Axel E. Fischer: Europarat-Parlamentspräsident sollte zurücktreten
Für die Einführung eines Amtsenthebungsverfahrens, mit dessen Hilfe die Parlamentarische Versammlung des Europarates den Rücktritt eines Präsidenten erzwingen kann, macht sich im Interview der CDU-Bundestagsabgeordnete Axel E. Fischer stark. Auslöser für diesen Schritt ist die Weigerung des amtierenden Präsidenten Pedro Agramunt, der nach seiner umstrittenen Syrien-Reise von vielen Abgeordneten erhobenen Forderung nach Demission nachzukommen. Fischer leitet bei der Sommersession des Europaratsparlaments vom 26. bis 30. Juni 2017 in Straßburg die Bundestagsdelegation. Das Interview im Wortlaut:
Herr Fischer, eine Korruptionsaffäre, ein entmachteter Parlamentspräsident: Bundestagspräsident Norbert Lammert kritisiert scharf eine „verheerende Entwicklung“ beim Abgeordnetenhaus des Europarates. Ein ungewöhnlicher Vorstoß.
Lammert hat eine momentan in unserer Versammlung weit verbreitete Stimmung treffend wiedergegeben. Ich teile seine Einschätzung, dass die Europaratsabgeordneten bestimmten Tendenzen entschlossener hätten entgegenwirken können. Inzwischen hat das Präsidium die Mitglieder einer unabhängigen Kommission zur Untersuchung der Korruptionsvorwürfe nominiert. Es handelt sich um den Briten Nicolas Bratza, Ex-Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), um Jean-Louis Bruguière, früher Ermittlungsrichter in Frankreich, und um die ehemalige EGMR-Richterin und schwedische Ombudsfrau Elisabet Fura. Ich gehe davon aus, dass die Parlamentarier dieses äußerst erfahrene und kompetente Team bestätigen werden und dass die Kommission dann unverzüglich ihre Arbeit aufnehmen kann.
Bei den Bestechungsvorwürfen geht es vor allem um den Verdacht, Aserbaidschan habe seine Lobbyarbeit auch mit Geld, Reisen und teuren Geschenken für diverse Straßburger Parlamentarier flankiert. Kann die Kommission die Reputation des Europaratsparlaments wiederherstellen?
Die Kommission ist ein Teil der Antwort der Versammlung auf die negativen Entwicklungen der vergangenen Jahre. Zudem arbeitet der Geschäftsordnungsausschuss intensiv an einer Reform der Geschäftsordnung, um die Verhaltensregeln zu verbessern. Ziel ist es, den traditionellen Werten demokratischer Auseinandersetzung und politischen Anstands wieder umfassend Geltung zu verschaffen, und dies auch angesichts der unterschiedlichen Kulturen der 47 im Europarat vertretenen Mitgliedstaaten. So kann verlorenes Vertrauen wiedergewonnen werden.
Bei Korruption von Abgeordneten geht es auch um die Frage der Immunität, die indes im internationalen Europaratsparlament schwierig zu handhaben ist.
Die Kommission soll vor allem feststellen, ob konkrete Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten aktiver und ehemaliger Straßburger Abgeordneter vorliegen, das zu Sanktionen der Versammlung führen kann. Liegt strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vor, müssen dies die zuständigen nationalen Justizbehörden aufgreifen. Dann entscheiden die Europaratsparlamentarier, ob die Immunität eines Mitglieds aufgehoben wird. Die mit der Zugehörigkeit zur Versammlung verbundene Immunität soll die Abgeordneten vor politisch motivierter staatlicher Verfolgung bewahren und ihre freie Rede und Abstimmung in Straßburg sichern, schützt hingegen kein ungesetzliches Verhalten von Europaratsparlamentariern. Das ist auf nationaler Ebene genauso.
Das Präsidium der Versammlung hat Präsident Pedro Agramunt wegen seiner Reise nach Damaskus kaltgestellt, da er einen Rücktritt ablehnt. Wird dieser delikate Zustand mit einem Präsidenten, der keine Stellungnahmen im Namen des Parlaments abgeben darf, fortdauern? Oder wird sich der Spanier noch zur Demission bewegen lassen?
Die Entwicklung um Agramunt macht menschlich betroffen. Er hat die Wirkung seiner überraschenden Reise nach Syrien und der Bilder, die ihn Seite an Seite mit Staatspräsident Assad zeigen, vollkommen falsch eingeschätzt. Außerdem hat er viele Gelegenheiten, auf die berechtigte Kritik der Europaratsabgeordneten einzugehen, ungenutzt verstreichen lassen. Dafür sollte er die politische Verantwortung übernehmen. Das Problem: Unsere Geschäftsordnung enthält bisher keine Vorschrift, mit der ein Präsident zum Rücktritt gezwungen werden kann. Deshalb wird die Versammlung jetzt eine Änderung der Geschäftsordnung beraten, um künftig ein Amtsenthebungsverfahren zu ermöglichen. Ich erwarte eine große Mehrheit für diese Reform, was ein weiteres klares Signal für Agramunt wäre. Ich kann mir daher vorstellen, dass ein Amtsenthebungsverfahren im aktuellen Fall nicht mehr eingeleitet werden muss.
Wird ein Parlament, dessen Präsident entmachtet ist, überhaupt ernst genommen?
Die Versammlung arbeitet uneingeschränkt weiter. So werden wir dieses Mal einen ganzen Sitzungstag den aktuellen Migrations- und Integrationsfragen widmen. Unsere Berichte zu einer Vielzahl anderer politischer, menschenrechtlicher und sozialer Fragen werden unabhängig vom Präsidenten der Versammlung erstellt. Die Wahlbeobachtungen wie zuletzt in der Türkei laufen weiter. Im Übrigen ist auch das strenge Auswahlverfahren der Versammlung bei den Kandidaten für die Richterposten am EGMR von der aktuellen Situation nicht negativ betroffen.
(kos/21.06.2017)