/8981). Hintergrund ist dem Antrag zufolge, dass weder die Bundesregierung noch die sie tragende CDU/CSU/SPD-Koalition bisher der Bitte des Bundesrates zur Entfristung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze nachgekommen seien. Insbesondere sei bisher kein entsprechender Gesetzentwurf erarbeitet und vorgelegt worden.
Da die erste Befristung in den Gesetzen bereits Ende 2019 auslaufe, sei nunmehr Eile geboten, schreiben die Abgeordneten. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass durch den rein formal begründeten Ausschluss an sich berechtigter Ansprüche ein gesellschaftspolitisch in hohem Maße relevantes Problem legislativ gewissermaßen „unter den Teppich“ gekehrt wird.
Zweiter Antrag der Grünen
Die Verbesserung der sozialen Lage anerkannter politisch Verfolgter durch die Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze ist Thema eines zweiten Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/8982). Darin heißt es unter anderem, Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung zeige sich, dass nicht alle von politischer Verfolgung in der DDR Betroffenen gleichermaßen und in ausreichendem Umfang von den sozialen und finanziellen Ausgleichsleistungen in Folge ihrer Rehabilitierung profitieren.
Die in den 1990er-Jahren verabschiedeten Rehabilitierungsgesetze bedürften daher einer Anpassung und Weiterentwicklung. Der Bundesrat habe dieses Anliegen an die Bundesregierung herangetragen. Der Bundestag solle die Bundesregierung daher auffordern zu prüfen, welcher gesetzgeberische Handlungsbedarf infolge möglicher Gerechtigkeitslücken besteht.
Dritter Antrag der Grünen
Außerdem fordert die Fraktion in ihrem dritten Antrag (19/8983), die Rehabilitation von ehemaligen Heimkindern in der DDR zu verbessern müsse verbessert werde. Dazu solle die Bundesregierung sich entweder einen Gesetzentwurf des Bundesrates zu eigen zu machen und zur Abstimmung zu stellen oder schnellstmöglich einen entsprechenden eigenen Gesetzentwurf vorzulegen.
In dem Antrag heißt es, der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes sei bisher vom Bundestag nicht behandelt worden. Ein eigener Entwurf der Bundesregierung liege ebenfalls nicht vor. Das Anliegen bedürfe allerdings dringend einer Neuregelung. Die gegenwärtige Rechtslage für ehemalige Heimkinder in der DDR sei unbefriedigend. (mwo/28.06.2019)