Im Grundsatz hat der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus die Zustimmung der meisten Fachleute gefunden. Allerdings gab es im Detail zahlreiche Änderungsvorschläge. Von einer Seite wurde das Vorhaben auch aus verfassungsrechtlichen Gründen kritisiert. Dies ergab eine öffentliche Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie unter dem Vorsitz von Klaus Ernst (Die Linke) am Mittwoch, 20. Februar 2019.
„Trotz großer Anstrengungen von Bund, Ländern, Kommunen und Netzbetreibern hinkt der Netzausbau den bisherigen Planungen hinterher“, heißt es in dem Gesetzentwurf (19/7375, 19/7914). Ein wesentlicher Grund hierfür seien die langen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Deshalb soll jetzt das „Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz“ (NABEG) novelliert werden. Vorgeschlagen werden zudem Änderungen in weiteren Gesetzen wie dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Dabei gehe es in erster Linie um die Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Neubau, Verstärkung und Optimierung von Stromleitungen. „Wichtigster Ansatzpunkt“ sei dabei „die bessere Verzahnung der verschiedenen Planungsschritte“.
„Beschleunigter Ausbau der Stromnetze unverzichtbar“
Für Dr. Martin Grundmann von der ARGE Netz ist der beschleunigte Ausbau der Stromnetze auf allen Spannungsebenen „unverzichtbar – aber eben nicht die einzige Option, den Strom aus erneuerbaren Energien nutzbar zu machen“. Vielmehr sei es notwendig, den erzeugten regenerativen Strom „vor Ort wirtschaftlich sinnvoll zu nutzen“. Dies sei bei Engpässen im Netz sinnvoller als „abzuregeln“. Er verwies auf Technologien, mittels derer der Strom vor Engpässen in andere Energieträger und Energieformen umgewandelt wird, „sodass die Sektoren Wärme und Mobilität dekarbonisiert werden“.
Matthias Otte von der Bundesnetzagentur befand, der Gesetzentwurf könne „insbesondere für neu hinzukommende und noch nicht begonnene Vorhaben des Bundesbedarfsplangesetzes (BBPlG) einen wichtigen Beitrag zur Beschleunigung des Ausbaus der Übertragungsnetze leisten“. Wichtig sei die Möglichkeit, künftig in bestimmten Fällen auf die „Bundesfachplanung“ zu verzichten. Bisher sei das für Vorhaben in der Zuständigkeit der Bundesnetzagentur nicht möglich. Überdies bedeute eine klarstellende Regelung für Entschädigungszahlungen an Grundstückseigentümer einen Beitrag zur Verfahrensbeschleunigung.
„Aufwendige umweltrechtliche Prüfungen“
Prof. Dr. Norbert Wimmer nannte die umweltrechtlichen Prüfungen „ungeheuer aufwendig“. Er sah hier Möglichkeiten zur Beschleunigung, ohne Umweltstandards abzusenken. So empfahl er die Einrichtung einer Artenschutz-Datenbank, um die Vorgaben schneller auffinden zu können. Die Daten müssten nicht immer neu erfasst, sondern nur noch aktualisiert werden. Außerdem empfahl er Handreichungen für die Prüfungen, um die Abarbeitung zu erleichtern. Seine Bewertung des Gesetzentwurfs: „Auch Gutes kann man sicherlich noch besser gestalten.“
Prof. Dr. Sabine Schlacke (Institut für Umwelt- und Planungsrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster) lenkte den Blick darauf, dass der Gesetzentwurf eine „neuartige Flexibilisierung und Beschleunigung der Zulassung von Erdkabelvorhaben durch eine sogenannte vorausschauende Planung“ vorsehe. Im Kern beinhalte dies die Verlegung von zusätzlichen Leerrohren, in die zu einem späteren Zeitpunkt Erdkabel eingezogen werden können. Ihre Feststellung: „Verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber den vorgeschlagenen Regelungen zur vorausschauenden Planung bestehen nicht.“ Der vorgesehene Verzicht auf die Bundesfachplanung, die erst 2011 „erfunden“ worden sei, verkürze den Schutz von menschlicher Gesundheit und Umwelt nicht.
„Größere Rolle der Verteilnetzbetreiber“
Michael Wübbels (Verband kommunaler Unternehmen) begrüßte grundsätzlich, dass Verteilnetzbetreiber mit dem in dem Gesetzentwurf geplanten Änderungen „eine größere Rolle bei der Gewährleistung der Systemstabilität und der Netzsicherheit zukommt“. Er verwies darauf, dass alle Kosten, die Verteilnetzbetreibern bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben bezogen auf das Gesetz zusätzlich entstehen, regulatorisch anerkannt und die Netzentgelte weitergereicht werden müssten.
Der Rechtsanwalt Dieter Posch meinte, ein erheblicher Beschleunigungseffekt würde alleine dadurch erreicht werden, dass ein förmliches Verfahren entfällt: „Doppelprüfungen zum Beispiel in Verbindung mit der Berücksichtigung von Vegetationsphasen und entsprechenden Gutachten für die Bundesfachplanung und der nachfolgenden Planfeststellung würden entbehrlich werden.“ Der am stärksten umstrittenste Aspekt sei stets der exakte Verlauf der Trasse. Planungsrechtlich stelle sich die Frage nach Alternativen. Doch entsprechende Untersuchungen seien sehr zeitaufwendig.
„Rohrkrepierer für die Akzeptanz der Projekte“
Der Rechtsanwalt Wolfgang Baumann vertrat die Auffassung, der Gesetzentwurf zeige, dass die Beschleunigung von Infrastrukturprojekten „stets mit der Reduzierung von Rechtsschutz, der Reduzierung von Informationsbereitstellung gegenüber der Öffentlichkeit und einer Absenkung des Umweltschutzniveaus“ einhergingen. Sein Befund: „Diese Entwicklung ist aus verschiedenen rechtlichen, unter anderem auch verfassungsrechtlichen Gründen als kritisch anzusehen.“ Deshalb sei der Gesetzentwurf in der vorgeschlagenen Form und Ausgestaltung abzulehnen. Das Vorhaben werde ein „Rohrkrepierer für die Akzeptanz der Projekte“. Der Widerstand werde wachsen. Die Verkürzung von Rechten werde nicht zu einer Beschleunigung beitragen.
Dr. Stefanie Ropenus (Agora Energiewende) hob an dem Gesetzentwurf unter anderem als besonders positiv hervor, dass die Einbeziehung von Leerrohren in das Planfeststellungsverfahren eine vorausschauende Netzplanung über Zeithorizont von 2030 hinaus erlaube. Zudem könne die systematische Erfassung von Netzausbauhemmnissen, Verzögerungsrisiken und Abhilfemaßnahmen die praktische Umsetzung beschleunigen.
Einfachere Genehmigungsverfahren
Der Gesetzentwurf zielt auf die Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Neubau, Verstärkung und Optimierung von Stromleitungen. Trotz dieser Beschleunigungen soll laut Entwurf die Öffentlichkeit auch künftig noch frühzeitig und umfassend eingebunden werden. „Von der Netzentwicklungsplanung bis zur Planfeststellung können sich die betroffenen Bürgerinnen und Bürger weiterhin mit ihren Belangen einbringen“, heißt es im Gesetzentwurf.
Alle privaten und öffentlichen Belange würden an geeigneter Stelle geprüft und abgewogen. Auch die inhaltlichen Kriterien, die für die Zulassung der Stromleitungen geprüft werden, würden nicht geändert. „Das hohe Schutz- und Vorsorgeniveau, etwa im Hinblick auf elektrische und magnetische Felder, bleibt daher unverändert erhalten“, heißt es weiter dazu im Regierungsentwurf.
Einheitliche Entschädigungen
Zur Beschleunigung des Netzausbaus sollen außerdem die Entschädigungen für vom Netzausbau betroffene Grundeigentümer bundesweit vereinheitlicht und verrechtlicht werden. Weitere Regelungen mit Bezug zu Stromnetzen – insbesondere die Schaffung eines einheitlichen Regimes zur Redispatch-Optimierung – sind geplant.
Das Instrument des sogenannten Redispatchs hilft, Engpässe im Übertragungsnetz zu beseitigen und einen einheitlichen Netzzugang zu gewährleisten. Konkret werden dabei Kraftwerke vom Übertragungsnetzbetreiber angewiesen, ihre Einspeiseleistung „vor“ einem Engpass abzusenken, während zugleich andere Kraftwerke angewiesen werden, ihre Einspeiseleistung „hinter“ dem Engpass zu erhöhen. (fla/vom/21.02.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Dr. Martin Grundmann, ARGE Netz GmbH & Co. KG
- Matthias Otte, Bundesnetzagentur
- Prof. Dr. Norbert Wimmer, White & Case LLP
- Prof. Dr. Sabine Schlacke, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Institut für Umwelt- und Planungsrecht
- Michael Wübbels, Verband kommunaler Unternehmen e. V. (VKU)
- Dieter Posch, Posch Rechtsanwälte
- Wolfgang Baumann, Baumann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
- Dr. Stephanie Ropenus, Agora Energiewende