Parlament

Carsten Schneider: SPD als kraftvolle Alternative zur Regierung anbieten

Ein Mann steht hinter dem Rednerpult im Plenum und hebt den rechten Zeigefinger.

Carsten Schneider, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion. (© DBT/Schüring)

Der neue Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, sieht die Hauptaufgabe seiner Fraktion in einer scharfen, inhaltlichen Oppositionsarbeit. Angesichts der neuen Konstellationen im Bundestag und in der Regierungskoalition würden die Debatten im Plenum mit Sicherheit lebendiger, sagte Schneider in einem am Montag, 16. Oktober 2017 erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Es gelte, die SPD als kraftvolle und seriöse Alternative zur Regierung anzubieten. Das Interview im Wortlaut:


Herr Schneider, Ihr Parteikollege Franz Müntefering sagte einst: Opposition ist Mist. Hat er damit recht?

Franz Müntefering ist schwer zu widersprechen und ich schätze ihn sehr, aber es kommt eben immer auf das Wahlergebnis an und welcher Auftrag an eine Partei sich daraus ergibt. Ich halte es eher mit Frank-Walter Steinmeier: Die Opposition spielt in der Demokratie eine extrem wichtige Rolle – und genau diese Rolle, diese Aufgabe nehmen wir jetzt wahr.

Ist damit das letzte Wort in Sachen Regierungsbeteiligung gesprochen?

Ja, das ist eindeutig. Die Wähler haben gesprochen und wir haben keinen Regierungsauftrag erhalten.

Was macht eigentlich ein Parlamentarischer Geschäftsführer (PGF)?

Der Parlamentarische Geschäftsführer bereitet den Ablauf der Bundestagssitzungen vor und koordiniert die Gesetzesinitiativen der Ausschussarbeitsgruppen. Ich habe auch die Verantwortung für Budget und Personal der Fraktion. Der PGF ist quasi der Manager der Fraktion.

Was hat Sie an der Aufgabe gereizt, Sie kommen ja als Politiker eher von der Fachebene?

Es ist eine neue Herausforderung. Nach Andrea Nahles als Fraktionsvorsitzender betrachte ich mich als Speerspitze gegenüber der Regierung. Die Opposition hat die Aufgabe, die Regierung in ihrer Arbeit zu kontrollieren und Alternativen zu entwickeln. Auch angesichts der neuen Konstellationen im Bundestag und in der Regierungskoalition werden die Debatten im Plenum mit Sicherheit lebendiger. Wir werden dazu jedenfalls unseren Beitrag leisten. Das zu gestalten und die SPD als kraftvolle, seriöse Alternative zur Regierung anzubieten und Vertrauen zurückzugewinnen, ist eine Herausforderung, auf die ich mich freue.

Sie werden auch innerhalb der Opposition unterschiedliche Standpunkte vereinen müssen und werden dabei dem konservativen Lager zugeschrieben. Sehen Sie das selbst auch so?

Nein, gar nicht. Das ist ein Aufkleber, der mir aufgedrückt wird. Ich bin ein pragmatischer Typ und würde mich politisch eher als linksliberal einstufen, auch was etwa das Lebensgefühl betrifft. Was Wirtschafts- und Finanzpolitik angeht, stehe ich allerdings eher auf der Seite der Solidität. Insgesamt passen diese Schubladen nicht.

Demzufolge wäre der Graben zu Andrea Nahles nicht so groß wie kolportiert?

Den gibt es gar nicht. Ich kenne Andrea Nahles seit mehr als 20 Jahren aus verschiedenen Funktionen heraus und wir haben die eine oder andere unterschiedliche inhaltliche Position gehabt. Persönlich haben wir immer exzellent zusammengearbeitet. Die SPD ist auch insgesamt geschlossen in den Wahlkampf hinein und geschlossen aus ihm hinaus gegangen. Es gibt keine Gräben: Wir müssen jetzt begreifen, warum wir in der Bevölkerung an Zuspruch verloren haben. Unsere Aufgabe ist es, daraus neue Überzeugungskraft zu gewinnen und ein inhaltliches Profil herauszuarbeiten, das Deutschland braucht.

Inwiefern konnten Sie dabei selbst forschen, etwa in Ihrem Wahlkreis Erfurt?

Wir waren zwölf Wochen lang Tag und Nacht unterwegs, haben an über 57.000 Haustüren geklingelt, bei Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus. Ich habe ein sehr gutes Gefühl zumindest für die Menschen in Ostdeutschland. Das passt auch für die neue Aufgabenteilung zwischen Andrea Nahles und mir, sie kommt aus der Eifel, ich habe die Wende-Biografie. Das sind unterschiedliche Lebenserfahrungen, die sich beide in der Politik widerspiegeln müssen.

Hat sich ja im Ergebnis nicht so niedergeschlagen, Ihr Einsatz.

Wir haben immerhin etwa vier Prozentpunkte mehr in meinem persönlichen Ergebnis erreicht und auch gegenüber dem Durchschnitt der Erststimmen in den Thüringer Wahlkreisen. Das ist auch ein Erfolg des Haustürwahlkampfs. Der Vertrauensaufbau zählt. Es wird nun auf uns ankommen, die Verbundenheit und die Stimmen von denjenigen zurückzugewinnen, die mit der Regierungspolitik nicht einverstanden sind.

Gibt es denn eine Art Koalition in der Opposition?

Nein, wir sind eigenständige Parteien. Wir werden natürlich mit der Linkspartei zusammenarbeiten, wenn es darum geht, Minderheitenrechte durchzusetzen. Grundsätzlich aber wird mein Angriffspunkt die Bundesregierung sein. Dazu möchte ich Alternativen liefern, nicht zur Opposition.

Wie geht man überhaupt mit einer Partei wie der AfD um?

Wir haben dazu unterschiedliche Erfahrungen in verschiedenen Landesparlamenten gemacht. Die AfD hat die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen Fraktionen. Das gilt es zu respektieren. Wir sind nicht darauf aus, eine Außenseiterrolle zu zementieren; es sei denn, die AfD-Fraktion stellt sich selbst so auf. Ich glaube, dass das eine sehr gemischte Fraktion ist, die vor allem auch von Protestwählern und Nationalkonservativen gewählt wurde. Man wird sehen, wie sich das entwickelt. Und grundsätzlich liegt mein Hauptaugenmerk eben auf Alternativen, die die SPD zur Regierungsarbeit anbietet. Wo es sich allerdings gegen Minderheiten richtet, gegen Migranten oder wo Grundrechte infrage gestellt werden, wird die AfD auf unseren geballten Widerstand stoßen.

Sollte die AfD einen Vizepräsidenten erhalten?

Die Fraktion sollte alle Rechte einer Fraktion erhalten, das gilt sowohl für das Amt des Vizepräsidenten als auch für Ausschussvorsitze. Bei der Besetzung von Ausschüssen gibt es bewährte parlamentarische Regeln, auf die wir vertrauen. Allerdings muss die Fraktion Personen vorschlagen, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und die man mittragen kann, auch wenn sie nicht die eigene politische Überzeugung teilen. Wer das nicht tut, den werden wir nicht wählen. Es liegt an der AfD, ob sie auf Provokation setzt oder nicht.

Mit welchen Themen werden Sie denn Ihre Oppositionsarbeit starten?

Zunächst steht die große Frage nach dem sozialen Zusammenhalt im Raum, einem Thema, das im Wahlkampf insgesamt nur eine untergeordnete Rolle spielte, auch wenn wir es immer wieder angesprochen haben. Dazu gehört auch, wie wir mit der Herausforderung der Einwanderung umgehen. Wir werden dazu Vorschläge machen. Neben dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gehören außerdem gute Löhne und bezahlbarer Wohnraum dazu. Auch werden Gesundheit und Pflege, insbesondere mit Blick auf eine Bürgerversicherung, wichtige Themen sein. Zentral ist schließlich die Frage, wie wir ein sozialeres Europa entwickeln können und wie der europäische Einigungsprozess vorangetrieben werden kann.

Bei so einem Themenspektrum, verbunden mit den von Ihnen beschriebenen Aufgaben eines Parlamentarischen Geschäftsführers: Wie wollen Sie da Ihr Ziel nach kürzeren Sitzungen und mehr Lebenszeit im Blick behalten?

Das ist eine gute Frage. Man braucht Disziplin und gegenseitiges Verständnis. Ich bin der Auffassung, es muss alles auf den Tisch und Argumente müssen ausgetauscht werden, aber die Debatten sollten nicht in die Länge gezogen werden. Ich möchte die Arbeit so gestalten, dass ich meine Familie nicht vernachlässige und ich mich neben der Arbeit noch aufladen kann, mit guten Büchern und Gesprächen. Ich habe mir vorgenommen, die Kinder mindestens ein Mal in der Woche von der Schule abzuholen.

(pez/16.10.2017)