Parlament

Ereignisse, Debatten, Be­schlüsse – das Jahr 2019 im Bundes­tag

Blick auf ein steinernes Gebäude mit Glaskuppel vom Dach eines anderen Gebäudes aus Glas und Beton

Das Jahr 2019 im Deutschen Bundestag (DBT/Thomas Trutschel/photothek.net)

Das Jahr 2019 war ein Jahr der Jubiläen: erst im November jährte sich der Mauerfall zum 30. Mal, bereits im Mai feierte das Grundgesetz der Bundesrepublik sein 70-jähriges Bestehen – ebenso wie im September der Bundestag selbst. Das Reichstagsgebäude wurde 125 Jahre alt und der Wehrbeauftragte des Bundestages blickte auf 60 Jahre Amtsgeschichte zurück. Zeitgleich feierte die parlamentarische Demokratie in Deutschland mit der Jährung der Unterzeichnung der Weimarer Reichsverfassung im August formal ihren 100. Geburtstag. 75 wurden hingegen die sogenannten Reichstagsbabys – eine Schicksalsgemeinschaft von Menschen, die 1944 in den von der Berliner Charité zum Kreißsaal umfunktionierten Katakomben des Reichstagsgebäudes zur Welt kamen.

Inhaltlich und gesetzgeberisch war das Jahr wieder von debattenreichen Kontroversen geprägt: von einer Neuregelung des Werbeverbots über Schwangerschaftsabbrüche bis hin zu unterschiedlichen Standpunkten bei der Organspende. Von einer Grundgesetzänderung im Zuge der Grundsteuerreform bis hin zur weitgehenden Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Von Debatten über die Klimaproteste von Fridays for Future bis hin zur Einsetzung eines 2. Untersuchungsausschusses zur sogenannten „Maut-Affäre“.

Weichenstellungen in der Gesundheitspolitik

Insbesondere in gesundheitspolitischen Sachfragen hat der Bundestag 2019 breitenwirksame Beschlüsse gefällt. Mit der Verabschiedung des sogenannten Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) (19/6337; 19/8351) im März etwa sollen gesetzlich versicherte Patienten künftig schneller und effektiver an Fach- und Hausärzte vermittelt werden. Das Hebammenreformgesetz, das im September mehrheitlich angenommen wurde, sieht vor, Entbindungshelferinnen und -helfer künftig im Rahmen eines dualen Studiums auszubilden, an dessen Ende eine staatliche Prüfung steht. Ziel des von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entwurfs (19/10612) war es, den Beruf so attraktiver zu gestalten.

Weitere gesundheitspolitische Beschlüsse in der zweiten Jahreshälfte betrafen das Pflegelöhneverbesserungsgesetz (19/13395), das im Oktober verabschiedet wurde, und das Masernschutzgesetz (19/13452), für das im November votiert wurde. Ersteres sieht – um „menschengerechte Pflege“ sicherzustellen – branchenweite Tarifverträge oder höhere Pflegemindestlöhne vor. Durch Letzteres wird eine Impfpflicht für Kinder an Schulen, in Kitas und in Kindergärten ins Recht gesetzt. Kinder ohne Impfschutz sollen künftig vom Besuch von Kindertagesstätten ausgeschlossen werden können.      

Moralischer Disput: Paragraf 219a, Bluttest, Organspende 

Ethisch umstritten war zudem der Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs, der die „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ regelt. Durch eine Neufassung, die im Februar verabschiedet wurde, sollen Ärzte, Krankenhäuser und Einrichtungen zukünftig auch öffentlich ohne Risiko der Strafverfolgung darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Breite Medienöffentlichkeit erfuhr das Thema, nachdem eine Gießener Frauenärztin 2017 zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, weil sie auf ihrer Homepage über die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs in ihrer Praxis informiert hatte. 

Neben dieser moralisch aufgeladenen Kontroverse beschäftigten die Abgeordneten auch die vorgeburtlichen genetischen Bluttests, durch die mit relativer Verlässlichkeit eine Trisomie 21 des Kindes festgestellt werden kann. Hintergrund der Debatte ist die Frage, ob der seit 2012 zugelassene Test als Regelleistung von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden soll. In einer entsprechenden Orientierungsdebatte im April trafen Sorgen über eine mögliche Selektion von Föten mit Down-Syndrom auf Befürworterstimmen, die in diesem Test eine weit risikoärmere Alternative zu anderen pränatalen Routineverfahren sehen. 

Ähnlich kontrovers wurden auch zwei fraktionsübergreifend unterstützte Gesetzentwürfe zur Organspende debattiert. Während die einen eine Widerspruchslösung (19/11096) befürworten, durch die jeder potenziell Organspender würde, der dem nicht widerspricht, plädieren die anderen dafür, dass sich Organspender weiterhin in Eigeninitiative als solche registrieren sollten (19/11087). Statt einem Automatismus sieht deren Entwurf mehr Engagement für Informationskampagnen zur Organspende vor. Die abschließende Beratung der beiden Vorlagen ist im kommenden Jahr zu erwarten.

Starke-Familien-Gesetz, Soli und Grundsteuerreform

Im Bereich der Sozialpolitik stieß speziell das „Starke-Familien-Gesetz“ auf breite öffentliche Wahrnehmung. Der im März verabschiedete Regierungsentwurf (19/7504) zur Neugestaltung des Kinderzuschlags und des Bildungs- und Teilhabepakets sieht vor, Familien mit geringem Einkommen künftig finanziell stärker zu unterstützt und die Teilhabe ihrer Kinder am gesellschaftlichen und schulischen Leben zu verbessern. Teil dessen ist etwa die Erhöhung des „Schulstarterpakets“ von 100 auf 150 Euro.

Im November wurde mit der weitgehenden Abschaffung des Solidaritätszuschlags eines der zentralen Anliegen der Großen Koalition beschlossen (19/14103). Künftig, so sieht es das Gesetz vor, soll die Abgabe nun für 90 Prozent der Steuerzahler entfallen. Wenige Wochen zuvor wurde ein weiteres großes Koalitionsprojekt verabschiedet – das Reformpaket zur Grundsteuer (19/11084; 19/11085; 19/11086). Durch die Maßnahmen, für die unter anderem das Grundgesetz geändert werden musste, soll für die Erhebung der Steuer in Zukunft nicht mehr auf den Bodenwert zurückgegriffen werden, sondern es sollen auch Erträge wie Mieteinnahmen berücksichtigt werden.

Brennpunktthema: Klimaschutz

Der Klimaschutz gehörte zu den größten Brennpunktthemen im diesjährigen Gesetzgebungsbetrieb. Die wachsenden Proteste der Fridays-for-Future-Bewegung und die Demonstrationszüge durch das Regierungsviertel ließen den Bundestag bereits im März zu einer Aktuellen Stunde zusammenkommen. 

Gegen Ende des Jahres beschlossen die Abgeordneten schließlich das bei Kritikern noch immer für Unmut sorgende Klimapaket, das verschiedene Maßnahmen vorsieht – etwa die Einführung eines Bundesklimaschutzgesetzes (19/14337), eine Erhöhung der Luftverkehrssteuer (19/14339) oder einen nationalen Zertifikatehandel für Brennstoffemissionen (19/14746). Im Bundesrat fanden die Entwürfe in Teilen keine Zustimmung, sodass am 29. November der Vermittlungsausschuss angerufen wurde, in dem Bund und Länder auf einen Kompromiss verständigten. Dieser sah insbesondere vor, die Preise für Emissionszertifikate von 2021 bis 2025 neu festzulegen: statt der vom Bundestag beschlossenen zehn Euro pro Tonne soll der CO2-Preis ab Januar 2021 zunächst 25 Euro betragen, danach in Fünf-Euro-Schritten bis zu 55 Euro im Jahr 2025 steigen.

Zwei neue Ministerinnen

Vor einer großen Herausforderung anderer Natur stand der Bundestag in der Jahresmitte: Am 2. Juli wurde Dr. Ursula von der Leyen (CDU) vom Europäischen Rat als neue Kommissionspräsidentin der EU nominiert. Damit wurde ihr vorheriges Amt, das der Bundesverteidigungsministerin, vakant und die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sollte nachrücken – allerdings nicht ohne Kraftanstrengung für die Abgeordneten und die Bundestagsverwaltung. 

Denn ehe die neue Ministerin am 24. Juli, also inmitten der parlamentarischen Sommerpause, vor dem Bundestag vereidigt werden konnte, musste für die Sondersitzung ein neuer Plenumsort in der Lobby des Paul-Löbe-Hauses aus der Taufe gehoben werden. Der reguläre Plenarsaal im Reichstagsgebäude unter der Kuppel war zu dieser Zeit nämlich durch umfassende Umbauarbeiten nicht betretbar.

Neben Kramp-Karrenbauer wurde im Nachgang der Europawahl außerdem noch eine weitere Ministerin vereidigt: am 27. Juni trat Christine Lambrecht (SPD) das Amt der Bundesjustizministerin an. Die Rechtsanwältin aus Südhessen folgte damit auf Dr. Katarina Barley (SPD), die am 2. Juli ihr Mandat für das Europäische Parlament antrat und sowohl aus der Bundesregierung als auch aus dem Bundestag ausschied.

Ereignisse im Ausschussbetrieb

Im Ausschussbetrieb des Bundestages taten sich im Jahr 2019 insbesondere drei erinnerungsträchtige Ereignisse hervor. Im Anschluss an die sogenannte „Berater-Affäre“ im Bundesverteidigungsministerium setzte sich im Januar der Verteidigungsausschuss selbst als Untersuchungsausschuss ein. Seine Aufgabe besteht seither darin, den Umgang des Ministeriums mit externen und gegebenenfalls rechtswidrigen Beraterleistungen zu untersuchen.

Zum Ende des Jahres, Mitte November, wurde mit dem AfD-Abgeordneten Stephan Brandner erstmalig in der Geschichte des Bundestages der Vorsitzende eines Ausschusses abberufen. Brandner musste seinen Platz räumen, nachdem sich fraktionsübergreifender Widerstand gegen seine Person erhob. Hintergrund der Empörung waren Äußerungen Brandners auf seinem Twitter-Kanal nach dem Terroranschlag in Halle und gegen die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Künstler Udo Lindenberg.

Wenige Tage vor der Weihnachtspause, am 12. Dezember, konstituierte sich schließlich der 2. Untersuchungsausschuss der 19. Wahlperiode. Unterstützt von allen Oppositionsfraktionen besteht sein Auftrag darin, die sogenannte „Maut-Affäre“ im Verkehrsministerium zu untersuchen. Hintergrund der Affäre waren Verträge, die das Ministerium mit Mautbetreiberfirmen schloss, noch bevor der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die Rechtmäßigkeit der Mautpläne geurteilt hatte. Nachdem die Maut seitens des EuGH im Juni für rechtswidrig erklärt wurde, mussten entsprechende Verträge wieder gekündigt werden, was mutmaßlich hohe steuergeldfinanzierte Schadensersatzleistungen nach sich ziehen könnte.

Deutsch-französische Freundschaft

Im Bereich der internationalen Beziehungen des Parlaments gilt im Speziellen der 25. März als geschichtsträchtig. An diesem Tag konstituierte sich nämlich die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung in Paris. Die aus 100 Mitgliedern – 50 Abgeordnete des Deutschen Bundestages sowie 50 Abgeordnete der Assemblée nationale – bestehende Versammlung soll künftig zweimal im Jahr abwechselnd in Deutschland und Frankreich tagen und die deutsch-französische parlamentarische Zusammenarbeit institutionalisieren. Sie wurde auch in dem Bestreben gegründet, „eine Konvergenz der Standpunkte Deutschlands und Frankreichs auf europäischer Ebene zu erreichen“, heißt es in der Präambel des Abkommens. 

Bei ihrer letzten gemeinsamen Sitzung im September in Berlin plante die Versammlung für das Jahr 2020 etwa die Einführung eines Bürgerfonds, um das zivilgesellschaftliche Leben in beiden Ländern zu fördern. Auch sollen fünf neue deutsch-französische Kulturinstitute ins Leben gerufen werden, durch die eine gemeinsame Kulturpolitik auf globalem Parkett möglich gemacht werden soll.

Gedenken an die Opfer des Holocausts

Zu Beginn des nächsten Jahres wird den Bundestag in seiner traditionellen Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus ein besonderes Datum beschäftigen: die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau vor 75 Jahren. Aus diesem Anlass findet auch die internationale Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages 2020 vor Ort auf dem Gelände der Vernichtung in Oświęcim statt, zu dem auch Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble und Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier für die zentralen Gedenkfeierlichkeiten im nächsten Jahr anreisen werden. Für den Austausch im Bundestag wird Israels Staatspräsident Reuven Rivlin erwartet.

2019 hielt Prof. Dr. Saul Friedländer die Gastrede bei der Gedenkveranstaltung im Deutschen Bundestag. Der Autor und Historiker ist einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen der Shoah. (ste/27.12.2019)  
 

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