Der Unterausschuss für zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln des Auswärtigen Ausschusses hat sich am Montag, 26. Juni 2017, in einer öffentlichen Sitzung unter Leitung von Dr. Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen) mit den „neuen Leitlinien der Bundesregierung zur Krisenprävention“ (18/12813) befasst. Häufig seien diese in der aktuellen Legislaturperiode versprochen worden, nun seien sie endlich da, merkte Brantner zu Beginn der Unterausschusssitzung an. Die Vertreter der Bundesregierung gaben sich bei der Bewertung der Leitlinien ein Stück weit euphorischer als die geladenen Sachverständigen.
Kompass für alle Konfliktphasen
Rüdiger König vom Auswärtigen Amt pries das Regelwerk als Kompass für alle Phasen eines Konflikts. Der Umfang von über 70 Seiten sei Zeugnis einer bereits erfolgten ressortübergreifenden Zusammenarbeit der Akteure auf Seiten der Bundesregierung.
„Die Bundesregierung löst mit den Leitlinien auch ein Versprechen gegenüber der Zivilgesellschaft ein. Auf 27 Veranstaltungen haben sich über 1.800 Bürgerinnen und Bürger, Abgeordnete und Sachverständige mit ihrer Expertise eingebracht“, führte König aus. Die Leitlinien seien jedoch nicht als Abschluss, sondern als Beginn eines weiterführenden Prozesses zu betrachten.
Orientierung an der Agenda 2030 der Vereinten Nationen
Thomas Silberhorn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), wies auf die Bezugnahme der Leitlinien auf die Agenda 2030 der Vereinten Nationen hin, die an mehreren Stellen zu finden sei. Darüber hinaus unterstrich der Parlamentarische Staatssekretär den ressortübergreifenden Ansatz der Leitlinien. Alle Ressorts seien frühzeitig am Erstellungsprozess beteiligt gewesen.
Brigadegeneral Stefan Schulz vom Bundesverteidigungsministerium zeigte sich zufrieden mit dem Arbeitsergebnis, da die Leitlinien an das Weißbuch der Bundesregierung anschließen würden. Darüber hinaus begrüßte er, dass der Mechanismus der Ressortabstimmung seitens der Bundesregierung einer Prüfung unterzogen wurde. Die geladenen Sachverständigen zeigten sich ebenfalls erfreut, dass die Leitlinien nun endlich vorliegen; im Gegensatz zu den Regierungsvertretern zeigten sie aber auch einige Schwächen des neuen Regelwerks auf.
Stabilisierung von Staaten versus individuelle Sicherheit
Christiane Lammers von der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung merkte an, dass die Leitlinien eher die Stabilisierung von Staaten als die Sicherheit von Menschen in den Vordergrund stellten. Eine Ursachenanalyse für Konflikte sei in den Leitlinien nicht vorgesehen, eigenes Handeln der Bundesregierung in Bezug auf Krisenverursachung werde nicht kritisch hinterfragt. Gleichwohl betonte Lammers, dass die Leitlinien ein guter Ansatz seien. Sie begrüßte die in den Leitlinien formulierte Absicht, bei der Konfliktbewältigung die lokale Zivilbevölkerung einzubeziehen.
Gleichzeitig bemängelt sie jedoch, dass es an einer Aussage über das „Wie“ fehle. In Rüstungsfragen würden die Leitlinien nicht auf das Thema Abrüstung eingehen. Zwar werde eine Minderung der Rüstungsexporte angesprochen, was auch gut sei, auf eine Aussage zur Verringerung der Rüstungsproduktion habe man allerdings verzichtet. Insgesamt mangele es den Leitlinien an einer politischen Debatte, stellte Lammers abschließend mit Verweis auf den zum Schluss „gehetzten Verabschiedungsprozess“ fest.
„Bemerkenswert klares Menschenrechtsbekenntnis“
Dr. Jörn Grävingholt, Mitglied des Beirates „Zivile Krisenprävention“, lobte das „bemerkenswert klare Bekenntnis zu den Menschenrechten“ in den Leitlinien. Ein blinder Fleck finde sich jedoch bei der Betrachtung der eigenen Rolle der Leitlinienverfasser als Mitverursacher von Konflikten. Als weiterer Aufgabe sieht Grävingholt die Unterfütterung der Leitlinien mit konkreten Instrumenten und Fähigkeiten zur Krisenprävention sowie die Stärkung des ressortübergreifenden Ansatzes.
Für Winfried Nachtwei, ebenfalls Mitglied des Beirates „Zivile Krisenprävention“ und ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen, findet die Krisenfrüherkennung zu wenig Beachtung in den neuen Leitlinien. Die Intention der Verfasser, der Krisenprävention und den mit ihr Befassten eine stärkere Orientierung zu geben, sei jedoch in großen Teilen erfüllt worden. „Ich kenne kein Dokument der Bundesregierung aus den letzten Jahrzehnten, in dem so deutlich friedenspolitische Anforderungen benannt werden“, so Nachtwei. Der Anspruch an die Leitlinien, „stärkere Muskeln“ zu schaffen – also personelle und finanzielle Ressourcen zu stärken – sei aber nicht erfüllt worden. „Muskelwachstum: Fehlanzeige!“, konstatierte Nachtwei abschließend. (eb/27.06.2017)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Christiane Lammers, Plattform Zivile Konfliktbearbeitung
- Dr. Jörn Grävingholt, Beirat „Zivile Krisenprävention“
- Winfried Nachtwei, Beirat „Zivile Krisenprävention“