Die aktuelle Befassung des Bundestages mit Maßnahmen gegen die stark zunehmende Wohnungs- und Obdachlosigkeit ist von Sachverständigen einhellig begrüßt worden. Das zeigte sich bei einer Anhörung des Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen unter der Leitung von Mechthild Heil und Volkmar Vogel (beide CDU/CSU) am Mittwoch, 20. März 2019. Die Experten beurteilten Oppositionsvorschläge zur Behebung der Probleme positiv, wenn auch nicht immer ausreichend.
Bonitätsauskünfte und Vorvermieterbescheinigungen
Einer der zentralen Punkte: Fristlose Kündigungen wegen Mietschulden könnten durch Zahlung der Rückstände „geheilt“ werden, die oft zeitgleich ausgesprochene fristgerechte Kündigung eben wegen der ausstehenden Miete aber nicht. Job-Center lehnten die Übernahme von Mietkosten zur Abwendung der außerordentlichen Kündigung bisweilen ab – mit dem Hinweis, dass ja ohnehin die ordentliche Kündigung anstehe.
Darauf wies unter anderem Prof. Dr. Volker Busch-Geertsema (Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung) hin. Er sprach auch spezifische Barrieren an, die Wohnungslosen selbst in entspannten Wohnungsmärkten den Zugang zu normalem Wohnraum extrem verschärften – etwa Bonitätsauskünfte oder Vorvermieterbescheinigungen. Die Betroffenen müssten gezielt Zugänge zur Normalmietverhältnissen erhalten, zudem – bei Bedarf – mit wohnbegleitender Hilfe. Beides werde in Finnland als einzigem Land in der EU praktiziert. Dort sei eine kontinuierliche Reduzierung der Zahl der Wohnungslosen erreicht worden.
Für eine bundeseinheitliche Statistik
Lars Andre Ehm vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen beschrieb die Vorreiterrolle seines Hauses bei der Erstellung einer Wohnungslosenstatistik. Sie ermögliche es, zielgerichtete Maßnahmen etwa für Frauen mit Kindern oder Betroffene aus Südosteuropa zu ergreifen. Die meisten Sachverständigen sprachen sich für eine solche bundeseinheitliche Statistik aus.
Dr. Birgit Fix vom Deutschen Caritasverband bezeichnete die angepeilte Wohngeldreform als „zu kurz gesprungen“. Das Wohngeld müsse dynamisiert werden, lautete die übereinstimmende Forderung. Fix beklagte, dass das Menschenrecht auf Wohnung nicht mehr allen gewährt werde. Sie machte sich stark für eine bundesweite Infrastruktur zur Hilfe auch schon bei drohender Wohnungslosigkeit – Fachstellen, Notversorgung, Beratungsangebote.
„Mehr Wohnungslose durch mehr anerkannte Asylbewerber“
Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) führte die Zunahme der Zahl von Wohnungslosen unter anderem auf eine nicht unerhebliche Zahl von anerkannten Asylbewerbern zurück, die noch in Gemeinschaftsunterkünften wohnten, da es in den Regionen an finanzierbaren Wohnungen fehle. Abhilfe hätte hier eine bundesweite begrenzte Wohnsitzauflage schaffen können, meinte er.
Zudem verwies er auf immer mehr Menschen aus dem EU-Ausland ohne Unterkunft. Dies liege auch daran, dass sie mit vermeintlich lukrativen Arbeitsangeboten angelockt worden seien. Er begrüßte die angekündigten Bemühungen der Bundesregierung, gezielte Maßnahmen gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch zu ergreifen.
„Vorrang für die Vermittlung von Wohnraum“
Sonja Rexhäuser von der Stadt Karlsruhe meinte, wenn Wohnungslosigkeit nicht verhindert werden könne, habe die Vermittlung von Wohnraum Vorrang vor einer ordnungsrechtlichen Unterbringung. Dies spare den Kommunen auch Kosten, beispielsweise im Vergleich mit der Unterbringung im Hotel. Sie hielt eine Erhöhung der Bundesförderung für den sozialen Wohnungsbau für dringend notwendig. Dadurch könne preiswerter Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten erhalten und neu gebaut werden.
Werena Rosenke (Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe) sah in einer Wohnungsnotfallstatistik auf Bundesebene auch den Nutzen, dass die Öffentlichkeit zu informiert und so die politische Dringlichkeit der Problematik aufgezeigt werde. Sie verwies auf die Möglichkeit, im Rahmen von Kooperationsverträgen zwischen Kommunen und Unternehmen der Wohnungswirtschaft Gewährleistungen vorzusehen, um die Vermietung von Wohnungen an Wohnungslose zu fördern.
„Jährlich 80.000 bis 100.000 neue Sozialwohnungen erforderlich“
Lukas Siebenkotten vom Deutschen Mieterbund (DMB) legte dar, dass in Deutschland jedes Jahr 80.000 bis 100.000 Sozialwohnungen gebaut werden müssten, um wenigstens die bisherige Anzahl halten zu können. Tatsächlich würden aber nur 26.000 gebaut. Die Maßnahmen, die die Bundesregierung beschlossen oder angekündigt habe, reichten mithin bei Weitem nicht aus oder hätten bisher jedenfalls nicht gegriffen. Er mahnte eine nationale Wohnungsbauoffensive an, an der sich alle drei staatlichen Ebenen in gleicher Weise beteiligen müssten.
Robert Veltmann (GEBEWO - Soziale Dienste - Berlin) gab sich überzeugt, der Bund könne mit Blick auf den Wohnungsbau, speziell auf die Wohnraumversorgung benachteiligter Bevölkerungsgruppen, und auch mit Blick auf die Sozialgesetzgebung „bessere und wirksamere Rahmenbedingungen setzen“.
Anträge der Linken und der Grünen
Die Linksfraktion schlägt in ihrem Antrag (19/7459) mit dem Titel „Wohnungs- und Obdachlosigkeit bekämpfen, Zwangsräumungen verhindern“ ein öffentliches Wohnungsbauprogramm im Umfang von zehn Milliarden Euro vor. Das Wohngeld solle regelmäßig und bedarfsgerecht angepasst, Leistungen für die Kosten der Unterkunft müssten deutlich erhöht und Sanktionen für sozial Schwache im Bereich der Wohnungspolitik gestrichen werden.
Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Antrag (19/7734) unter dem Titel „Menschenrecht auf Wohnen dauerhaft sicherstellen – Wohnungs- und Obdachlosigkeit konsequent bekämpfen“ ein nationales Aktionsprogramm, um bis 2030 Obdachlosigkeit in Deutschland zu beseitigen und ihre Entstehung zu vermeiden. Neben dem Ausbau der Daten- und Forschungsgrundlage geht es um mehr Geld, mehr sozialen Wohnungsbau und die Wiedereinführung von Gemeinnützigkeit im Wohnungsbaubereich. (fla/20.03.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen