03.07.2024 Verkehr — Anhörung — hib 485/2024

Warnung vor einseitiger Belastung des deutschen Luftverkehrs

Berlin: (hib/HAU) Die Luftverkehrsbranche warnt vor Wettbewerbsverzerrungen durch einseitige nationale Belastungen für den deutschen Luftverkehr. Bei einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Stärkung des Luftverkehrsstandortes Deutschland - Für angemessene Standortkosten, effiziente Abfertigung und sichere Arbeitsplätze“ (20/11381) am Mittwoch forderte Ralph Beisel, Hauptgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV), ebenso wie Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), ein Belastungsmoratorium. Für die Zurücknahme der Luftverkehrssteuer sprach sich Pierre Dominique Prümm, Vorstand beim Flughafenbetreiber Fraport AG, aus.

Gewerkschaftsvertreter verwiesen auf den Personalmangel im Luftverkehr. Um neue Beschäftigte für den Bereich zu gewinnen, sei eine deutliche Verbesserung der Arbeits- und Einkommensbedingungen unumgänglich, machte Verdi-Vertreter Sven Bergelin deutlich.

Der Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Thießen befand, den im europäischen Vergleich geringeren Zuwachs an Flugpassagierzahlen in der Zeit nach Corona nur auf den Faktor „Standortkosten“ zu beziehen, sei zu einseitig. Es gebe viele Einflussfaktoren, die alle eine Wirkung hätten. Die Standortkosten spielten dabei eher eine untergeordnete Rolle.

Die Flughäfen seien heute, „auch durch eine schwierige politische Lage und Regulierungen“, exakt auf dem Niveau von vor zehn Jahren, sagte ADV-Hauptgeschäftsführer Beisel. „Von deutschen Flughäfen erreichen Sie weniger Ziele im Direktflug als 2013“, sagte er. „Da geht viel an Konnektivität verloren.“ Deutschland sei in Europa abgehängt. Frage man bei Airlines, warum diese nicht mehr zu deutschen Flughäfen fliegen, erhalte man die Antwort, dass man an deutschen Standorten zu wenig Geld verdiene. Wenn in Deutschland also weniger Menschen flögen als 2013, habe das nichts damit zu tun, dass die Menschen angeblich weniger reisen wollten. „Wir haben in Deutschland kein Nachfrageproblem, sondern ein Angebotsproblem“, sagte Beisel.

Das bestätigte auch BDL-Hauptgeschäftsführer Lang. Ein wesentlicher Grund dafür seien die gestiegenen staatlichen Standortkosten. Bei den staatlichen Gebühren für die Luftsicherheitskontrollen und bei der Luftverkehrssteuer sowie bei den durch die europäische Regulierung bedingten Kosten für die Flugsicherung liege der Standort Deutschland inzwischen deutlich über den übrigen europäischen Ländern, sagte Lang. Er forderte ein Belastungsmoratorium bei sämtlichen staatlich festgelegten Standortkosten. Einnahmen aus der Luftverkehrssteuer müssten zudem für Klimaschutz im Luftverkehr genutzt werden, verlangte der BDL-Hauptgeschäftsführer.

Es seien die nationalen Alleingänge, welche die sowieso schon hohen Standortkosten weiter erhöhten und die Branche einseitig belasteten, befand Fraport-Vorstand Prümm. Der Luftverkehrsstandort Deutschland werde geschwächt, die Konnektivität des Landes reduziert und die Attraktivität von Arbeitsplätzen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Branche sinke, sagte Prümm. Dem Klima helfe diese Entwicklung hingegen nicht. Die Menschen würden dennoch fliegen. „Unsere Wettbewerber außerhalb von Deutschland und insbesondere außerhalb von Europa werden profitieren und alle gut gemeinten Klimaschutzbemühungen werden so ad absurdum geführt“, kritisierte der Fraport-Vertreter.

Nur acht Prozent der errechneten Passagierdefizite sind jedoch aus Sicht des Wirtschaftswissenschaftlers Thießen auf Standortkosten zurückzuführen. Höhere Kosten seien in einem Hochlohnland zu erwarten und würden durch höhere Kaufkraft der Reisenden kompensiert, befand er. Ein gewichtiger Grund für die schleppende Erholung in der Branche sei die Konjunkturschwäche in Deutschland. Es gebe eine langjährig bekannte Korrelation zwischen Wirtschaftswachstum und Luftverkehrswachstum, so Thießen.

Sven Maertens vom Institut für Luftverkehr des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt verwies ebenfalls auf die schwache Konjunktur in Deutschland. Zudem hätten sich Online-Meetings als Alternative zu physischen Treffen etabliert, was die traditionell hohe Bedeutung des Inlandsverkehrs für Geschäftsreisende einschränke. Maertens verwies zudem auf eine Konsolidierung und Monopolisierung insbesondere im innerdeutschen Verkehr infolge des Marktaustritts der Air Berlin sowie auf den Wegfall des Großteils der Nachfrage von und nach Russland und der Ukraine, zwei vormals ab Deutschland im EU-Vergleich relativ bedeutende Märkte. Aufgrund der Schließung des Flughafens Berlin-Tegel sei zudem eine Verbesserung der zeitlichen Wettbewerbsposition der Deutschen Bahn AG auf Relationen nach Berlin zu erkennen.

Verdi-Vertreter Bergelin sieht in dem in naher Zukunft in Kraft tretenden Branchentarifvertrag für alle Bodenverkehrsdienstleister an deutschen Verkehrsflughäfen einen ersten Schritt zur Verbesserung der Arbeits- und Einkommensbedingungen. Mit einem Einstiegsentgelt von 16,51 Euro pro Stunde, einer 37,5-Stundenwoche, bis zu 36 Tagen Urlaub für Schichtdienstleistende und einer zwingenden betrieblichen Altersversorgung „wird dieser Branchentarifvertrag dazu beitragen, die Attraktivität der Arbeitsbedingungen deutlich zu verbessern“, sagte er.

Hakan Bölükmese, Sprecher der Betriebsräte deutscher Verkehrsflughäfen, sagte, es brauche verlässliche Perspektiven für die Beschäftigten, um die hohe Fluktuation aufzuhalten. Zugleich brauche es eine Stärkung der Mitbestimmungsstruktur und eine gelebte Sozialpartnerschaft in den Betrieben. An Flughäfen, wo es noch keine Tarifbindung gebe, müsse eine solche erreicht werden, forderte Bölükmese.

Marginalspalte