Anträge der Linken zum Armuts- und Reichtumsbericht abgelehnt
Die Fraktionen des Deutschen Bundestags wollen Konsequenzen aus dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (18/11980) ziehen - sind sich aber nicht einig darin, wie diese aussehen sollten. Dies wurde deutlich in einer Debatte am Freitag, 2. Juni 2017, über zwei Anträge der Linken. Der Antrag (18/10628) auf Einrichtung eines Aktionsplans gegen Kinderarmut wurde mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt, auch ein zweiter Antrag zur Stärkung der Kinderrechte (18/6042) lehnte die Koalition gegen die Stimmen der Opposition ab. In beiden Voten folgten die Abgeordneten den Beschlussempfehlungen des Ausschusses (18/12454, 18/11886 Buchstabe a).
Linke: Wegschauen ist verantwortungslos
Für Die Linke sagte die Arbeitsmarktpolitikerin Sabine Zimmermann, die zunehmende Armut sei eines der größten Probleme, das endlich angegangen werden müsse. Wegzuschauen sei verantwortungslos, sagte sie an die Unionsfraktion gewandt. Die Agenda 2010 habe so viel Armut ins Land gebracht. Die Menschen hätten immer weniger Geld in der Tasche.
Heute sei jeder zehnte Beschäftigte armutsgefährdet, betonte die Abgeordnete der Linken. 6,4 Millionen Menschen seien im Hartz-IV-System gefangen. Mittlerweile gebe es tausend Tafeln mit zweitausend Ausgabestellen im Land. Die nach unten in Gang gesetzte Lohnspirale könne nicht aufgehalten werden.
Grüne: Armutszeugnis für die Koalition
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Sozialexperte von Bündnis 90/Die Grünen, bezeichnete den Armuts- und Reichtumsbericht als Bilanz der vergangenen zwölf Jahre mit Regierungsbeteiligung der CDU/CSU und als Armutszeugnis, auch für die SPD. Armut und Ungleichheit seien auf einem „Rekordniveau“, und das trotz guter ökonomischer Rahmenbedingungen. Die Zahlen ließen sich nicht schönreden. Bezeichnend sei, dass die Anträge zur Debatte von der Opposition eingebracht wurden, für die Große Koalition sei Armut kein Thema.
Dennoch sei es ein zentrales Gerechtigkeitsproblem, betonte Strengmann-Kuhn. Der soziale Zusammenhalt in Deutschland sei ernsthaft gefährdet. „Wir wollen eine Gesellschaft mit selbstbestimmter Teilhabe für alle, eine inklusive Gesellschaft“, sagte der Grünen-Abgeordnete. Erforderlich seien gute Arbeit, die Eindämmung prekärer Beschäftigung, Zugang zu guter Bildung, bezahlbarem Wohnraum, Gesundheitsleistungen für alle und finanzielle Leistungen, denn ein Mindestmaß an Einkommen sei notwendig, um an der Gesellschaft teilhaben zu können.
SPD: Ungleichheit wurde weiter vorangetrieben
In den Redebeiträgen von Unions- und SPD-Fraktion wurde deutlich, dass es bei der Diskussion des Armuts- und Reichtumsbericht einen Dissens innerhalb der Koalition gibt. So sagte die SPD-Arbeitsmarktexpertin Daniela Kolbe, im Bericht der Regierung seien Hinweise darauf enthalten, warum die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergehe. Es habe in der Vergangenheit in der Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik „eine Tendenz“ gegeben, die vor allem „höheren Einkommen“ zupass gekommen sei.
Damit sei „die Ungleichheit weiter vorangetrieben“ worden. Dies, so Kolbe, mache sie „nachdenklich“. Man werde daher im Wahlkampf „intensiv“ etwa über Steuern sprechen. Kolbe sagte, die Lage auf dem Arbeitsmarkt sei nicht so schwarz, wie es Die Linke gern male - mit dem Mindestlohn, der Tarifbindung und der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die die Große Koalition vorangetrieben habe, sei bereits viel erreicht worden, um insbesondere Eltern zu stärken. Dies verkleinere auch die Kinderarmut.
CDU/CSU: Koalition hat Vorzügliches geleistet
Für die Unionsfraktion kritisierte Prof. Dr. Matthias Zimmer, Kolbe mache den Eindruck, als ob sie nicht zur schwarz-roten Koalition gehöre, die die Regierung trage, welche in den letzten Jahren „Vorzügliches geleistet“ habe. Dies müsse man anerkennen. Momentan habe man vor allem mit drei Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt zu tun. Dies sei zum einen die Bilanz der sogenannten vierten industriellen Revolution, die zwar neue Arbeitsplätze schaffe, die verloren gegangenen aber nicht ersetze.
Wenn Maschinen die Arbeitnehmer ersetzten, die die Sozialsysteme finanzierten, müsse man darüber nachdenken, ob nicht Maschinen zur Finanzierung der Sozialsystem herangezogen werden müssten. Es gebe etwa hinsichtlich möglicher „Maschinensteuern“ keine Frageverbote. Gleichzeitig dürften nicht immer betriebswirtschaftliche Überlegungen dominieren, diese dienten nicht per se dem „wirtschaftlichen Gemeinwohl“, wenn dabei zu viele Arbeitskräfte freigesetzt würden. Besorgniserregend sei auch die Entwicklung eines „digitalen Prekariats“, das nicht „dem Menschenbild der christlichen Demokraten“ entspreche.
Linke fordert Programm für soziale Gerechtigkeit
Ein Programm für soziale Gerechtigkeit fordert die Fraktion Die Linke in einem weiteren Antrag (18/11796), den der Bundestag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwies. Darin kritisiert die Linksfraktion die Zuständigkeit der Bundesregierung für die Armuts- und Reichtumsberichterstattung, da dieses Verfahren „streckenweise zu einer geschönten Darstellung der Wirklichkeit“ führe.
Die Abgeordneten fordern deshalb, die Zuständigkeit auf eine unabhängige Sachverständigenkommission unter Beteiligung von Armut betroffener Personen zu übertragen. Nach den Vorstellungen der Fraktion soll die Kommission Maßnahmen gegen Armut und soziale Ungleichheit erarbeiten, insbesondere gegen sozial bedingte gesundheitliche Ungleichheit und Einkommensungleichheit. Außerdem solle sie ein Programm zur Durchsetzung sozialer Grundrechte entwickeln.
Grüne: Teilhabe statt Armut
Bündnis 90/Die Grünen haben zur Debatte ebenfalls einen Antrag mit dem Titel „Teilhabe statt Armut - Alle Menschen am Wohlstand beteiligen“ (18/12557) vorgelegt, den der Bundestag an den federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales überwies.
Darin wird die Bundesregierung unter anderem aufgefordert, ein umfassendes Konzept gegen Armut und Ungleichheit vorzulegen, das dafür sorgt, dass Arbeit gut bezahlt wird und dazu die Tarifpartner gestärkt und in die Lage versetzt werden, die Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Bei Leiharbeit solle das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit ab dem ersten Tag“ und ein Flexibilitätsbonus eingeführt werden. Die Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachlichen Grund soll nach dem Willen der Fraktion künftig nicht mehr zulässig sein.
Linke wollte Aktionsplan gegen Kinderarmut
In ihrem ersten abglehnten Antrag (18/10628, 18/12454) hatte die Linksfraktion die Bundesregierung aufgefordert, „umgehend einen mehrjährigen und umfassenden Aktionsplan gegen Kinderarmut“ aufzulegen. Besondere Berücksichtigung sollten dabei Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Familien mit Migrationshintergrund finden. Kinderarmut sei nach wie vor eines der „prägendsten und gravierendsten Probleme“ Deutschlands und habe zugenommen, schreibt die Linksfraktion in der Vorlage. So seien laut Mikrozensus im Jahr 2015 19,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren von Armut bedroht gewesen, im Jahr 2014 habe der Wert noch bei 19 Prozent gelegen.
Nach dem Willen der Linksfraktion sollte mit dem Aktionsplan unter anderem eine Kindergrundsicherung eingeführt werden. So sollte das Kindergeld einheitlich auf 328 Euro erhöht werden. Im Gegenzug sollten die Steuerfreibeträge gestrichen werden. Alle Kinder müssten gleich behandelt werden. Zudem müssten die sozialen Grundsicherungssysteme wie Hartz IV „repressionsfrei und sanktionsfrei“ ausgestaltet werden. Die Regelbedarfe für Kinder bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr seien auf 326 Euro, für Kinder vom siebten bis 13. Lebensjahr auf 366 Euro und für Kinder vom 14. bis 18. Lebensjahr auf 401 Euro anzuheben. Ebenso sollte der Kinderzuschlag erhöht werden: auf 220 Euro für Kinder bis zum sechsten Lebensjahr, auf 260 Euro bis zum zwölften Lebensjahr und auf 300 Euro nach dem zwölften Lebensjahr. Diesen Antrag lehnten alle übrigen Fraktionen ab.
Linke wollte Bundeskinderbeauftragten
Der zweite abgelehnte Antrag der Linken (18/6042, 18/11886 Buchstabe a) widmete sich den Rechten von Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre, die gemäß der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen im Grundgesetz verankert werden sollen. Die Abgeordneten forderten die Bundesregierung deshalb auf, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen.
Zudem sollte das Amt eines unabhängigen Bundeskinderbeauftragten in die Verfassung aufgenommen werden. Dieser sollte bei allen Gesetzesvorhaben und Entscheidungen, die Kinder betreffen, darauf hinwirken, dass die UN-Kinderrechtskonvention beachtet wird, auf Verletzungen der Kinderrechte aufmerksam machen und dem Bundestag einen jährlichen Bericht über seine Arbeit und ihre Ergebnisse vorlegen. Ihm sollte zudem ein Akteneinsichts- und Anhörungsrecht gegenüber staatlichen Einrichtungen sowie ein Amtshilferecht eingeräumt werden, um Kinder mit ihren Beschwerden gegenüber Bundesbehörden, Bundesgerichten, dem UN-Kinderrechtsausschuss und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertreten zu können.
Nach Ansicht der Linksfraktion hat Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention bis heute noch nicht konsequent und vollständig umgesetzt. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes habe diesbezüglich wiederholt gravierende Mängel festgestellt. (suk/vom/02.06.2017)