Parlament

Kiesewetter: Bei der Terror­bekämp­fung die Grund­rech­te wah­ren

Ein Mann im Anzug steht am Rednerpult des Bundestages.

Roderich Kiesewetter leitete die Bundestagsdelegation zur Parlamentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeerraum. (© DBT/Melde)

„Der Antiterror-Kampf darf kein Instrument zur Herrschaftsabsicherung sein“: Diese Warnung richtet Roderich Kiesewetter an Regierungen, die das Vorgehen gegen den Terror nutzen, um Grundrechte wie die Meinungsfreiheit abzubauen und etwa die Zensur im Internet voranzutreiben. Im Interview betont der CDU-Abgeordnete angesichts wachsender Terrorgefahren am Mittelmeer besonders im Blick auf die südlichen Anrainerländer, im Zentrum von Antiterror-Maßnahmen müssten „die Sicherheit der Bürger sowie wirtschaftliche und soziale Reformen stehen“. Der Terrorismus gehört zu den zentralen Themen beim Treffen der Parlamentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeerraum am 28. und 29. April 2018 in Kairo. Kiesewetter ist Leiter der Bundestagsdelegation. Das Interview im Wortlaut:


Herr Kiesewetter, Ihre Versammlung will in den Anrainerländern des Mittelmeers den parlamentarischen Einfluss auf den Kampf gegen den Terror erhöhen. Aber hat dieses Gremium dazu die nötigen Kompetenzen?

Die Konferenz wird wegen der Krisen im Mittelmeerraum zunehmend wichtiger und muss einen Beitrag dazu leisten, Antworten auf die gesellschaftlichen Umwälzungen in den südlichen Anrainerstaaten zu finden. Die Europäer sollten die Versammlung nutzen, um eine enge Partnerschaft mit diesen Ländern aufzubauen. Die Parlamentarier müssen gegenüber ihren heimischen Regierungen darauf dringen, die Nachbarschafts-, Sicherheits-, Entwicklungs- und Außenwirtschaftspolitik zu verbinden, um der Instabilität am Mittelmeer nachhaltig entgegenzuwirken.

Die Terrorgefahren in dieser Weltgegend wachsen. Wo sind diese Probleme besonders massiv?

Die Hauptsorge gilt neben Syrien und dem Irak der instabilen Lage in Libyen. Wegen der Konkurrenz zweier Regierungen ist das Land gespalten. Schmugglerbanden und Terrorgruppen gewinnen nicht zuletzt wegen der vielerorts fehlenden staatlichen Kontrolle an Boden. Von dieser Entwicklung sind die Nachbarn Ägypten und Tunesien besonders betroffen. In Ägypten reagiert die Regierung angesichts der Terroraktivitäten auf dem Sinai und in urbanen Zentren zusehends repressiver. Diese Maßnahmen bedrohen wiederum die Menschenrechte und gefährden den Übergang von einer Militärherrschaft zu einem parlamentarisch-konstitutionellen System mit mehr wirtschaftlicher Freiheit.

Woran hapert es bei der Bekämpfung des Terrors am Mittelmeer? Was kann die Parlamentarische Versammlung tun?

Es ist noch nicht gelungen, neben maritimen Einsätzen wie der EU-Mission Sophia und der Nato-Aktion Sea Guardian ein übergreifendes Konzept zu Stabilisierung auf den Weg zu bringen. Es mangelt nach wie vor an nachrichtendienstlicher Expertise, an der Früherkennung bedrohlicher Entwicklungen und an einer rechtzeitigen Entdeckung von Transporten mit gefährlichen Materialien.  Nötig sind Reformen des staatlichen Sicherheitssektors zur Vermeidung repressiver Maßnahmen, die Unmut in der Bevölkerung schüren. Polizeiliche Fähigkeiten müssen gestärkt werden, jedoch einer zivilen demokratischen Kontrolle unterliegen. Solche Ideen stellen für die südlichen Anrainer am Mittelmeer eine Herausforderung dar, wobei es ohne Reformen im Sinne von „Good Governance“ keine Hilfen der EU-Länder für diese Länder geben darf. Gerade auf parlamentarischer Ebene sollten solche Überlegungen eingespeist werden.

In einem Resolutionsentwurf des Politischen Ausschusses heißt es, beim Vorgehen gegen den Terror müssten Grundrechte, Privatsphäre und Meinungsfreiheit gewahrt werden. So manche Regierungen und besonders autokratische Regimes treiben indes zum Beispiel die Zensur im Internet voran.

Das ist in der Tat ein Grundproblem. Der Antiterror-Kampf darf kein Instrument zur Herrschaftsabsicherung sein. Geschieht dies doch, droht ein Teufelskreis, weil Repression neuen Nährboden für den Terror schafft. Im Zentrum eines erfolgversprechenden Vorgehens gegen Terroristen müssen die Sicherheit der Bürger sowie wirtschaftliche und soziale Reformen stehen. Unsere Konferenz sollte solche Konzepte in offenen und sachlichen Debatten voranbringen.

Aber ist es nicht so, dass in nicht wenigen arabischen Staaten Armut und Unterentwicklung ein wichtiger Nährboden für den Terror sind?

Der Anreiz, sich Terrororganisationen anzuschließen, wurzelt oft in den schlechten Perspektiven der jungen Generation. Deshalb gilt es, eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Wir müssen in unserer Versammlung intensiver über Bildung und Ausbildung, über den Ausbau der Infrastruktur, auch über Präventionsprogramme gegen Radikalisierung diskutieren und konkrete Projekte vorschlagen. Als Leiter der Bundestagsdelegation will ich vor allem das gemeinsame Verständnis von einer Wertekultur und von einem Raum gegenseitiger Verantwortung voranbringen. Die EU darf nicht einfach den Partnerstaaten die Herstellung von Sicherheit auferlegen. Vielmehr sollten wir substanzielle Hilfen zur Selbsthilfe anbieten, um jungen Leuten Chancen aufzuzeigen. Dazu gehört, die EU stärker für die südlichen Anrainer des Mittelmeers zu öffnen. Ich denke etwa an Produkte aus bestimmten Branchen, an einen Studentenaustausch, an Ausbildungsvisa, auch an eine temporäre Migration zur Qualifizierung von Fachkräften. 

(kos/23.04.2018)