„Deutschland und Litauen verfolgen zahlreiche gemeinsame Interessen“
Im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit des Deutschen Bundestages war vom 30. Mai bis 3. Juni 2017 eine Delegation von Abgeordneten aus der Republik Litauen zu politischen Gesprächen in Deutschland. Die Abgeordneten aus drei unterschiedlichen Fraktionen des Sejmas, des litauischen Parlaments, kamen im Bundestag mit ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen der Deutsch-Baltischen Parlamentariergruppe zusammen, die die Beziehungen zu den Ländern Estland, Lettland und Litauen pflegt.
Gespräche über EU-Integration und Sicherheitspolitik
Die litauischen Abgeordneten trafen sich mit Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses, des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union sowie des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und wurden von der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Dr. h.c. Edelgard Bulmahn, empfangen.
Sie sprachen darüber hinaus mit Vertretern verschiedener Bundesministerien und des Bundeskanzleramtes. Bei einem Besuch des Bundesrates informierten sich die Gäste über die föderalstaatliche Ordnung in Deutschland. Zu ihrem Besuchsprogramm gehörten außerdem eine Führung durch die Parlamentsgebäude, ein Besuch des Holocaust-Memorials und ein Abstecher in den Wahlkreis des Vorsitzenden der Deutsch-Baltischen Parlamentariergruppe, Alois Karl (CDU/CSU).
Nato-Bataillon in Litauen wichtiges Zeichen der Solidarität
„Deutschland und Litauen können in ihren Beziehungen auf eine Menge Verbindendes bauen. Die Regierungen in Berlin und Vilnius verfolgen zahlreiche gemeinsame Interessen“, sagt Alois Karl. Jüngster Ausdruck der gegenseitigen Verbundenheit sei die Stationierung eines Nato-Bataillons in Litauen seit Anfang des Jahres, das von der Bundeswehr geführt wird. Wie bereits in Estland und Lettland und künftig auch in Polen untermauere das Verteidigungsbündnis mit der Stationierung der Truppen eindrucksvoll die seinen Mitgliedern vertraglich zugesicherten Garantien, sagt Karl.
Auf diese Weise mehr Sicherheit gegenüber dem großen Nachbarn Russland und im Hinblick auf die aggressive russische Politik wie in der Ukraine zu bekommen, sei für das kleine Land an der Peripherie der EU ein wichtiges Zeichen der Bündnissolidarität. Dies hätten seine Gäste auch bei ihrem aktuellen Deutschlandbesuch gewürdigt, so Karl.
Baltischer Beitrag zur deutschen Wiedervereinigung
Karl unterstreicht, wie sehr das deutsch-litauische Verhältnis von wechselseitiger Dankbarkeit geprägt ist. So hätten die Litauer, wie auch die anderen baltischen Staaten, einen erheblichen Beitrag zur Vereinigung Europas und zur deutschen Wiedervereinigung nach dem Kalten Krieg geleistet, ja diese mit ermöglicht, indem sie sich von der Sowjetunion abgewendet hätten. „Über den eisernen Vorhang hinweg haben die Litauer ihre Hände nach Westen ausgestreckt. Ohne den baltischen Weg, ähnlich der Grenzöffnung durch Ungarn, wäre der Fall der Berliner Mauer nicht denkbar gewesen.“
Als Teil der Beziehungen erinnere man weiterhin auch an die dunklen Kapitel der gemeinsamen Geschichte. So habe man im zweiten Teil des Besuchsprogramms, im Wahlkreis des Vorsitzenden, die Kriegsgräberstätte in Neumarkt in der Oberpfalz besucht. Über 5.000 Zwangsarbeiter des Dritten Reiches aus Osteuropa sind dort beerdigt, der größte Teil von ihnen stammt aus der ehemaligen Sowjetunion. Beim gemeinsamen Rundgang über den Friedhof seien die Gäste aus Vilnius in kurzer Zeit auf zahlreiche litauische Namen gestoßen.
Finanzkrise aus eigener Kraft überstanden
Ebenso wichtig wie die Mitgliedschaft im Verteidigungsbündnis der Nato sei für Litauen die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, sagt der Vorsitzende der Parlamentariergruppe. Die EU-Begeisterung in dem Land, das der Gemeinschaft seit 2004 angehört und 2015 den Euro eingeführt hat, sei ungebrochen. Die Litauer hätten zudem verstanden, dass die EU nicht ohne Solidarität der Mitglieder untereinander funktioniere. Die Regierung in Vilnius trage entsprechend zum Gelingen der Gemeinschaft bei.
So habe das kleine Land an der östlichen Peripherie in den vergangenen 25 Jahren eine fast märchenhafte Entwicklung vollzogen. Es sei in der EU mittlerweile völlig integriert und habe die globale Finanzkrise sehr gut überstanden. Dies sei nur mit großen eigenen Anstrengungen möglich gewesen, darunter Entlassungen und Lohnverzicht im öffentlichen Dienst.
Kooperation in der Flüchtlingskrise
In der Flüchtlingskrise stehe Litauen zu seinen im EU-Rahmen eingegangenen Verpflichtungen, erinnert Karl. Bei ihrem Besuch in Berlin haben sich die Abgeordneten aus Vilnius darüber informiert, wie die Bundesregierung mit der Flüchtlingswelle von 2015/16 umgegangen ist, obwohl in Litauen selbst nur einige Hundert Menschen Zuflucht suchten und die meisten nach West- und Nordeuropa weitergereist sind. Litauen ist seit 2007 Teil des sogenannten Schengen-Raums, in dem das Reisen ohne Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedstaaten möglich ist.
Bei den aktuellen Gesprächen brachten die Gäste auch ihren Wunsch zum Ausdruck, die „Östliche Partnerschaft“, einen außenpolitischen Ansatz der EU für die unmittelbaren Nachbarländer, auszubauen. Es sei Litauen ein wichtiges außenpolitisches Anliegen, Anrainer wie Weißrussland und Moldawien stärker einzubinden und langfristig an die EU heranzuführen.
„Von Litauen im IT-Bereich lernen“
Als osteuropäisches EU-Mitglied sei Litauen in der Region ein wertvoller außenpolitischer Partner für die Bundesrepublik. Das knapp drei Millionen Einwohner zählende Land agiere außerdem als Volkswirtschaft im Gemeinsamen Binnenmarkt vorbildlich. Die Bevölkerung dort sei neuen Technologien gegenüber sehr aufgeschlossen. Nicht ohne Grund gelte Litauen, wie auch die anderen Länder des Baltikums, als Vorreiter bei Entwicklung und Einsatz von IT-Lösungen und zähle damit zu den weltweit führenden Standorten in der Informationstechnologie, schwärmt Karl. Ob man sich nun den Einsatz von IT-Anwendungen in der Verwaltung oder in den Schulen anschaue: „Von der Performance der Litauer im IT-Bereich können wir einiges lernen.“
Für Alois Karl ist es selbstverständlich, die Perspektive von Partnerländern wie Litauen in seine Arbeit als Bundestagsabgeordneter einzubeziehen. Länder-Partnerschaften, wie sie durch die Parlamentariergruppen gepflegt werden, brächten in vielerlei Hinsicht einen politischen Mehrwert. Außerdem lasse sich so die eigene Situation besser würdigen. „Frieden, Sicherheit und Wohlstand sind nichts Gottgegebenes, sondern müssen erkämpft und immer wieder verteidigt werden. Das haben die Litauer getan, dafür stehen die Menschen dort.“ (ll/12.06.2017)