Für eine bessere Betreuung von Kindern geschiedener Eltern, aber gegen eine Festlegung auf das sogenannte Wechselmodell, hat sich die Mehrheit der Sachverständigen am Mittwoch, 13. Februar 2019, in einer Anhörung im Rechtsausschuss zu Anträgen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke ausgesprochen. Während die FDP (19/1175) das familienrechtliche Wechselmodell als Regelfall einführen will, ist Die Linke (19/1172) gegen eine Festschreibung des Modells, bei dem die Kinder von beiden Elternteilen im Wechsel zeitlich annähernd gleich lang betreut werden, fordert aber eine Neuregelung des Unterhalts. Der FDP-Antrag war vor rund einem Jahr bereits Thema einer Plenardebatte, wurde aber von den anderen Fraktionen abgelehnt.
Fragen zu möglichen Reformen im Umgangsrecht
Mehrere Experten verwiesen in ihren Stellungnahmen auf die bereits seit Jahren zum Teil heftig und auch ideologisch geführte Diskussion zum Thema Wechselmodell. Auch sähen weder das Bundesverfassungsgericht noch der Bundesgerichtshof eine Pflicht des Gesetzgebers, getrennt lebenden Eltern eine paritätische Betreuung vorzugeben.
Die Abgeordneten wollten von den Sachverständigen vor allem wissen, wie mögliche Reformen im Umgangsrecht aussehen könnten, wie sich das Wechselmodell in finanzieller Hinsicht auf die Eltern auswirkt und wie der Staat bei einer stärkeren paritätischen Betreuung Unterstützung leisten kann.
Gegen Festschreibung als gesetzlichen Regelfall
Brigitte Meyer-Wehage vom Deutschen Juristinnenbund plädierte im Ergebnis der jahrelangen Diskussion gegen eine Festschreibung des Wechselmodells als gesetzlichen Regelfall und für mit Bedacht geführte Diskussionen zu Änderungen im Kindesunterhalt. Zudem müssten tragfähige Lösungen für paritätische Betreuungsmodelle auch für getrennt lebende Eltern und ihre Kinder im Grundsicherungsbezug entwickelt werden. Meyer-Wehage betonte wie auch die anderen Sachverständigen, dass jede gesetzliche Änderung unter dem Vorbehalt des Kindeswohls zu stehen habe.
Für Anja Kannegießer vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen zeigt sich kein einheitliches Bild in den internationalen Forschungsergebnissen zum Thema Wechselmodell, wobei sich in Deutschland nur wenig Forschung dazu finde. Die Praxis zeige, dass es die Dominanz eines Modells aus der Kinderperspektive nicht geben könne. Vielmehr müsse im Einzelfall auf die Bedürfnisse des Kindes und die Familiensituation abgestellt werden.
„Hohe Anforderungen an alle Beteiligten“
Miriam Hoheisel, Bundesgeschäftsführerin des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter, begrüßte den Antrag der Linken und warnte in ihrer Stellungnahme vor der Vorgabe des Wechselmodells als Regelfall durch den Gesetzgeber, denn er verhindere damit die jeweils beste Lösung für das Kindeswohl. Deshalb sollten Eltern ihr Familienleben weiterhin autonom und individuell gestalten und sich für ein Betreuungsmodell entscheiden, welches den Bedürfnissen aller Beteiligten, aber vorrangig dem Wohl ihres Kindes Rechnung trägt. Nötig sei dabei eine ergebnisoffene Beratung.
Auch Hoheisel gab zu bedenken, dass Vorteile eines Wechselmodells für Kinder wissenschaftlich nicht belegt und die langfristigen Wirkungen auf Kinder noch nicht ausreichend erforscht seien. Zudem stelle es hohe Anforderungen an alle Beteiligten und eigne sich nicht als gleichstellungspolitisches Instrument.
„Festlegung auf ein Modell nicht empfehlenswert“
Eva Becker vom Deutschen Anwaltverein verwies wie auch andere Sachverständige auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Gerichte bei der Entscheidung über den Kindesumgang frei sind und damit einem Wechselmodell nichts im Weg steht. Dies sei eine gute Grundlage für eine Reform des Familienrechts.
Eine Festlegung auf ein Modell sei dagegen nicht empfehlenswert. Stattdessen bräuchten die Eltern mehr staatliche Unterstützung zum Beispiel bei der Mediation. Ferner regte sie an, außergerichtliche Einigungen verbindlich zu machen.
Heinz Kindler, Diplom-Psychologe vom Deutschen Jugendinstitut, konstatierte ein wachsendes Interesse am Wechselmodell. Hier sei die Politik gefordert, Voraussetzungen zu schaffen. Keine Grundlage sehe er jedoch für die Einführung des Wechselmodells als Regelfall.
„Elternautonomie weiter stärken“
Sabine Walper, Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut, verwies auf das gestiegene Engagement der Väter in der Kinderbetreuung. Aus ihrer Sicht spricht dem Wechselmodell als Regelfall jedoch entgegen, dass es keine paritätische Rollenverteilung gebe. Walper sprach sich stattdessen dafür aus, die Elternautonomie weiter zu stärken. Mathias Zab, Fachanwalt für Familienrecht, sieht ebenfalls keine Notwendigkeit, das ohnehin praktizierte Wechselmodell gesetzlich festzulegen. Die bestehenden Vorgaben reichten völlig aus. Entscheidend beim Wechselmodell sei die Frage des Unterhalts. Aus seiner Sicht profitiert der besserverdienende Elternteil von diesem Modell.
Wechselmodell als „Leitbild“
Hildegund Sünderhauf-Kravets von der Evangelischen Hochschule Nürnberg sprach sich dagegen für das Wechselmodell als „Leitbild“ aus. Die gesellschaftliche Realität habe sich geändert. Die von den meisten Eltern gelebte und gewünschte partnerschaftliche Aufteilung von Familienarbeit und Erwerbstätigkeit in der Partnerschaft werde nach Beendigung der Partnerschaft im Wechselmodell fortgesetzt. Auch stehe das Leitbild des Wechselmodells im Einklang mit Grundrechten von Kindern und Eltern. Sünderhauf-Kravets schränkte jedoch ein, dass das Wechselmodell weder eine Lösung für jede Trennungsfamilie noch ein Allheilmittel für alle Probleme zwischen Trennungseltern sei.
Für flexible Regelungen, die Eltern und Kindern zugute kommen, sprach sich Josef Linsler vom Interessenverband Unterhalt und Familienrecht aus. Modelle dürften nicht praktischen Regelungen im Wege stehen. Am sichersten und gerechtesten werde die gemeinsame elterliche Sorge nach Trennung und Scheidung umgesetzt, wenn beide Elternteile ihre individuelle Regelung treffen. Hier sei das Wechselmodell eine mögliche Antwort. Der FDP-Antrag liefere indes einen Impuls für ein notwendiges Update des Familienrechts.
FDP: Wechselmodell soll Regelfall werden
Die Liberalen wollen das Wechselmodell als Regelfall gesetzlich festschreiben. Der Bundestag solle feststellen, dass die Politik mit gesetzlichen Rahmenbestimmungen Eltern in ihrem Wunsch unterstützen muss, die gemeinsame Verantwortung für Kinder auch nach der Trennung beizubehalten. Das Parlament solle die Bundesregierung auffordern, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Mit diesem solle das Wechselmodell bei einer Trennung als gesetzlicher Regelfall eingeführt werden, sofern es keine einvernehmliche Regelung der Eltern gibt und es im Einzelfall nicht dem Kindeswohl widerspricht.
Die Familienpolitik sei der wachsenden Bedeutung des „getrennt gemeinsamen“ Erziehens nur ungenügend gefolgt und bleibe weit hinter der gesellschaftlichen Realität zurück, heißt es in dem Antrag. Das Wechselmodell als Regelmodell werde dem Anliegen, dass beide Eltern auch nach der Trennung Verantwortung übernehmen müssen, am ehesten gerecht. Es sei jedoch nicht im Sinne starr paritätischer Betreuungsanteile zu interpretieren, sondern flexibel anzuwenden, schreibt die Fraktion.
Zur Begründung des Antrags erklärten die Abgeordneten, das Wechselmodell als gesetzlicher Regelfall werde dem Kindeswohl am besten gerecht und sei gerechter als das sogenannte Residenzmodell, bei dem die Kinder nur von einem Elternteil, meist der Mutter, betreut werden. Das Prinzip „Eine(r) betreut, eine(r) bezahlt“ sei überholt.
Linke gegen Wechselmodell als Regelfall
Die Fraktion Die Linke spricht sich in ihrem Antrag gegen die Festschreibung des Wechselmodells als Regelmodell aus. Dieses Modell, bei dem ein Kind etwa hälftig von beiden Elternteilen betreut wird, sei mit vielen Schwierigkeiten verbunden und stelle nicht das Kindeswohl in den Mittelpunkt, schreiben die Abgeordneten. Der Bundestag solle die Bundesregierung daher auffordern, das Wechselmodell nicht als Regelfall festzuschreiben und einen Gesetzentwurf vorzulegen, um eine gerichtliche Anordnung des Wechselmodells gegen den Willen oder das Wohl des Kindes auszuschließen.
Des Weiteren sollen die Länder und Kommunen in die Lage versetzt werden, die Familien in ihrer selbstbestimmten Entscheidungsfindung zu unterstützen. Die Benachteiligung des ökonomisch schlechter gestellten Elternteils solle verhindert werden. Familien solle es erleichtert werden, eine partnerschaftliche Aufteilung der Erziehungs-, Haus- und Sorgearbeit vorzunehmen. (mwo/13.02.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Eva Becker, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im Deutschen Anwaltverein e. V., Fachanwältin für Familienrecht, Berlin
- Miriam Hoheisel, Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Bundesverband e. V. (VAMV), Berlin, Bundesgeschäftsführerin
- Prof. Dr. jur. Anja Kannegießer, Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V./Deutsche Gesellschaft für Psychologie e. V. (BDP/DGPs), Münster, Fachpsychologin für Rechtspsychologie
- Dr. Heinz Kindler, Diplom-Psychologe, Deutsches Jugendinstitut e. V., München
- Brigitte Meyer-Wehage, Vorsitzende der Kommission für Zivil-, Familien- und Erbrecht, Recht anderer Lebensgemeinschaften im Deutschen Juristinnenbund e. V. (djb), Direktorin am Amtsgericht Brake
- Josef Linsler, Interessenverband Unterhalt und Familienrecht – ISUV/VDU e. V., Nürnberg, Pressesprecher
- Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf-Kravets, Evangelische Hochschule Nürnberg
- Prof. Dr. Sabine Walper, Deutsches Jugendinstitut e. V., München, Forschungsdirektorin
- Mathias Zab, Fachanwalt für Familienrecht, Berlin