26.06.2024 Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung — Ausschuss — hib 451/2024

Nachhaltigkeitsstrategie: Expertin warnt vor zahnlosem Tiger

Berlin: (hib/HAU) Bei der Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDG) bis zum Jahr 2030 ist die Weltgemeinschaft nicht gut unterwegs. Lediglich 15 Prozent der 139 Unterziele „sind aktuell auf dem richtigen Weg“, sagte die Staatsministerin im Bundeskanzleramt, Sarah Ryglewski (SPD), die zugleich Leiterin des Staatssekretärsausschusses für nachhaltige Entwicklung ist, am Mittwoch während einer öffentlichen Sitzung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Bei 20 Prozent seien die Indikatoren sogar hinter den Ausgangswert aus dem Jahr 2015 zurückgefallen. Positiv bewertete Ryglewski, dass beim SDG-Gipfel im vergangenen Jahr die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen sich dennoch zur Agenda 2030 bekannt hätten. „Wir als Bundesregierung haben dabei angekündigt, dass wir zwölf Schlüsselbeiträge liefern werden“, sagte die Staatsministerin.

Deutschland habe - gemeinsam mit der Weltbank - das Bündnis für globale Ernährungssicherheit ins Leben gerufen. Zum Thema Klimafinanzierung verwies Ryglewski auf Haushaltsmittel in Höhe von mehr als sechs Milliarden Euro, die 2022 für Klimaschutz und Klimaanpassung in Entwicklungs- und Schwellenländern zur Verfügung gestellt worden seien.

Auf Nachfrage erläuterte die Staatsministerin den Ansatz der Bundesregierung, die Zivilgesellschaft zu stärken. Gerade in autokratischen Staaten gelte es, eine kritische Masse zu bilden, „die Einfluss darauf nehmen kann, auf welche Art und Weise solche Länder regiert werden“. Nur so könne sich in den Staaten etwas ändern. Es brauche Strukturen, die eine Kontrolle des Mitteleinsatzes in den Ländern ermögliche.

Staatsministerin Ryglewski ging auch auf die Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) bis Ende 2024 ein. Darin werde nicht nur das Klima in den Blick genommen. „Auch bei Teilzielen im sozialen Bereich werden wir klarer“, sagte sie. Fragen der Bildungsbeteiligung, der Aufstiegsmobilität sowie der Gleichstellung seien stärker adressiert worden. Sie wünsche sich, so Ryglewski, dass es im Rahmen des laufenden Dialogprozesses mehr Stellungnahmen aus dem parlamentarischen Bereich gibt. Es brauche eine Nachhaltigkeitsstrategie, die auch vom Bundestag breit getragen werde.

Marie-Luise Abshagen, Leiterin Nachhaltigkeitspolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung, sieht in der Nachhaltigkeitsstrategie hingegen einen „zahnlosen Tiger“, solange die Strategie „irrelevant für die deutsche Politik bleibt“. Habe sie keinen Einfluss auf Politik, „können wir sie tausendmal überarbeiten“. Nicht nur der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung sollte auf die Strategie schauen, sondern alle Ausschüsse.

Abshagen unterstütze die Forderung des von der Bundesregierung geförderten Sustainable Development Solutions Network Germany (Deutsches Lösungsnetzwerk für nachhaltige Entwicklung; SDSN Germany), sogenannte Spillover-Effekte (Übertragungseffekte) in der Nachhaltigkeitsstrategie zu verankern. Deutschland schneide aufgrund von nicht-nachhaltigen Verhaltensweisen in Produktion und Konsum im sogenannten Spillover-Ranking schlecht ab. Im Ranking würden Umwelt- und Sozialauswirkungen des deutschen Wirtschafts- und Handelsmodels „besonders schwerwiegend aufgezeichnet“.

Ziel müsse daher sein, negative Spillover-Effekte zu vermeiden, um andere Länder nicht in der Umsetzung der Agenda 2030 zu behindern, sondern gemeinsam an der globalen Implementierung dieser zu arbeiten. Eine klare Adressierung negativer Spillover-Effekte und das Schaffen verbindlicher Strukturen in der Nachhaltigkeitsstrategie als nationale Strategie für die Implementierung der Agenda 2030, sei daher notwendig.

Deutschland, so Abshagen, brauche einen SDG-Verbindlichkeits-Boost. Sie stellte mehrere Maßnahmen vor, mit denen auch im letzten Jahr der Legislaturperiode die SDGs vorangebracht werden könnten. Unter anderem forderte sie ein Exportstopp für gefährliche Pestizide, die in der EU bereits verboten sind. Auch müsse die Vorreiterrolle des öffentlichen Auftraggebers in der Nachhaltigkeit gestärkt werden.

Abshagen sprach sich außerdem für die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen aus. Der „Elefant im Raum“ seien aber die benötigten öffentlichen Investitionen „für Gemeinwohl und Nachhaltigkeit“ anstelle von Haushaltskürzungen. Jeder Euro, der in die Entwicklungszusammenarbeit geht, spare später vier Euro für humanitäre Nothilfe, sagte sie. Nicht nur aus ethischen Gründen sei es daher geboten, weiterhin mit den Menschen im globalen Süden zusammenzuarbeiten. Es gebe auch geostrategische und sicherheitspolitische Argumente dafür.

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