Reform der beruflichen Bildung: Opposition will mehr
Die berufliche Bildung soll attraktiver werden - darin ist man sich im Deutschen Bundestag einig. Doch das entsprechende Gesetz zur Stärkung der beruflichen Bildung der Regierung (19/10815) sorgte bei der ersten Lesung am Donnerstag, 27. Juni 2019, für Kritik insbesondere der Opposition. Teil der Debatte war darüber hinaus der Berufsbildungsbericht 2019 (19/9515). Gegenstand der Debatte waren zudem zahlreiche Vorlagen der Oppositionsfraktionen, die im Anschluss ebenso wie der Gesetzentwurf zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung überwiesen wurden.
Ministerin: Mindestausbildungsvergütung für Azubis
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) will die berufliche Bildung modernisieren und attraktiver machen, dieses Vorhaben stelle sie den Abgeordneten vor. Trotz des Reformbedarfs habe man ein gutes System: Es gebe viele „Dinge, um die uns die Welt beneidet – eines davon ist unsere duale Berufsausbildung“. Sie habe „großen Anteil an der wirtschaftlichen Kraft unseres Landes.“ In den letzten Jahren habe man sich in Deutschland vor allem um die akademische Bildung gekümmert, nun gebe man der beruflichen Bildung „den Stellenwert, der ihr wirklich zusteht.“
So soll es künftig etwa eine Mindestausbildungsvergütung für Auszubildende und die eigenständige Abschlussbezeichnungen „Geprüfter Berufsspezialist“, „Bachelor Professional“ und „Master Professional“ geben. Hier werde „schon an der Sprache deutlich“, so Karliczek, dass die berufliche Bildung „vergleichbar im Wert mit der Ausbildung an den Universitäten“ sei.
AfD kritisiert Pseudoakademisierung
Grundsätzlich begrüßen die Fraktion den Plan, die berufliche Bildung zu stärken. Es brauche mehr „Meister und weniger gescheiterte Master“, sagte der AfD-Abgeordnete Dr. Götz Frömming.
Allerdings könne die geplante Mindestvergütung für Auszubildende dazu führen, dass insbesondere Unternehmen in Ostdeutschland überfordert sein könnten und deshalb weniger ausbilden würden. Die neuen Abschlussbezeichnungen seien „anmaßend und albern“ und Zeichen einer „Pseudoakademisierung“.
SPD sieht noch Nachbesserungsbedarf
Yasmin Fahimi (SPD) betonte, dass es noch Nachbesserungsbedarf gebe: So müssten sich die Bedingungen für Azubis und Ausbilder etwa bei den Freistellungsansprüchen deutlich verbessern.
Für die rund zwei Millionen jungen Erwachsenen in Deutschland ohne Abschluss müsse es einen besseren Einstieg in Betriebe und Ausbildung geben. Zudem solle das duale Studium eine „geschützte Marke“ sein und nicht mehr wie heute höchst unterschiedlich ausgestaltet werden.
FDP fordert Ausweitung des Erasmus-Programms
Für die Liberalen forderte Dr. Jens Brandenburg (FDP) eine Exzellenzinitiative für die berufliche Bildung - so solle es etwa eine Ausweitung des Erasmus-Programms auf die berufliche Bildung, flächendeckende digitale Lernangebote und Aufstiegschancen für jeden, etwa durch Teilqualifizierung geben.
Die neuen Abschlussbezeichnungen seien hingegen „Etikettenschwindel“.
Linke ist unzufrieden mit derzeitigem Schulsystem
Birke Bull-Bischoff (Die Linke) stellte erhebliche Probleme fest: So seien 2.1 Millionen junge Erwachsene ohne beruflichen Abschluss, 270.000 würde eine mangelnde Ausbildungsreife attestiert. 24.000 junge Menschen würden keinen Ausbildungsplatz finden; dies seien erhebliche Risiken dafür, dass sie später in prekärer Beschäftigung mit schlechter Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen landen würden.
Das derzeitige Schulsystem sei ein „Brandbeschleuniger sozialer Ungleichheit“ - es müsse für alle einen Anspruch auf berufliche Bildung und deutlich mehr Unterstützung und Assistenz für junge Menschen und Unternehmen geben.
Grüne: Nur gekleckert, nicht geklotzt
Die Abgeordnete Beate Walter-Rosenheimer (Bündnis 90/Die Grünen) sagte in ihrer Rede, die Ministerin habe da ein „bisschen gekleckert“, wo sie hätte „klotzen“ müssen.
Sie habe nichts zu den Gesundheits- und Pflegeberufen vorgelegt, in denen es den dringendsten Fachkräftebedarf gebe und auch nichts zum Thema Inklusion in der beruflichen Bildung gesagt. Für junge Menschen in Warteschleifen müsse es eine Ausbildungsgarantie geben, zudem müsse die Mindestausbildungsvergütung höher sein.
CDU/CSU lobt Einigung unter den Tarifpartnern
Für die Union stellte Stephan Albani (CDU/CSU) fest, bei der Mindestausbildungsvergütung sei es gut, dass sich die Tarifpartner geeinigt hätten, ohne dass die Politik Vorgaben habe machen müssen.
Der „Aufschrei“ hinsichtlich der Abschlussbezeichnungen sei nicht nachvollziehbar, hier würden vergleichbare Bezeichnungen geschaffen im Sinne einer übergeordneten Ordnung.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Vorrangiges Ziel der Novelle sei die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität der dualen beruflichen Bildung bei potenziellen Auszubildenden und Betrieben gleichermaßen, schreibt die Bundesregierung im Entwurf. „War eine duale Berufsausbildung über Jahrzehnte die häufigste Qualifizierungswahl, so haben hochschulische Angebote sie mittlerweile überholt. Dieser Trend führt neben der allgemeinen demographischen Entwicklung zu einem sich weiter verstärkenden Mangel an beruflich qualifizierten Fachkräften“, heißt es dort weiter.
Um die berufliche Ausbildung zu modernisieren und zu stärken, plant die Bundesregierung unter anderem die Einführung einer Mindestausbildungsvergütung für Auszubildende, die Weiterentwicklung der „höherqualifizierenden“ Berufsbildung mit transparenten beruflichen Fortbildungsstufen und mit eigenständigen und attraktiven Abschlussbezeichnungen sowie die Verbesserung der Durchlässigkeit auch innerhalb der beruflichen Bildung.
Berufsbildungsbericht 2019
Insgesamt zieht die Bundesregierung in ihrem aktuellen Berufsbildungsbericht eine positive Bilanz der Lage der beruflichen Bildung in Deutschland. Der Berufsbildungsbericht beschreibt die Lage auf dem Ausbildungsmarkt für das Ausbildungsjahr 2017/2018 und dokumentiert die aktuellen Herausforderungen für die berufliche Bildung in der Bundesrepublik.
So sei die Zahl der Anfänger unter den Auszubildenden um 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen und liege nun bei 722.700 Auszubildenden. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge habe sich im Vergleich zum Vorjahr ebenfalls erhöht und liege nun bei 531.400, so der Bericht. Insbesondere die positive Entwicklung der betrieblichen Angebote trage zu diesem Anstieg bei. Hundert Ausbildungssuchenden stehen 106 Ausbildungsangebote gegenüber. Diese Zahlen würden den positiven Trend der Vorjahre fortsetzen.
Mehr betriebliche Ausbildungsplätze
Auch die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplatzangebote ist dem Bericht zufolge um rund 17.800 gestiegen. Der Anstieg bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen sowie das gestiegene Ausbildungsinteresse seien in erster Linie auf die höhere Ausbildungsbeteiligung von Menschen mit Fluchthintergrund zurückzuführen, schreibt die Bundesregierung.
Eine große Herausforderung bleibe aber die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage. 2018 sei die Zahl der unbesetzt gebliebenen betrieblichen Ausbildungsstellen weiter auf knapp 57.700 gestiegen.
Zugleich habe sich auch die Zahl der unversorgten Bewerberinnen und Bewerber auf etwa 24.500 erhöht. Hinzu kommen laut Bundesregierung 54.100 junge Menschen, die trotz einer Alternative zur Ausbildung ihren Vermittlungswunsch weiter aufrechterhalten. An dieser Stelle zeige sich die Notwendigkeit einer intensiveren beruflichen Orientierung und Berufsberatung. Jungen Menschen könnten dadurch auch beispielsweise weniger bekannte Alternativen zum Wunschberuf aufgezeigt werden, die ihrer Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit entsprechen, heißt es im Bericht.
Initiativen der Opposition
Ebenfalls erstmals beraten wurden Anträge der FDP-Fraktion mit den Titeln „Exzellenzinitiative Berufliche Bildung – Ein Update für die Aus- und Weiterbildung in der neuen Arbeitswelt“ (19/11106) und „Innovationsinitiative Handwerk – Attraktiver, progressiver, zukunftsfester“ (19/11119). Gegenstand der Debatte waren ferner ein Antrag der Linken mit dem Titel „Berufsbildungsgesetz zum Berufsbildungsqualitätsgesetz ausbauen“ (19/10757) und ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, die berufliche Bildung zu modernisieren und das Recht auf Ausbildung umzusetzen (19/10219). Auch die AfD hatte einen Antrag mit dem Titel „Berufliche Bildung stärken - Keinen zurücklassen“ (19/11154) zur Beratung vorgelegt.
Erster Antrag der FDP
Die FDP fordert in ihrem ersten Antrag (19/11106) unter anderem die Gründung eines Zentrums für digitale Berufsbildung, das am Bundesinstitut für Berufsbildung angesiedelt werden könnte. Aufgabe dieses Zentrums sei die Beratung von Berufsschulen und ausbildenden Betrieben in der Konzeption und Umsetzung digitaler Ausbildungsangebote – vom zielgerichteten Einsatz digitaler Lernmittel über die Vermittlung von Medienkompetenz bis hin zur Konzeption neuer Ausbildungsmodule einer digitalisierten Arbeitswelt.
Darüber hinaus regt die FDP einen bundesweiten Wettbewerb für Berufsschulen, Betriebe, Kammern und weitere Akteure der beruflichen Bildung an. Die besten Projekte mit innovativen und gleichermaßen praxistauglichen Ideen sollten ausgezeichnet und umfassend gefördert werden, so die Liberalen.
Zweiter Antrag der FDP
In ihrem zweiten Antrag (19/11119) wird die Bundesregierung aufgefordert, bestehende Förderprogramme, die derzeit nicht speziell auf das Handwerk ausgerichtet sind, deutlich stärker auf das Handwerk auszurichten, damit sowohl die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe als auch die Attraktivität der Branche ansteigt. Hierfür solle der Bund vor allem auf die Handwerkskammern und Fachverbände des Handwerks, die Länder und die Kommunen, zugehen, um einen reibungslosen Ablauf der Förderprogramme zu ermöglichen.
Zugleich sollen die Kompetenzen der zuständigen Ministerien, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), in einer Koordinationsgruppe der zuständigen Staatssekretäre gebündelt werden. Ebenso will die Fraktion die Nutzung neuer Technologien in Handwerksbetrieben erhöhen.
Antrag der Linken
Die Linke will in ihrem Antrag (19/10757), dass im Berufsbildungsgesetz (BBiG) klare und belastbare Standards zur Qualitätssicherung der Ausbildung festgeschrieben werden. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen würden sich aus Tarifvereinbarungen zurückziehen, um an der Ausbildungsvergütung sparen zu können. Daher bedürfe es im BBiG neben der Verankerung einer Mindestausbildungsvergütung einer Klarstellung, dass der Ausbildungsträger für alle Lernmittelkosten für alle Lernorte sowie die Fahrt- und Unterbringungskosten, die für die Ausbildung notwendig sind, aufkommen soll.
Das BBiG solle außerdem auf alle Praxisphasen dualer Studiengänge erweitert werden. Duale Studenten in praxisintegrierten Studiengängen müssten die gleichen Rechte haben wie dual Auszubildende. Die Linke fordert zudem, dass im Zuge der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes eine Mindestausbildungsvergütung gesetzlich festgelegt werden muss, die einheitlich bei 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütungen aller Branchen des jeweiligen Ausbildungsjahres liegen soll.
Antrag der Grünen
Die Grünen machen sich darin unter anderem für eine Ausbildungsstrategie stark, die allen jungen Menschen, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden, einen direkten Einstieg in eine vollqualifizierende überbetriebliche Ausbildung ermöglicht (19/10219).
Statt des Maßnahmendschungels am Übergang Schule-Beruf sollen geregelte und transparente Wege in Ausbildung, eine Aufstiegsleiter zum Ausbildungserfolg geschaffen werden. Zudem solle die Mindestausbildungsvergütung so gestaltet werden, dass allen Auszubildenden grundsätzlich ein eigenständiges Leben möglich wird. Damit Auszubildende im Betrieb nicht schlechter gestellt werden als Auszubildende in vollzeitschulischen Ausbildungen, soll diese bei mindestens 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Vergütungen liegen.
Antrag der AfD
Die AfD- Fraktion fordert in ihrem Antrag (19/11154) eine Reform der beruflichen Bildung, die auf einem System abgrenzbarer Ausbildungsabschnitte der beruflichen Aus-, Weiter- und Fortbildung basiert, in dem die in zweijähriger und drei- bis dreieinhalbjähriger Berufsausbildung vermittelten Basisberufe ebenso einen Platz haben wie Maßnahmen im Übergangsbereich.
Ein solches System gebe besonders befähigten Jugendlichen die Chance, eine ihrem Leistungsvermögen adäquate weiterführende Qualifikation zu erreichen, indem sie in einer fortgeschrittenen Ausbildungsphase hochqualifizierende Ausbildungsabschnitte absolvieren könne. Die Entwicklung neuer und die Modernisierung bestehender Berufe will die Fraktion künftig an einer Ausbildung mit abgrenzbaren Ausbildungsabschnitten ausrichten. Jeder Ausbildungsabschnitt ermögliche die Anrechnung als Ausbildungsteilleistung.(suk/rol/sas/27.06.2019)